Infektionskrankheiten: Vorbereitung wird immer wichtiger
Erderwärmung und der zunehmende Reise- und Warenverkehr: Asiatische Tigermücken und Gelbfiebermücken, die Überträger vonDengue-, Chikungunya- und Zika-Viren, sind die Profiteure der Globalisierung und des Klimawandels. Hinzu kommt ihre hervorragende Anpassungsfähigkeit an urbane Ballungsräume. „Das hat dazu geführt, dass sich diese beiden Mückenarten in den letzten Jahren über den ganzen Globus ausgebreitet haben. In Europa, auch in Deutschland, breitet sich vor allem Aedes albopictus, die Asiatische Tigermücke, aus“, sagt Professor Dr. med. Jonas Schmidt-Chanasit, Leiter der Abteilung Arbovirologie und Entomologie am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Hamburg. Durch sie übertragene Viren wurden jedoch hierzulande bisher nicht nachgewiesen. Um Arboviren zu verbreiten, müssten die Stechmücken sie zuvor von einer infizierten Person aufgenommen haben. „Mit dem Fortschreiten des Klimawandels und immer mehr Reisenden, die die Viren mitbringen, wird das auch in Deutschland immer wahrscheinlicher – das Risiko für Ausbrüche ist umso größer, je länger die sommerliche Warmwetterphasen anhalten“, so Schmidt-Chanasit.
Einschleppung nach Deutschland
2019, vor der Corona-bedingten Einschränkung des Reiseverkehrs, hat eine Rekordzahl von fast 1.200 Reisenden beispielsweise das Dengue-Virus nach Deutschland eingetragen. Gleichzeitig könne jeder einzelne beitragen, die Verbreitung hierzulande möglichst zu verhindern: Wer im Sommer aus einem Endemie-Gebiet zurückkehre, und in einem Bundesland lebe, in dem Tigermücken verbreitet seien, sollte auch nach der Rückkehr noch für mindestens zwei Wochen konsequenten Mückenschutz betreiben. Seit 2010 komme es auch in Südeuropa zu autochthonen Dengue-Übertragungen in den Sommermonaten. Der Verlauf sei bei einer ersten Dengue-Infektion meist unkompliziert – mit allgemeinen Grippesymptomen sowie Knochen- und Gelenkschmerzen – und heile folgenlos aus. Eine zweite Infektion hingegen verlaufe oft schwer. „Ein schwerwiegendes Public Health-Problem stellt zudem Chikungunya-Fieber dar“, so der Virologe. Denn bei etwa 30 bis 40 Prozent der Infizierten folgt auf die akute fieberhafte Infektion eine chronische Arthritis, die über Monate anhalten kann und zu Arbeitsunfähigkeit führen könne.
Impfstoffe als Hoffnungsträger
Ein Hoffnungsträger sind die neuen Impfstoffe und Impfstoffkandidaten. „Mit dem seit kurzem zugelassenen Impfstoff gegen Dengue und einem erstmals bis zur Anwendungsreife entwickelten Impfstoff gegen Malaria sind bei diesen in den Tropen und Subtropen sehr relevanten Erkrankungen zuletzt entscheidende Fortschritte erzielt worden“, sagt PD Dr. med. Torsten Feldt, Kongresspräsident für die Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit (DTG). Auch die Hyalomma-Zecke, Überträgerin des Krim-Kongo Hämorrhagischen Fiebers, stoße immer weiter in nördliche Regionen vor. Ein Impfstoff gegen Chikungunya-Viren wird derzeit in klinischen Studien der Phase III analysiert und steht kurz vor der Zulassung. Gegen West-Nil- und Zika-Viren existieren aktuell keine zugelassenen Impfstoffe für Menschen und seien in den nächsten Jahren auch nicht zu erwarten. „Daher bleibt Stechmückenschutz wichtig, gerade bei Reisen in Regionen, in denen die Erkrankungen stark verbreitet sind – im Sinne der eigenen Gesundheit, aber auch, um die Viren nicht immer weiter zu verbreiten“, rät Schmidt-Chanasit. Impfstoffe allein würden aber nicht reichen, so der Experte. Es gehe um den Einsatz von grüner, nachhaltiger Technologie. So habe sich insbesondere der Einsatz von mit Wolbachia infizierten weiblichen Aedes aegypti (Gelbfiebermücke) in Indonesien als erfolgversprechend gezeigt.
