Interdisziplinarität: Crossing Borders

DGHNO-Kongress 2024
mg
HNO-Kongress
Der diesjährige Kongress steht unter dem Motto „Crossing Borders“. © Loveleen, royyimzy, robsonphoto/stock.adobe.com
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Unter dem Motto „Crossing Borders“ startet die 95. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC). Mehr als 3000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus 45 Nationen kommen in Essen zusammen für aktuelle Themen unter anderem zur Schilddrüse, der neoadjuvanten Immuntherapie, plastisch-rekonstruktiven Chirurgie und weiteren interdisziplinären Beiträgen.

In der Pressekonferenz zur Eröffnung stellte Prof. Dr. Stephan Lang, Kongresspräsident, die allgemeinen Themen vor sowie das neue Format des Visual Abstracts. Anstelle der klassischen Postervorstellung, bei der bisher immer viel Text im Vordergrund stand, stellen die Visual Abstracts die wissenschaftliche Geschichte des vorgestellten Falls anhand von Bildern dar. So soll eine Auflösung der Grenze zwischen Referent und Zuhörer stattfinden, indem gemeinsam der Fall erörtert wird. Insgesamt konnten 1072 Referenten für diesen Kongress gewonnen werden. Darunter wird auch eine endoskopische live Mittelohroperation, durchgeführt von Prof. Livio Presutti aus Italien, übertragen.

Vier Säulen der Krebstherapie

Schon vor dem eigentlichen Kongressstart stellte Dr. Cornelius Kürten die neoadjuvante Immuntherapie vor, die seit 2018 neben der Chirurgie, Strahlentherapie und Chemotherapie die vierte Säule der Krebstherapie bildet. 90 Prozent der Patientinnen und Patienten benötigen nach einem chirurgischen Eingriff noch die Strahlentherapie. Etwa 50 Prozent erleiden starke Nebenwirkungen bzw. Einschränkungen wie eine Magensonde oder einen Luftröhrenschnitt nach erfolgter OP. Die neoadjuvante Immuntherapie birgt die Hoffnung, die Chancen der Patienten mit einem Tumor im Hals-Nasen-Ohren-Bereich zu verbessern.

Der Begriff neoadjuvant zeigt dabei schon den bevorzugten zeitlichen Einsatz dieser Therapie, nämlich vor einem chirurgischen Eingriff. Bisher zeigt sich, dass hier eine bessere Wirkung erzielt werden kann als nach einer chirurgischen Entfernung des Tumors. Dabei sollte der Zeitpunkt zwischen Erstdiagnose und OP genutzt werden für die Immuntherapie, während noch das gesamte Tumorvolumen und die Lymphknoten vorhanden sind. So könne das Immunsystem aktiviert und die gesamte Immunreaktion abgerufen werden. Zudem verspricht dieser Zeitpunkt, das Gedächtnis des Immunsystems zu aktivieren und Rezidive zu minimieren. Dabei belegen bisherige Studien, dass mind. 20 Prozent der Patienten ein gutes Ansprechen auf diesen Vorgang zeigen. Es müssen jedoch noch weitere Studien folgen, wie genau vorzugehen ist, wie viele Behandlungen notwendig sind etc.

HPV-bedingte Tumore des Mundrachens

Auf die Verbindung zwischen HPV (Humane Papillomviren) und Tumoren des Mundrachens ging Prof. Dr. Jens-Peter Klußmann ein. Denn sie nehmen in den letzten Jahren stark zu. In Deutschland sind mittlerweile etwa 45 Prozent der diagnostizierten Oropharynxkarzinome HPV-bedingt. Als Marker hierfür entdeckte Klußmann als erster den Zusammenhang zwischen p16 und den Tumoren, um daraus schonendere Therapieverfahren zu entwickeln. Anhand dieses zellulären Markers lässt sich ein HPV-bedingter Tumor klassifizieren. Jedoch werden 10 Prozent falsch klassifiziert, weshalb eine weitere HPV-DNA-Testung erfolgen sollte. 

Mittlerweile kann schon mittels KI der HPV-Status am Routineschnitt der histologischen Untersuchung ermittelt werden. Derzeit laufen mehrere Studien, die darauf absehen, gegen den Virus direkt vorzugehen, um z.B. die Strahlentherapie zu reduzieren. Auch hier spielt die Immuntherapie eine große Rolle. Klußmann geht davon aus, dass diese p16-Tumore in Zukunft anders behandelt werden als andere Oropharynxtumore.

Bahnbrechende Gentherapie

Prof. Dr. Ellen Reisinger stellte die bahnbrechenden Erfolge der Gentherapie im Bereich der angeborenen Taubheit aufgrund einer Mutation im OTOF-Gen. Bei dieser Mutation ist das Ohr von Ohrmuschel bis Innenohr fast vollständig in Ordnung. Lediglich der Botenstoff, der Signale an die zuständigen Nervenzellen im Gehirn weiterleitet, wird nicht freigesetzt. Bisher war ein Cochlea-Implantat die einzig mögliche Therapieoption für diese Form der Gehörlosigkeit. Doch nun kann das Gen auf zwei Viren aufgeteilt und mittels einer Spritze ins Innenohr eingebracht werden.  Dort ersetzt es das mutierte Gen. Insgesamt 10 Kinder wurden so bereits behandelt und sind in der Lage zu hören.

Therapiestandard auf dem Prüfstand

Beim Hörsturz fehlen bislang spezifische Medikamente zur Therapie. Doch die Standardtherapie mittels Kortison ist fragwürdig und stand in einer aktuellen Studie von Prof. Dr. Stefan Plontke auf dem Prüfstand. Die Vermutung, dass eine hohe Dosis von Glukokortikoiden über einen kurzen Zeitraum besser wirkt, ließ sich nicht halten im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie. Im Gegenteil, es zeigten sich mehr Nebenwirkungen bei fehlender signifikanter Verbesserung. Das Ergebnis der Studie, dass trotz sofortiger Therapie eine Verbesserung ausbleibt, stellt die Standardtherapie generell in Frage.

„Obwohl diese Medikamente seit 50 Jahren weltweit in der Hörsturz-Erstbehandlung zum Einsatz kommen, gibt es keinen belastbaren wissenschaftlichen Beweis, ob die Therapie mit Glukokortikoiden wirksam, unwirksam oder schlechter als ein Placebo ist“, fasst Plontke zusammen. Dies müsse in weiteren Studien erforscht werden. Zudem läuft derzeit eine weitere Studie zu einem spezifischen Medikament zum Einsatz beim plötzlichen Hörverlust unbekannter Ursache. Denn so weitermachen wie bisher sei keine Option, so Plontke. 

Paradebeispiel der Interdisziplinarität

Ein Paradebeispiel der Interdisziplinarität stellt Prof. Dr. Dr. Hans-Jürgen Welkoborsky vor: die Untersuchung und Behandlung von Erkrankungen der Augenhöhle. Z.B. Orbitatumore seien höchst interdisziplinär. Radiologen und Neoradiologen sorgen in der Bildgebung für eine optimale Darstellung des Tumors für den behandelnden Arzt. Die Augenärzte evaluieren auch darauf basiert die Einschränkung der Orbita und damit des Sehens, während sich anschließend die HNO-Chirurgie um die Entfernung des Tumors kümmert. Nur bei erfolgreicher Zusammenarbeit lässt sich das bestmögliche Ergebnis für Patientinnen und Patienten erzielen.

Bis einschließlich zum 11. Mai 2024 findet der Kongress in Essen statt mit dem hier einsehbaren Programm.

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