Parkinson & Co: Richtige Stimulationsregion im Gehirn finden

Landkarte gestörter Netzwerke im Gehirn
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Betroffene Nervenbündel bei Parkinson-Syndrom (grün), Dystonie (gelb), Tourette-Syndrom (blau) und Zwangsstörung (rot).
Betroffene Nervenbündel bei Parkinson-Syndrom (grün), Dystonie (gelb), Tourette-Syndrom (blau) und Zwangsstörung (rot). Vergrößert neben dem Hirnschnitt: die jeweils optimalen Zielgebiete einer tiefen Hirnstimulation im Zwischenhirn. © Charité, Barbara Hollunder
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Bei Erkrankungen wie Parkinson, Dystonie, Zwangsstörung oder Tourette kann eine gezielte Stimulation von Hirnarealen Linderung verschaffen. Doch wo genau soll die Stimulation positioniert werden?

Forscherinnen und Forscher haben nun Daten aus tiefen Hirnstimulationen ausgewertet, um die exakten therapeutischen Zielregionen im Gehirn aufzuzeigen. Wissenschaftler/-innen an zehn spezialisierten Zentren in sieben Ländern haben Daten für diese Studie bereitgestellt und zu den Ergebnissen beigetragen. Entstanden ist damit eine einzigartige Landkarte gestörter Netzwerke im Gehirn. Neurologische und neuropsychiatrische Erkrankungen weisen ein breites Spektrum unterschiedlichster Symptome auf – von Störungen im Bereich der Stimmung oder der Informationsverarbeitung bis hin zu Beeinträchtigungen im Bewegungsablauf. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie auf fehlerhaft funktionierende Verbindungen von Gehirnregionen zurückzuführen sind. Vereinfacht gesagt: Hirnschaltkreise, die nicht richtig funktionieren, können sich wie Blockaden auf gesunde Gehirnfunktionen auswirken.

Genaue Positionierung der Elektroden ist entscheidend

Die tiefe Hirnstimulation spricht solche Fehlfunktionen an und kann maßgeblich Symptome in verschiedenen Bereichen lindern. Winzige Elektroden werden hierbei neurochirurgisch in präzise definierte Zielgebiete des Gehirns implantiert und geben fortwährend schwache elektrische Impulse an das umliegende Gewebe ab. Die Stimulationseffekte werden über Nervenbahnen an weiter entfernte Hirnareale weitergetragen und entfalten so ihre vollständige Wirkung. Doch nicht immer ist die Stimulation erfolgreich, schon kleinste Abweichungen bei der Platzierung der Elektroden können die gewünschten Effekte ausbleiben lassen.

Wo können „Blockaden“ im Gehirn gelockert werden?

Welche Hirnverbindungen angeregt werden müssen, um die bestmöglichen Erfolge bei einer Behandlung unterschiedlicher Symptome zu erreichen, wollte ein internationales Team um Prof. Andreas Horn und Dr. Ningfei Li, Neurowissenschaftler an Charité und Brigham and Women’s Hospital, genauer bestimmen. „Unser Ziel war es noch besser zu verstehen, wo im Gehirn mögliche ‚Blockaden‘ durch eine Neuromodulation gelockert werden können, damit sich beispielsweise Symptome einer Parkinsonerkrankung wieder normalisieren“, so Ningfei Li.

In ihrer Arbeit gingen die Forscherinnen und Forscher einem vermeintlichen, der Hirnforschung schon länger bekannten Paradoxon nach: Eine Region im Zwischenhirn, der subthalamische Kern, gilt als ein effektives Zielgebiet der tiefen Hirnstimulation zur symptomatischen Behandlung des Parkinsonsyndroms und der Dystonie. Beide Erkrankungen zählen zum Spektrum der Bewegungsstörungen. Dieselbe Hirnregion hat sich jüngst auch als erfolgreiches Zielgebiet zur Behandlung neuropsychiatrischer Störungsbilder herauskristallisiert, beispielsweise von Zwangserkrankungen oder Tic-Störungen.