Das West-Nil-Virus zirkuliere jedoch schon in Deutschland. Es werde von einheimischen Mücken übertragen. Es werde definitiv weitere Infektionen geben. Mit einem Impfstoff rechnet Schmidt-Chanasit in den kommenden Jahren gegen das WNV eher nicht. Er betonte aber auch die zu niedrigen Impfquoten bei FSME gerade in den Risikogebieten. Auch hier begünstige der Klimawandel die weitere Ausbreitung. Es gebe viele vermeidbare Erkrankungen. Malaria sei dagegen in Europa kein großes Problem. Aber die Krankheit gewinne wieder Fahrt in Afrika. Sie habe nach wie vor nicht ihren Schrecken verloren, auch wenn es große Erfolge bei der Bekämpfung in Asien gebe.
Professor Dr. med. Christoph Lübbert, Kongresspräsident des KIT 2023, plädiert dafür, die Impfskepsis z.B. bei FSME wieder zu überwinden. Dies sei eine wichtige Aufgabe. Man müsse die Bevölkerung davon überzeugen, die Prävention zu nutzen. Es seien immer wieder schwere Verläufe zu sehen.
Doch auch unabhängig von Klimawandel und Globalisierung nehmen Infektionserkrankungen zu: Ältere Menschen mit geschwächten Immunsystemen machen einen größeren Teil der Patienten aus. Behandlungen in der Onkologie oder Chirurgie werden komplexer und gehen mit einem erhöhten Risiko für infektiologische Komplikationen einher. Schon heute seien Infektionskrankheiten in deutschen Krankenhäusern deshalb häufige Diagnosen: Bei rund 20 Prozent aller Behandlungsfälle in Kliniken stellten Infektionen die Haupt- oder Nebendiagnose dar, so Lübbert.
Vorbereitung auf den kommenden Winter
Priv.-Doz. Dr. med. Nicole Töpfner, Kongresspräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Dresden, verwies auf die im Rahmen des Kinder- und Jugendreports veröffentlichte DAK-Sonderanalyse, die aufgezeigt hatte, dass sich im letzten Quartal 2022 die Klinikbehandlungen von Neugeborenen und Säuglingen mit einer RSV-Infektion im Vergleich zum Winter 2018 verfünffacht hatten. Das bedeute hochgerechnet für die gesamte Bundesrepublik, dass allein Ende 2022 circa 17.000 Neugeborene und Säuglinge nur aufgrund dieses einen Virus mit schweren Atemwegsinfektionen im Krankenhaus und mit einem Anstieg um das 350-fache auf den Intensivstationen behandelt wurden. Neben Virusinfektionen seien zusätzlich deutlich mehr schwere bakterielle Infektionen insbesondere durch Gruppe-A-Streptokokken im HNO-Bereich, im Gehirn, in den Gelenken und Knochen, von Kindern und Jugendlichen aufgetreten. Diese umfassten Infektionen, die eine chirurgische und/oder intensivmedizinische Behandlung erforderten, ebenso wie zum Beispiel sehr viele akute Mandelentzündungen und Scharlachfälle. „Viele pädiatrische Kolleginnen und Kollegen sowie die Infrastruktur der pädiatrischen Infektiologie wurden in den vergangenen Monaten auf eine harte Belastungsprobe gestellt – sehr hohe Infektionszahlen bei Kindern, zum Teil auch mit ungewöhnlich schweren Verläufen, trafen auf ein bereits unzureichend finanziertes System. Es resultierten Versorgungsengpässe, die durch Lieferschwierigkeiten von Medikamenten zusätzlich verstärkt wurden“, sagt Töpfner. Die Fachärztin fordert für den kommenden Winter eine personelle und auch finanzielle Unterstützung der ambulanten Versorgung und auch der stationären und intensivmedizinischen Versorgung von Kindern.
Der 16. Kongresses für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (KIT) läuft noch bis zum 17. Juni in Leipzig.
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