Parkinson: Neue S2k-Leitlinie
Außerdem wurden die medikamentösen und nicht medikamentösen Therapien sowie Behandlungsempfehlungen für die vielen häufigen Begleiterkrankungen- bzw. Symptome aktualisiert. Am Anfang der neuen Leitlinie steht neuerdings die Empfehlung, künftig den allgemeineren Begriff „Parkinson-Krankheit“ (PK) anstelle von „Idiopathisches Parkinson-Syndrom“ (IPS) oder sonstigen Begriffen zu verwenden. PK und IPS wurden in der Vergangenheit oft synonym verwendet; es wird jedoch seit Jahren immer klarer, dass eine nicht zu vernachlässigende Zahl von Fällen nicht idiopathisch ist, sondern durch genetische Varianten bzw. Mutationen entsteht und somit auf einer konkreten Ursache beruht.
Kraniale MRT
Eine kraniale MRT (nicht CT) soll bei klinischem PK-Verdacht ebenfalls schon frühzeitig erfolgen, auch um andere Erkrankungen auszuschließen. Zur Differenzialdiagnostik können je nach Fragestellung und erwartbaren klinischen Konsequenzen eine transkranielle Hirnparenchymsonographie, eine FDG-PET und eine Dopamin-Transporter-SPECT (DAT-SPECT) erfolgen. Biomarker zur Diagnosesicherung stehen klinisch noch nicht zur Verfügung. Das Neurofilament (NFL aus Liquor oder Serum) ist nicht spezifisch genug, es kann ggf. aber zur Abgrenzung der PK gegen atypischen Parkinson-Syndromen hilfreich sein. Eine genetische Untersuchung sollte – im Rahmen des Gendiagnostikgesetzes und nur auf Wunsch der Betroffenen – erfolgen, wenn entweder zwei Verwandte ersten Grades oder ein Verwandter ersten und ein Verwandter zweiten Grades an einem Parkinson-Syndrom erkrankt sind, sowie bei einer frühen Krankheitsmanifestation (< 50 Jahre). Weitere konkrete Hinweise werden genannt. Genetische Befunde tangieren die Therapie zurzeit noch nicht.
Rechtzeitige, altersgerechte Therapie
Nahezu alle Therapieempfehlungen für motorische, kognitive, affektive, psychotische und dysautonome Symptome sowie Schlafstörungen, Schmerz, Dysarthrie und Dysphagie bei der Parkinson-Krankheit wurden teilweise modifiziert, durch neue Evidenz gesichert und/oder durch neue Inhalte ergänzt. Wichtig ist, die Therapie rechtzeitig, altersgerecht, effizient und entsprechend den individuellen Therapiezielen zu beginnen. Bei der individuellen Medikamentenwahl zur initialen Monotherapie sollen neben der Schwere der motorischen Symptome das Patientenalter, die unterschiedlichen Effektstärken/Wirkung der Substanzen, Nebenwirkungen, Komorbiditäten und psychosoziale Aspekte berücksichtigt werden – bevorzugt werden sollten, besonders bei jüngeren Betroffenen, Dopaminagonisten oder MAO-B-Hemmern (gegenüber Levodopa). Wenn Levodopa schon initial notwendig ist, soll es auch gegeben werden.
Detaillierte Empfehlungen zur Kombination von Substanzen
Im Krankheitsverlauf werden in der Regel verschiedene Substanzen kombiniert, die Leitlinien geben detaillierte Empfehlungen für spezielle Situationen und auch zu Substanzen, die nicht mehr eingesetzt werden sollen. Bei noch weiter fortschreitender Erkrankung verschlechtert sich oft die Medikamentenwirkung, es treten Phasen mit guter und schlechter Beweglichkeit auf (motorische Fluktuationen /„On-off-Phänome“) oder unkontrollierte Bewegungen (Dyskinesien). In dieser Situation kann eine Besserung durch Änderung oder Erweiterung des Therapiemanagements erzielt werden. Konkrete Hinweise dazu sind enthalten (Fraktionierung der Levodopa-Gaben und ggf. Dosisänderung, zusätzliche Gaben von Levodopa-Präparaten mit modifizierter Galenik (lösliches, inhalatives oder retardiertes Levodopa), zusätzliche Gaben von Dopaminagonisten, zusätzliche Gabe von MAO-B-Hemmern oder zusätzliche Gabe von COMT-Hemmern). Neu sind Empfehlungen zur Diagnose und Therapie einer akinetischen Krise (eine akute, potenziell lebensbedrohliche und transient doparesistente Symptomverschlechterung mit einer Letalität von 4−23 %). Die frühzeitige Diagnose bzw. Abgrenzung von einer schweren Off-Fluktuation und die adäquate Therapie (ggf. auf der Intensivstation) haben hier einen hohen Stellenwert.
Dopaminagonisten-Entzugssyndrom: aktueller Wissensstand
Auch der aktuelle Wissensstand bzw. die Studienlage zum 2010 erstmals beschriebenen Dopaminagonisten-Entzugssyndrom (DAWS) wird dargestellt und Empfehlungen zu optimalen diagnostischen Kriterien und Therapie gegeben. Dopaminagonisten müssen manchmal aufgrund von Impulskontrollstörungen oder Halluzinationen abgesetzt werden. In 15−24 % kommt es daraufhin zum DAWS, wobei nun drei Risikofaktoren identifiziert werden konnten, bei deren Vorhandensein in 92 % ein DAWS entsteht (Impulskontrollstörungen, hohe Dopaminagonisten-Dosen, vorherige Tiefe Hirnstimulation – gegenüber nur in 3 % bei Abwesenheit aller drei Risikofaktoren). Eine spezifische DAWS-Therapie gibt es nicht, um ein DAWS früh zu erkennen. Das Absetzen von Dopaminagonisten sollte daher langsam erfolgen. Bei schwerem, protrahiertem DAWS sollte eine Wiederaufnahme der Behandlung mit Dopaminagonisten erwogen werden.
