Gewalt im Krankenhaus

56 Prozent der Beschäftigten in den Krankenhäusern gaben an, innerhalb des vorangegangenen Jahres körperliche Gewalt erlebt zu haben. Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) spricht von acht Prozent bis 38 Prozent des weltweiten Gesundheitspersonals, das Gewalt ausgesetzt ist. Gemäß einem Bericht von Amnesty International sind Beschäftigte im Gesundheitswesen zudem bei der Coronavirus-Pandemie in vielen Ländern schlechten Arbeitsbedingungen ausgesetzt und müssen mit Repressalien rechnen, sofern sie Missstände benennen. So wurden zum Beispiel Gesundheitsberufe unter Druck gesetzt, nachdem sie sich darüber beschwert haben, dass es an Schutzkleidung fehle. Laut dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz wurden seit Beginn der COVID-19-Pandemie in 13 Ländern mehr als 200 Angriffe auf die Gesundheitsversorgung gezählt.

Die Ursachen für Gewalt und Aggression gegenüber Beschäftigten im Krankenhaus sind vielschichtig. Am häufigsten geht Aggression von Patientinnen und Patienten im Alter von über 65 Jahren aus, bedingt durch kognitive Beeinträchtigungen, Schmerz, Alkohol- und Drogenintoxikationen, Entzugserscheinungen, einer geistigen Behinderung oder Verhaltensstörungen. Andere Patientinnen und Patienten fühlen sich vom Personal nicht freundlich und kompetent behandelt und versorgt. Gewalthandlungen können auch durch bauliche, organisatorische und technische Mängel, zum Beispiel ein hohes Patientenaufkommen, Fachkräftemangel, gefördert werden. Dazu gehört auch Mobbing, das in der letzten MTA Dialog bereits behandelt wurde, wie sexuell geprägte Gewalt, insbesondere bei jungen und unerfahrenen Kräften. Die meisten Gewaltopfer weisen psychische wie physische Gesundheitsbeeinträchtigungen auf.

Wie kann man gegen Gewalt vorgehen? Der Arbeitgeber hat aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 618 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beschäftigten. Diese wird durch das Arbeitsschutzgesetz dergestalt konkretisiert, dass die Pflicht besteht, für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit zu sorgen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Ermittlung und Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung erfolgen muss (sogenannte Gefährdungsbeurteilung), die auch die sich daraus ergebenden Arbeitsschutzmaßnahmen beinhaltet. Ergibt sich gemäß der Gefährdungsbeurteilung eine Gefährdung durch Gewalt für die Beschäftigten, steht der Arbeitgeber in der Pflicht, sich um die Vermeidung gewalttätiger und aggressiver Übergriffe gegenüber seinen Beschäftigten zu kümmern. Der Arbeitgeber muss notwendige und präventive Maßnahmen treffen, wie baulich technische Maßnahmen, zum Beispiel geeignete und ausreichend gut erreichbare Rettungs- und Fluchtwege, geeignete Alarmsysteme, Zutrittskontrollsysteme (beispielsweise Videoüberwachung), durch organisatorische Maßnahmen, wie zum Beispiel Notfallmanagement, wie personenbezogene Maßnahmen, das heißt, dass Führungskräfte sowie Beschäftigte qualifiziert werden, ein Deeskalationsmanagement und Maßnahmen zur Eigensicherung zu ergreifen.

