Die sogenannte Subarachnoidalblutung ist eine Form der Hirnblutung, bei der sich das Blut großflächig zwischen die das Hirn umgebenden Häute ausbreitet. Diese Form des hämorrhagischen Schlaganfalls ist ein neurologischer Notfall, weshalb Betroffene umgehend intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Werden Gehirnzellen nicht durch eine Hirnblutung, sondern durch eine akute Mangeldurchblutung eines Hirnareals geschädigt, spricht man von ischämischen Schlaganfällen. Subarachnoidalblutungen können wiederum zu ischämischen Schlaganfällen führen. Mehr als die Hälfte der Patientinnen und Patienten mit schwerer Subarachnoidalblutung entwickelt innerhalb der ersten zwei Wochen nach der Blutung einen solchen Schlaganfall.
Biomarker identifiziert
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Charité haben jetzt einen Biomarker identifiziert, der ein hohes Risiko für einen drohenden Schlaganfall nach einer Subarachnoidalblutung anzeigt. „Gerade bei Personen, die im Koma liegen und keine Auskunft über ihren Zustand geben können, ist es schwer zu beurteilen, wann sich ein neuer Hirninfarkt entwickeln könnte“, erläutert Prof. Dr. Jens Dreier vom Centrum für Schlaganfallforschung an der Charité und Erstautor der Publikation. „In unserer Studie zeigen wir, dass eine elektrodiagnostische Überwachung diesen Zeitpunkt sichtbar macht. So kann die Therapie auch bei komatösen Patientinnen und Patienten rechtzeitig eingeleitet werden, bevor es zu spät ist.“
Elektrochemische Entladungswellen entdeckt
Gemeinsam mit seinem Team hat Prof. Dreier den Biomarker auf Basis der sogenannten „Spreading Depolarizations“ entdeckt. Das sind massive elektrochemische Entladungswellen, die durch die giftigen Blutabbauprodukte der Hirnblutung hervorgerufen werden. Die davon betroffenen Hirnareale benötigen dann sehr viel Energie, um wieder in den Normalzustand zurückzukehren. In einem gesunden Gehirn sind sehr kurze Depolarisationen von Nervenzellen, also die Veränderungen der Membranspannung, normal und mit der Blutversorgung gekoppelt. Das heißt, dass das Gehirn die Gefäße entsprechend weit stellen und einen erhöhten Energiebedarf mit vermehrtem Blutfluss ausgleichen kann. Treten die massiven, langdauernden und krankhaften Spreading Depolarizations jedoch nach einer Subarachnoidalblutung auf, können zusätzlich Signalkaskaden zwischen Nervenzellen und Blutgefäßen gestört sein, so dass die Nervenzellentladung eine extreme Verengung der Gefäße auslöst. In der Folge fehlt den Nervenzellen die Energie, um sich wieder aufzuladen. Verbleiben sie zu lange in diesem entladenen Zustand, beginnen sie irgendwann abzusterben.
Elektrokortikografie plus MRT und CT
„Eine wissenschaftliche Erkenntnis der vergangenen Jahre ist jedoch zentral“, betont Prof. Dreier: „Die Entladungswelle ist bis zu einem gewissen Grad reversibel. Das bedeutet also, dass sich die Nervenzellen auch wieder erholen können, wenn das Nervengewebe rechtzeitig durchblutet und so mit Sauerstoff versorgt wird.“ Hier setzt die vorliegende klinische Studie, die an fünf verschiedenen Universitätskliniken durchgeführt wurde, an. Um die Spreading Depolarizations präzise zu messen, nutzten die Forschenden die Elektrokortikografie, ein Verfahren der modernen Neurointensivmedizin zur elektrodiagnostischen Überwachung der Gehirnströme. Dafür wurden den Betroffenen mit Subarachnoidalblutung bei Klinikeinweisung Elektroden unter die harte Hirnhaut implantiert. Zusätzlich verwendeten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bildgebende Methoden wie Magnetresonanztomografie (MRT) und Computertomografie (CT). Sie werteten insgesamt rund 1.000 Bilder des Gehirns von 180 Patientinnen und Patienten mit Subarachnoidalblutung aus. In dieser bislang größten klinischen Studie zu Spreading Depolarizations konnten sie feststellen, dass durchschnittlich 46 Milliliter Hirngewebe in der Frühphase verloren gehen, also bereits, wenn die Betroffenen in die Klinik kommen. Weitere durchschnittlich 36 Milliliter werden in den ersten zwei Wochen beschädigt, während sich die Patientin oder der Patient in intensivmedizinischer Behandlung befindet.
Hirngewebe retten
„Diese 36 Milliliter Hirngewebe könnten im Prinzip gerettet werden“, erklärt Prof. Dreier. „Wir können die Entstehung der Hirninfarkte elektrodiagnostisch in einem Stadium nachweisen, in dem die Veränderungen noch reversibel und modifizierbar sind. Die Beobachtung der Spreading Depolarizations kann demnach als Biomarker in Echtzeit genutzt werden. Sie ersetzt gewissermaßen den Austausch mit den Patientinnen und Patienten, die ihre Einschränkungen und Leiden nicht äußern können, da sie bewusstlos sind. So können wir diejenigen identifizieren, denen ein weiterer Schlaganfall droht und frühzeitig geeignete Therapiemaßnahmen einleiten. Personen, bei denen sich kein weiterer Hirninfarkt ankündigt, erhalten dagegen keine zusätzlichen Medikamente. Potenzielle Nebenwirkungen können auf diese Weise vermieden werden.“
Dieses Vorgehen entspricht dem Ansatz der Präzisionsmedizin, bei der die Therapie gezielt auf das Individuum zugeschnitten wird. Die Forschenden möchten das Monitoring der Spreading Depolarizations zukünftig weiter als Frühwarnsystem erproben und idealerweise im Klinikalltag etablieren, um die Behandlungsoptionen bei Schlaganfällen stetig zu verbessern. Dabei werden Verfahren künstlicher Intelligenz eine große Rolle spielen, um die elektrodiagnostischen Daten automatisiert zu analysieren und so intensivmedizinisches Personal in Echtzeit zu alarmieren, wenn das Hirngewebe der bewusstlosen Patientin oder des bewusstlosen Patienten in eine bedrohliche Lage gerät.
Quelle: Universitätsmedizin Berlin
Artikel teilen