Tiefe Hirnstimuation
Bei Tiefer Hirnstimulation (THS) und plötzlichem Ausfall der THS kann ebenfalls ein Entzugssyndrom auftreten (ähnelt einer akinetischen Krise). Dies ist ein seltenes Ereignis (z. B. bei infektionsbedingter Explantation) und stellt eine große therapeutische Herausforderung bis zur THS-Reimplantation dar. In den neuen Leitlinien werden aktuelle Erkenntnisse und Empfehlungen dargestellt. Neu hinzugefügt bzw. aktualisiert wurden auch Daten und Empfehlungen zu Differenzialindikationen nicht oraler medikamentöser (invasiver) Therapien wie Pumpentherapien und der Tiefen Hirnstimulation (THS). So gibt es zu den THS-Formen (d. h. unterschiedliche Elektrodenlokalisationen) inzwischen Langzeitstudien. Man weiß inzwischen, dass die THS (z. B. des Nucleus subthalamicus/STN-THS) im Langzeitverlauf bis zu elf Jahre gegen motorische Symptome wirksam ist, die Verzögerung einer Demenz-Entwicklung war dabei nicht zu erkennen. Auch Langzeitdaten zu anderen THS-Formen und deren Unterschiede werden vorgestellt. Bei Pumpentherapien stehen mittlerweile auch verschiedene Optionen zur Verfügung, die hinsichtlich ihrer differenziellen Indikation, Wirksamkeit und Sicherheit dargestellt werden.
Ablative Verfahren
Außerdem werden operative, ablative Verfahren wie die Pallidotomie in ihrer aktuellen Bedeutung bei fortgeschrittener PK eingeordnet; Thalamo- und Subthalamotomie mittels Radiofrequenzablation sollen bei der PK nicht mehr durchgeführt werden und auch radiochirurgische Verfahren (Gamma-Knife, Cyber-Knife) sind mangels Studien und aufgrund des potenziell hohen Komplikationsrisikos nicht zu empfehlen. Das relativ neue, ablative Verfahren MRgFUS (MRT-gesteuerter, fokussierter Ultraschall), das von außen durch die geschlossene Schädeldecke zur Anwendung kommt, ist v. a. sehr effektiv gegen den Tremor. Allerdings sollen diese Interventionen aktuell nur im Rahmen von Studien oder Registern durchgeführt werden. Alle ablativen Verfahren werden bisher nur unilateral eingesetzt. Zum erweiterten Einsatz des MRgFUS werden aktuell die notwendigen Studien durchgeführt. Bis hier weitere Ergebnisse vorliegen, wird bei Fehlen von Kontraindikationen gegenwärtig primär die THS empfohlen.
Therapie von Begleitsymptomen
Auch zu Diagnostik und Therapie der häufigen Begleitsymptomatik sind neue Empfehlungen enthalten. Zu nennen sind die Kapitel zu Schmerzen bei PK, zu Blasenfunktionsstörungen, erektiler Dysfunktion, orthostatischer Hypotonie (Blutdruckabfall beim Aufstehen) und nächtliche bzw. Liegend-Hypertonie sowie zur chronischen Obstipation. Aktualisiert oder ergänzt wurde auch das Vorgehen bei Tagesschläfrigkeit und bei nächtlichen Schlafstörungen, die insgesamt häufig sind (Ein- und Durchschlafstörungen, motorische Ursachen, Restless-Legs-Syndrom, Nykturie, Parasomnien, Atmungsstörungen, Albträume, REM-Schlafstörungen) und das aktuelle Management der Frage nach der Fahreignung von Erkrankten in Frühstadien.
Multidisziplinäre, teambasierte Versorgung als Therapie der Wahl
Betont wird die große Bedeutung einer multidisziplinären, teambasierten Versorgung für die Verbesserung der Lebensqualität bei PK. Empfehlungen zu komplexen Therapieansätzen sind enthalten. Die sogenannten aktivierenden Verfahren beinhalten Physio- und Ergotherapie, Logopädie oder künstlerische Therapien (Musik-, Tanz-, Kunst- oder Theatertherapie). Physikalische Verfahren verbessern wahrscheinlich motorische Symptome, Mobilität, Gang und Gleichgewicht und verhindern möglicherweise muskuloskelettale Sekundärprobleme. Eine relativ umfangreiche Datenlage gibt es beispielsweise für die Physiotherapie, die bei Beeinträchtigung durch motorische PK-Symptome im Alltag mindestens 3 h/Woche erfolgen sollte, wenn möglich auch als Eigentraining. Ob die Progression der PK durch aktivierende Therapien verlangsamt wird, ist noch unklar, daher sollte dies auch nicht als Therapieziel benannt werden. Für eine gezielte Sporttherapie bei PK lässt die Datenlage dagegen derzeit keine klaren Empfehlungen zu.
Herausgeberin der Leitlinie ist die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), am Konsensusprozess waren weitere 19 Fachgesellschaften, Berufsverbände und Organisationen [2] beteiligt, auch aus Österreich und der Schweiz.
Quelle DGN
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