Was versteht man juristisch unter Gewalt? Der Bundesgerichtshof versteht unter Gewalt körperlich wirkenden Zwang durch die Entfaltung von Kraft oder durch sonstige physische Einwirkung, die nach ihrer Intensität dazu geeignet ist, die freie Willensentschließung oder freie Willensbetätigung eines anderen zu beeinträchtigen (BGH NJW 1995, 2643). Das Strafrecht unterscheidet darüber hinaus noch zwischen der willensbeugenden oder beugenden Gewalt, die insbesondere definiert wird durch psychische Einwirkung (zum Beispiel Nötigung), um beim Opfer einen bestimmten Willensentschluss zu erzeugen, und zum andern die überwältigende Gewalt, die vor allem körperlich/physisch verursacht (zum Beispiel durch Körperverletzung, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung) und bei der die Willensbildung des Opfers komplett unterbunden wird, oder aber ein Wille gebildet wird, dieser aber nicht betätigt werden kann. Zur körperlichen/physischen Gewalt wird hierbei beispielsweise Schubsen, Ohrfeigen, Anspucken oder Festhalten gerechnet, und unter seelische/psychische Gewalt wird insbesondere verbal ausgeübte Bedrohung und/oder Beleidigung gerechnet. Zur psychischen Gewalt zählen auch Stalking, Mobbing und Diskriminierung, die schon in MTA Dialog, Heft 8/2020, als Thema behandelt wurden. Unter sexueller beziehungsweise sexualisierter Gewalt wird die sexuelle Nötigung und die sexuelle Belästigung verstanden.

Zivilrecht wie Strafrecht sehen ein Gewaltverbot vor. Ausnahmen bestehen dann, wenn die Gewaltanwendung als legitim anzusehen ist, was aber nur für den Fall der Notwehr und den Notstand zur Verteidigung eigener Rechtsgüter gilt, was in der Regel bei Angriffen im Krankenhaus nicht zutrifft.

Die Androhung von Gewalt stellt in der Regel eine Nötigung nach § 240 StGB (Strafgesetzbuch) dar. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassen nötigt. Darüber hinaus stellt ein tätlicher Angriff gegenüber Krankenhauspersonal eine Körperverletzung dar, die gemäß § 223 Abs. 1 BGB auf Strafantrag gemäß § 230 StGB verfolgt wird. Bei Körperverletzung gilt eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Sofern verbale Gewalt ausgeübt wird, zählen dazu auch Äußerungen, die gegen die Ehre des Opfers gerichtet sind und den Tatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB erfüllen. Auch die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet. Sofern die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, kann eine Freiheitsstrafe für bis zu zwei Jahre oder eine Geldstrafe verhängt werden.

Darüber hinaus können sich für psychische wie physische Gewalt in Form von Körperverletzung, Beleidigung et cetera Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus § 823 BGB ergeben. Nach § 823 ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Gleiches gilt auch bei wahrheitswidriger Behauptung nach § 824 BGB.

Wichtig ist daher, dass es auch für solche Fälle ein Meldesystem gibt, bevorzugt ein anonymes Meldesystem, da vielfach die Betroffenen aus Angst vor Repressalien oder aus Scham sich nicht selbst zu erkennen geben und daher eine entsprechende Meldung nicht vornehmen. Auf eine derartige Meldung muss dann zeitnah reagiert werden. Zum einen durch die Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung und das Ergreifen entsprechender Schutzmaßnahmen, aber auch im Weiteren durch strafrechtliche Verfolgung der Betreffenden, um hier den Präventionscharakter des Strafrechtes zu nutzen, und zivilrechtlich sollten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche vom Täter eingefordert werden, um auch hiermit zu verdeutlichen, dass ein derartiges Verhalten nicht hinzunehmen ist. Das Schmerzensgeld richtet sich stets nach dem Einzelfall.

Im Weiteren hat auch der Betriebsrat hier auf die Einhaltung der Gesetze zu achten (§ 80 Betriebsverfassungsgesetz [BetrVG]). Er hat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht zu Fragen der Ordnung des Betriebes (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) und zu Fragen des Gesundheitsschutzes (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG).

Gemäß § 3 Abs. 2 Arbeitsschutzgesetz hat der Arbeitgeber dafür Sorge zu tragen, dass die erforderlichen Schutzmaßnahmen im Betrieb implementiert und umgesetzt werden und muss insofern die organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen schaffen und nachhalten.