Daten von 534 implantierten Elektroden ausgewertet

Doch wie kann ein so kleiner Kern von ungefähr einem Zentimeter Länge effektiv in der Behandlung von Symptomen derart unterschiedlicher Hirnfunktionsstörungen sein? Um dem Paradoxon auf die Spur zu kommen, analysierte das Team die Daten von 534 implantierten Elektroden zur tiefen Hirnstimulation bei 261 Patientinnen und Patienten aus der ganzen Welt. 70 von ihnen litten unter Dystonie, 127 unter der Parkinson-Krankheit, 50 hatten eine Zwangsstörung und 14 das Tourette-Syndrom. Mithilfe einer eigens entwickelten Software erfassten die Forscherinnen und Forscher die genaue Lage der jeweiligen Elektroden. Computersimulationen halfen, um daraufhin Nervenbahnen aufzuzeigen, die bei Patientinnen und Patienten mit optimalen oder auch weniger optimalen Behandlungsergebnissen aktiviert wurden.

Identifizierte Schaltkreise überschneiden sich teilweise

Für jede der vier Störungen stellten sich spezifische Schaltkreise heraus, die fehlerhaft funktionierten. Sie waren mit den entsprechenden Regionen im Vorderhirn verbunden, die eine wichtige Rolle für Bewegungsabläufe, Verhaltenssteuerung oder Informationsverarbeitung spielen. „Die von uns identifizierten Schaltkreise überschneiden sich teilweise, daher nehmen wir an, dass die Fehlfunktionen in den untersuchten Symptombildern nicht vollständig unabhängig voneinander sind“, sagt Barbara Hollunder, Stipendiatin des Einstein Center for Neurosciences an der Charité und Erstautorin der Studie.

Ziel ist ein menschliches „Dysfunktom“

In einem ersten Schritt ist es somit gelungen, die Netzwerke in Vorder- und Mittelhirn exakt zu lokalisieren, die für eine Behandlung der Parkinsonerkrankung, der Dystonie, von Zwangsstörungen und des Tourette-Syndroms entscheidend sind. Wird der Ansatz über Störungsbilder mit unterschiedlichster Symptomatik hinweg angewendet, entsteht nach und nach eine Art Landkarte der Symptom-Netzwerk-Verschaltungen des Gehirns. „In Anlehnung an die Begriffe des Konnektoms als Beschreibung der Gesamtheit aller Nervenverbindungen im Gehirn, oder des Genoms als Sammelbezeichnung für die gesamte Erbinformation, haben wir hierfür den Begriff des menschlichen ‚Dysfunktoms‘ geprägt. Eines Tages soll dieses die Gesamtheit aller gestörten Hirnschaltkreise beschreiben, die als Folge von Netzwerkerkrankungen auftreten können“, wie Hollunder erklärt.

Bestmögliche individuelle Behandlung

Die Erkenntnisse sind bereits ersten Patientinnen und Patienten zugutegekommen. Durch Feinabstimmung und eine präzise Platzierung der Elektroden ließen sich unter anderem die Symptome schwerer, behandlungsresistenter Zwangsstörungen lindern. „Wir planen, die Technik weiterzuentwickeln und fehlerhafte Hirnschaltkreise noch hochauflösender für spezifische Symptome abzugrenzen. So könnten wir beispielsweise für Zwangsstörungen die Schaltkreise für zwanghafte Gedanken und Handlungen, oder auf häufig begleitend auftretende Symptome wie Depression oder Angststörungen isolieren, um die Behandlung bestmöglich individuell abzustimmen“, blickt Ningfei Li in die Zukunft.

Neue Denkansätze für die transkranielle magnetische Hirnstimulation?

Die Forscherinnen und Forscher gehen zudem davon aus, dass im Gehirn nicht nur eine einzige Region ausschlaggebend für die Verbesserung eines bestimmten Symptoms ist. Vermutet wird, dass Nervennetzwerke selbst die therapeutischen Effekte tragen und von verschiedenen Punkten im Gehirn aus moduliert werden könnten. Damit gebe die Studie nicht nur wertvolle Hinweise für die zielgerichtete neurochirurgische Therapie, sondern sie liefere auch neue Denkansätze für nicht-invasive Methoden wie die transkranielle magnetische Hirnstimulation, bei der magnetische Impulse von außerhalb des Schädels Hirnregionen anregen und keine Operation notwendig ist.

Literatur:
Hollunder, B., Ostrem, J.L., Sahin, I.A. et al. Mapping dysfunctional circuits in the frontal cortex using deep brain stimulation. Nat Neurosci (2024). doi.org/10.1038/s41593-024-01570-1.
 
Research Briefing: Mapping the dysfunctome provides an avenue for targeted brain circuit therapy. Nat Neurosci (2024). doi.org/10.1038/s41593-024-01572-z

Quelle: idw/Charité

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