Langfristig könnte dies die Krankheitsdiagnose erleichtern und schon jetzt die Entwicklung neuer Therapien voranbringen. Das Verfahren beruht auf der Messung bestimmter Eiweißstoffe im Blut. Dabei dienen die Proteine als Biomarker. Frontotemporaler Demenz (FTD) sowie die Nervenerkrankungen Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und Progressive Supranukleäre Blickparese (PSP) bilden ein Spektrum neurodegenerativer Erkrankungen mit überlappender Symptomatik, die durch Demenz, Verhaltensauffälligkeiten, Lähmungen und Schwund der Muskulatur, Bewegungsstörungen und andere schwerwiegende Beeinträchtigungen gekennzeichnet ist. Hierzulande sind schätzungsweise bis zu 60.000 Menschen von einer dieser Erkrankungen betroffen. Damit sind sie zwar relativ selten, ihre Folgen für die Gesundheit gleichwohl gravierend.
Eindeutige Diagnose zu Lebzeiten
„Keiner dieser Erkrankungen ist bislang heilbar. Und eine eindeutige Diagnose der molekularen Pathologie dieser Erkrankungen ist mit den bisherigen Methoden zu Lebzeiten gar nicht möglich, weil dafür Hirngewebe untersucht werden muss“, erläutert Prof. Anja Schneider, Forschungsgruppenleiterin am DZNE und Direktorin der Klinik für Alterspsychiatrie und Kognitive Störungen am UKB. „Für die Entwicklung von Therapien bedarf es jedoch einer Diagnose der zugrundeliegenden Pathologie und der Möglichkeit, Patientinnen und Patienten nach der Art ihrer Erkrankung gruppieren zu können. Nur anhand einer solchen Stratifizierung können zielgerichtete und damit kausal wirksame Behandlungen getestet werden“, so Schneider weiter, die auch mit der Universität Bonn affiliiert ist. „Wir haben nun nachweisen können, dass sich eine PSP, die Verhaltensvariante der FTD sowie die überwiegende Mehrzahl der ALS-Erkrankungen mit der Ausnahme einer speziellen Mutation per Blut-Test erkennen lassen und auch ihre zugrundeliegende Pathologie. Unsere Studie ist die erste, die dafür geeignete Biomarker gefunden hat. Die Anwendung dürfte zunächst im Forschungsbereich und in der Therapie-Entwicklung liegen. Langfristig halte ich es aber für realistisch, dass diese Biomarker auch in der medizinischen Routineversorgung zur Diagnose genutzt werden. Hierzu sind aber weitere Studien erforderlich. Wichtig wäre es insbesondere, die Entwicklung dieser Biomarker im Krankheitsverlauf zu erfassen und zu ermitteln, wie frühzeitig sie ansprechen.“
Messung von Tau- und TDP-43-Proteinen
Der neue Bluttest, der auf der Messung sogenannter Tau- und TDP-43-Proteine basiere, könne entscheidende Indizien für eine Diagnose liefern. Besonders großer Bedarf bestehe bei der hier untersuchten „verhaltensbedingten FTD“. Denn den Symptomen dieser häufigsten Variante der FTD können im Gehirn zwei verschiedene Pathologien – also abnorme Vorgänge – zugrunde liegen, die sich im Allgemeinen erst per Gewebeanalyse nach dem Tode unterscheiden lassen. Nur bei den wenigen Betroffenen, bei denen eine Erkrankung genetisch bedingt ist, könne eine Erbgutanalyse schon zu Lebzeiten Klarheit schaffen. Durch den Bluttest werde nun eine eindeutige Diagnose zu Lebzeiten selbst dann möglich, wenn keine Mutation vorliege. Das wiederum sei die Voraussetzung dafür, dass neue Therapien gegen diese verschiedenen Pathologien von FTD in klinischen Studien überhaupt getestet werden könnten, betonen die Forscher.
Proteine spiegeln Krankheitsprozesse wider
„Man weiß schon länger, dass Tau- beziehungsweise TDP-43-Proteine bei FTD, ALS und PSP Schlüsselrollen spielen, denn im Zuge dieser Erkrankungen bilden sie im Gehirn abnorme Aggregate. Die Geschehnisse unterscheiden sich jedoch zwischen den Erkrankungen. Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Blut-Konzentrationen der Proteine diese Krankheitsprozesse widerspiegeln“, sagt Schneider. „Wir haben festgestellt, dass für die Diagnose von verhaltensbedingter FTD beziehungsweise deren Unterformen die Kombination beider Marker benötigt wird, für ALS hingegen reicht TDP-43 und für PSP das Tau-Protein. Wobei wir uns für den Tau-Marker genau genommen zwei spezielle Varianten des Tau-Proteins anschauen.“
Untersuchung der Vesikel
Das Verfahren bedient sich eines besonderen Kniffs: Erfasst werden nämlich keine Proteine aus dem Blutplasma; diese Messwerte entpuppten sich als nicht aussagekräftig – insbesondere, weil Tau-Proteine, die im Blut frei herumtreiben, meist beschädigt sind. Stattdessen ermittelte das Team um Schneider die Konzentrationen von zwei verschiedenen Tau-Formen beziehungsweise von TDP-43-Proteinen, die in sogenannten Vesikeln enthalten waren. Dies sind winzige Fettbläschen, die von Körperzellen abgesondert werden und letztlich in den Blutstrom gelangen können. Durch mehrstufige Präparation, die unter anderem eine Zentrifugierung der Blutproben beinhaltete, konnten die Forschenden die in Vesikeln vorkommenden Eiweißstoffe erfassen. Die Ergebnisse beruhen auf Daten und Blutproben von Studien-Kollektiven aus Deutschland und Spanien mit insgesamt 991 Erwachsenen. Sie waren von FTD, ALS oder PSP betroffen beziehungsweise gehörten zur Kontrollgruppe mit gesunden Personen.
Quelle: DZNE
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