Oxycodon – ein Wirkstoff benebelt die Menschen
Opioide sind Schmerzmittel, welche spezielle Rezeptoren des Nervensystems blockieren und sich durch ein breites Wirkspektrum auszeichnen. Das breite Wirkungsspektrum erklärt sich aufgrund der Tatsache, dass sich Opioidrezeptoren nicht nur im ZNS, sondern auch in den peripheren Organen befinden. Dadurch gelten Opioide in der Medizin als effektivste und somit auch wichtigste Schmerzmittel. Aber gleichzeitig sind Opioide auch die stärksten psychotrop wirksamen Substanzen mit einem extrem hohen Abhängigkeitspotenzial.
Der bekannteste Vertreter der Opioide ist das Morphin, das schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts in der Medizin zur Schmerztherapie eingesetzt wird. Die Pharmafirma Merck aus Darmstadt brachte 1917 unter dem Namen Eukodal den Wirkstoff Oxycodon als schmerz- und hustenstillendes Mittel auf den Markt. Seit 1919 wurde es als Analgetikum therapeutisch genutzt. Schon 1929 war das Medikament nur über ein Betäubungsmittelrezept erhältlich. Es diente als Alternative zu Morphin und Codein.
Schon früher Missbrauch
Von der Wehrmacht und vor allem im 2. Weltkrieg wurden die ersten Fälle von Oxycodon-Missbrauch bekannt. „Pervetin für den Soldaten, Eukodal für den Führer“ – so ein Slogan aus der Zeit. Eukodal war bis 1990 in Deutschland im Handel und wurde wegen des sehr hohen Sucht- und Missbrauchspotenzials vom Markt genommen.
Oxycodon ist der Zwillingsbruder von Heroin. Die Substanz löst ein Hoch aus, eine Art Euphorie. Sie wirkt auf das Belohnungszentrum im Gehirn. Deshalb treten sofort starke Entzugssymptome auf, wenn man das Mittel absetzen möchte. Oxycodon wirkt doppelt so stark wie Morphin und die Wirkung tritt deutlich schneller ein. Die stärkere suchterzeugende Wirkung im Vergleich zu Morphin liegt daran, dass rund ein Drittel des Wirkstoffes innerhalb der ersten 15 Minuten freigesetzt wird, die Wirkung tritt dann nach circa 10–20 Minuten ein. Die Tatsache, dass bei Oxycodon-Missbrauch die Tabletten zerrieben oder im Mörser zerkleinert werden und damit die Wirkung der kompletten Dosis direkt freigesetzt wird, führt zu einer noch schnelleren Abhängigkeit und zu tödlichen Überdosierungen.
Viele Nebenwirkungen
Durch die Einnahme von Oxycodon kommt es neben der Euphorie zu einer Analgesie (Schmerzstillung/Dämpfung), Sedierung, Angstlösung/-minderung, Hustenstillung – ähnlich wie bei Codein, aber auch zu Atemdepression, Miosis (Engstellung der Pupillen), Bradykardie, Hypotonie, Depression, Nervosität, Sprachstörungen, Verwirrtheit bis hin zu Erinnerungslücken, Schwindel, Kopfschmerzen, Schwitzen, Muskelsteife und -krämpfe, Erbrechen, Obstipation und Harnverhalt und epileptischen Anfällen. Bei regelmäßigem Gebrauch von Oxycodon kommt es zu einer schnellen Gewöhnung an die Effekte und zu einer Toleranz durch Desensibilisierung und Internalisierung der Rezeptoren, die eine ständige Steigerung der Dosis notwendig machen.
Seit 1998 ist Oxycodon als Oxygesic® von der Firma Mundipharma auf dem deutschen Markt zugelassen. Seinen Einsatz findet es nun bei starken bis sehr starken Schmerzen etwa nach einer Operation oder im Verlauf einer Krebserkrankung, hat aber immer noch ein sehr hohes Suchtpotenzial. Geschätzt wird, dass bis zu 300.000 Menschen in Deutschland aktuell opioidabhängig sind. Hierzulande unterliegt die Verordnung von Oxycodon dem Betäubungsmittelgesetz.
Purdue Pharma und die Familie Sackler
Wer sich mit dem Wirkstoff Oxycodon näher beschäftigt, landet über kurz oder lang in den USA und der Pharmafirma Purdue. Hier wurde im Jahr 1996 das Medikament OxyContin® in den Handel gebracht und sollte unzähligen Menschen mit chronischen Schmerzen das Leben erleichtern. Purdue Pharma wurde durch die Familie Sackler bekannt. Das Unternehmen gelangte durch eine aggressive Bewerbung von OxyContin® und der Behauptung, dass das Abhängigkeitspotenzial unter ein Prozent liege, sehr schnell zu einem Milliardengewinn. Der Name Purdue Pharma ist ebenso wie Sackler aber auch (mit)verantwortlich für die zweite Opioidepidemie der USA. Die Familie Sackler wird in den USA als „legaler Drogen-Clan“ bezeichnet. Durch gefälschte Studien, Prämienzahlungen und Essenseinladungen sollen Ärzte Ende der 1990er-Jahre umgarnt worden sein, was zu immer schnelleren und längeren Verschreibungen sowie zu höheren Dosen des Medikaments, auch bei Symptomen der Patienten außerhalb des Zulassungsbereiches, geführt haben soll. OxyContin® sollte bereits bei moderaten Schmerzen nicht nur als Akut-Medikation, sondern auch als „Dauerwohlfühlmedikament“ verordnet werden.