Der Arbeitgeber muss die Arbeitnehmer gemäß § 12 Arbeitsschutzgesetz über die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit ausreichend und angemessen unterweisen und muss zum Beispiel aktuell die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards einhalten. Der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard verlangt zudem vom Arbeitgeber, sofern er seinen Schutz- und Fürsorgepflichten entsprechen will, die Ausarbeitung eines umfassenden Schutzkonzeptes, welches nur gesamtheitlich und alle Beschäftigten erfassend seine volle Wirksamkeit entfalten kann. Verstößt der Arbeitgeber gegen seine Fürsorgepflicht, indem er die erforderlichen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes nicht umsetzt, ist er in der Haftung. Dem Arbeitgeber kann das Haftungsprivileg nach § 4 Abs. 1 Satz 1 SGB VII im Fall der Berufskrankheit zugutekommen, da zum Beispiel COVID-19 anerkannt ist (BK Nr. 3101).

Darüber hinaus kommt eine Schadensersatzpflicht aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB in Betracht, sofern eine Verletzung einer arbeitsvertraglichen Pflicht vorliegt. Zu dieser zählt die Fürsorge- und Schutzpflicht nach § 618 BGB und die Rücksichtnahmepflicht § 241 Abs. 2 BGB. Darüber hinaus kann auch eine Schadensersatzpflicht aus § 823 BGB bestehen.

Aktuelle Rechtsprechung Das LAG Nürnberg hat mit Urteil vom 27. Mai 2020 (2SA 1/20) entschieden, dass eine Stellenanzeige, die „zukunftsorientierte, kreative Mitarbeit in einem jungen, hoch motivierten Team“ anbietet, eine Tatsache beinhaltet, die eine Benachteiligung des nicht eingestellten 61-jährigen Bewerbers wegen des Alters nach § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vermuten lässt.

Es empfiehlt sich daher, Stellenanzeigen diskriminierungsfrei zu gestalten und im Falle der Ablehnung zu prüfen, ob eine Diskriminierung geltend gemacht werden kann. Diese bewirkt zwar keinen Einstellungsanspruch, aber bei Begründetheit einen Schmerzensgeldanspruch je nach Lage des Einzelfalles.

Recht auf physische Überlassung der Listen über Bruttogehälter im Rahmen der Entgelttransparenz? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 28. Juli 2020 beschlossen (Beschluss vom 28. Juli 2020, Az.: 1 ABR 6/19), dass dem Betriebsrat in dem Fall, dass der Arbeitgeber selbst individuelle Auskunftsansprüche von Beschäftigten beantwortet, kein Einsichts- und Auswertungsrecht von Entgeltlisten nach § 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG zusteht und er somit auch keine physische Überlassung der Listen über die Bruttolöhne und -gehälter vom Arbeitgeber verlangen kann.

Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) kann ein tarifgebundener und tarifanwendender Arbeitgeber die Erfüllung der Auskunftsverpflichtung nach dem EntgTranspG generell oder in bestimmten Fällen übernehmen, wenn er dies zuvor gegenüber dem Betriebsrat erläutert hat. Auch nicht tarifgebundenen und nicht tarifanwendenden Arbeitgebern steht dieses Recht zu (§ 15 Abs. 2 EntgTranspG). Der Arbeitgeber kann die Übernahme der Auskunftsverpflichtung für die Dauer der Amtszeit des amtierenden Betriebsrates tätigen.

Sofern er diese Auskunftsverpflichtung rechtmäßig übernimmt, ist er dem Betriebsrat gegenüber nur zur umfassenden und rechtzeitigen Information über eingehende Auskunftsverlangen sowie über seine Antwort verpflichtet. Es bedarf, nach Auffassung des BAG, keiner Einsichtnahme und Auswertung des Betriebsrates in die Entgeltlisten mehr.

Entnommen aus MTA Dialog 9/2020

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