Aber ist Fentanyl nicht ein Medikament, das in der Schmerztherapie vor allem bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen eingesetzt wird? Richtig, aber wie so oft finden Medikamente ihren Weg in die Drogenszene. Durch seine Wirkung, die etwa hundertmal stärker als Morphium und sogar tödlicher als Heroin ist, wurde das Schmerzmittel Fentanyl zur weltweiten Gefahr, da es auch noch extrem billig ist (1 kg Heroin kostet 40.000 bis 50.000 US-Dollar, 1 kg Fentanyl hingegen nur etwa 12.000 US-Dollar). Fentanyl ist für eine verheerende Drogenepidemie verantwortlich. 2020 starb jeder zweite Drogentote in den USA durch oder zusammen mit dem Konsum von Fentanyl. 2021 waren es über 105.000 Fentanyltote.
Gefährlichste derzeit bekannte psychoaktive Substanz
Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, welches 1959/1960 von dem belgischen Chemiker Paul Janssen (1926–2003) entwickelt wurde. Janssen ist der Gründer des belgischen Pharmaunternehmens Janssen Pharmaceutica, das inzwischen zu Johnson & Johnson gehört. Fentanyl ist in seiner Urform ein weißliches Pulver und wurde zunächst als Injektionslösung vertrieben. Durch Modifikationen im Laufe der folgenden Jahre wurden auch diverse andere Darreichungsformen auf den Markt gebracht, zum Beispiel Pflaster, Nasenspray, Lutschtabletten.
Fentanyl wirkt vorwiegend stark schmerzlindernd (analgetisch) und beruhigend (sedierend), da es im Körper zügig durch die Blut-Hirn-Schranke ins zentrale Nervensystem aufgenommen wird. Hier dockt es an die Opioid-Schmerzrezeptoren an, wodurch die Weiterleitung von Schmerzreizen unterbrochen beziehungsweise gehemmt wird.
Die heutige Hauptanwendung von Fentanyl sind Durchbruchschmerzen einer Krebserkrankung sowie starke Schmerzen bei Intensivpatienten nach Operationen. Auch findet Fentanyl in Narkosemixturen seinen Einsatz. Von Fentanyl benötigt man nur kleinste Mengen und der Patient verspürt je nach Darreichungsform einen Wirkungseintritt in Sekunden bis Minuten. Lediglich die Applikation eines Fentanylpflasters dient nicht der kurzfristigen, sondern der längerfristigen Anwendung. Die Wirkung tritt erst nach mehreren Stunden ein; ein Pflaster gibt je nach Art zwölf oder 24 Stunden seinen Wirkstoff kontinuierlich ab.
Aber wie jedes hoch wirkungsvolle Medikament hat auch Fentanyl zahlreiche Nebenwirkungen. Diese sind Benommenheit, Schläfrigkeit, Schwindel, Atemdepression, verengte Pupillen, verlangsamter Herzschlag, Blutdruckabfall, Übelkeit sowie Erbrechen, übermäßiges Schwitzen, Juckreiz, Verwirrtheit, eine zentrale Dämpfung, Bronchospasmus, Sehstörungen, Harnverhalt und Appetitlosigkeit.
Immer häufiger als Droge
Fentanyl wird seit Anfang der 2000er-Jahre immer häufiger als Droge genutzt und auch als nicht pharmazeutische Fentanyle (NPF) bezeichnet. Der Missbrauch von Fentanyl erfolgt durch Injektion, durch Einnahme von Lutschtabletten, von Pflastern (benutzten und unbenutzten) und von „Papier-Trips“ (dünne Pappstückchen, die mit Fentanyl imprägniert sind). Fentanylpulver wird nicht nur zur Injektion aufgelöst, sondern auch geraucht oder geschnupft. Benutzte Pflaster aus Krankenhausmüll werden von den Abhängigen ausgekocht und die Lösung injiziert, denn auch bei ordnungsgemäßer Anwendung eines Pflasters verbleiben bis zu 70 Prozent des Opiats auf dem Trägerfilm.
Gerade die zusätzliche Einnahme weiterer Medikamente pusht Fentanyl als Droge. Nimmt man zusätzlich zu Fentanyl noch andere zentral dämpfende Wirkstoffe ein, so steigern sich die Wirkungseffekte gegenseitig. Dies gilt vor allem für Beruhigungsmittel wie Diazepam und auch Antipsychotika, nicht zu vergessen Alkohol. Bei wiederholter Anwendung von Fentanyl lassen die schmerzlindernde Wirkung und der euphorisierende Effekt bei jeder Anwendung schneller nach und es kommt rasch zur Abhängigkeit. Wird die Anwendung abgebrochen, entwickelt sich eine charakteristische Entzugssymptomatik mit Schwitzen, Angststörungen, Durchfall, Knochenschmerzen, Bauchkrämpfen, Zittern oder „Gänsehaut“.
Nach der Einnahme ist eine Person mehrere Stunden lang in Hochstimmung, freut sich über jede Kleinigkeit und lacht ohne Grund. Nach einigen Stunden, wenn die Wirkung nachlässt, weicht die Euphorie und es kommt zu einer depressiven Stimmung und Apathie. Häufig entwickeln Drogenabhängige aufgrund der Einnahme von Fentanyl Psychosen. Bereits die geringe Menge von 2 mg Fentanyl wirkt tödlich. Der Hauptrisikofaktor für die vielen Drogentoten durch Fentanyl ist die nur extrem schwer kalkulierbare Dosierbarkeit des so potenten Schmerzmittels. Das größte Problem beim Fentanylkonsum sind die möglichen schweren Atemstörungen.
Literatur
1. Wikipedia: Fentanyl (last accessed on 7 February 2023).
2. MBoundza S: Diese Droge ist noch gefährlicher als Heroin. Welt.de, www.welt.de/gesundheit/article154069719/Diese-Droge-ist-noch-gefaehrlicher-als-Heroin.html (last accessed on 7 February 2023).
3. Westhoff B: Fentanyl – Neue Drogenkartelle und die tödliche Welle der Opioidkrise. Hirzel-Verlag, 2021.
Entnommen aus MT im Dialog 5/2023
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