Von Beginn an gab es für OxyContin® einen Schwarzmarkt. Denn die Anleitung zum missbräuchlichen Einsatz des Medikamentes lieferte Purdue gleich mit: Im Beipackzettel wurde vor der radikalen Wirkung der Pille, wenn man sie kaut oder zerbröselt und schnupft, gewarnt.
Aufgrund der eher leichten Verfügbarkeit beziehungsweise Beschaffung wurde das Medikament besonders unter der weißen Bevölkerung zu einer weitverbreiteten Droge und erhielt den Namen „Hillbilly Heroin“. Purdue Pharma erzielte mit OxyContin® einen Umsatz von insgesamt rund 35 Milliarden US-Dollar. Damit gehörte das Medikament zu den umsatzstärksten Arzneimitteln der Welt.
2006 wurde in Deutschland die Kombination von Oxycodon mit dem Opioidantagonisten Naloxon vermarktet. Das Präparat heißt Targin und ist eine Retardkapsel. Diese Kombination sollte für die Patienten weniger Nebenwirkungen bringen und vor allem darauf abzielen, dass die missbräuchliche Verwendung verhindert wird.
Hohe Strafen verhängt
In den USA wurde im Jahre 2007 der Pharmakonzern Purdue (und Top-Manager) erstmals zu einer hohen Geldstrafe (über 600 Mio. US-Dollar) verurteilt. Die Tatsache, dass im Beipackzettel von OxyContin® nicht ausreichend über das hohe Abhängigkeitspotenzial hingewiesen wurde und dadurch die zweite Opioidkrise ausgelöst wurde, sahen die Gerichte nun als erwiesen an.
In mehreren Bundesstaaten der USA folgten weitere Gerichtsverfahren gegen Purdue Pharma sowie das Unternehmen Johnson & Johnson und seine Tochterfirma Janssen. Auch hier wurde die Mitschuld an der Opioidkrise zunächst als erwiesen angesehen. Doch später gab es eine Aufhebung der ursprünglichen Strafe.
Ende 2020 kam es zu einem vorläufigen Höhepunkt im Prozess gegen Purdue Pharma. Nach jahrelangem Abstreiten und Leugnen hatte Purdue ein Schuldeingeständnis abgegeben, dass OxyContin® aggressiv vermarktet und vertrieben worden sei, obwohl man wusste, dass die Substanz schnell abhängig mache und auch leicht an Drogenabhängige gelangen würde. Im Pharmabereich gab es in den USA einen großen Vergleich zwischen mehreren Bundesstaaten und Kommunen sowie der Familie Sackler, der jedoch noch rechtlich überprüft wird.
Obwohl die Familie Sackler und Purdue Pharma in einen großen Skandal verwickelt waren, konnte Richard Sackler sich mit Purdue Pharma im Jahre 2018 ein weiteres Medikament patentieren lassen, das nun dabei helfen soll, die Abhängigkeit von Opioidschmerzmitteln besser kontrollieren zu können und den Opiatentzug unterstützen soll. Immer noch sterben täglich – vor allem in den USA – mindestens 100 Menschen an der missbräuchlichen Einnahme von Oxycodon.
Literatur
1. Wikipedia: Oxycodon. https://de.wikipedia.org/wiki/Oxycodon (letzter Zugriff am 4.1.2024).
2. Radden Keefe P: Imperium der Schmerzen – Wie eine Familiendynastie die weltweite Opioidkrise auslöste. hanserblau, 2022.
3. Gross G: Ärzte verordnen immer mehr Opioide. Spiegel Online, 4.7.2017, https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/oxycodon-fentanyl-oder-codein-aerzte-verschreiben-immer-mehr-opioide-a-1155711.html (letzter Zugriff 4.1.2024).
4. Zöttl I: Die große Abrechnung. Spiegel Online, 16.9.2019, https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/opioid-krise-prozesse-in-den-usa-gegen-sackler-und-purdue-pharma-die-abrechnung-a-1286835.html (letzter Zugriff am 4.1.2024).
5. Gelbe Liste: Oxycodon (Stand: 11.3.2019). https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Oxycodon_27380 (letzter Zugriff am 4.1.2024).
Entnommen aus MT im Dialog 2/2024
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