Surveillance: Abwasser auf Viren untersuchen

Einsatz der Shotgun-Metagenom-Sequenzierung
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Abwasserprobe vor der Sequenzierung.
Abwasserprobe vor der Sequenzierung. © Felix Petermann, Max Delbrück Center
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Im Berliner Abwasser hat ein Forschungsteam durch Metagenom-Sequenzierungen Tausende neuer Viren entdeckt. Zudem hat sich gezeigt, dass man mit Abwasseruntersuchungen die Ausbreitung von Krankheitserregern überwachen und Ausbrüche vorhersagen kann.

In der COVID-19-Pademie ist plötzlich eine neue Möglichkeit der Surveillance in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, die Abwasseruntersuchung. Dass Gesundheitsbehörden das städtische Abwasser überwachen, um bestimmte Mikroben wie eben SARS-CoV-2 aufzuspüren, ist jedoch nicht neu. Eine umfassende Surveillance, die zusätzlich auf bislang unentdeckte und somit unbekannte Viren abzielt, ist dagegen in den meisten Orten der Welt nicht die Norm. Laut Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft könnte sich dies aber in der Zukunft ändern. Denn Abwasser sei eine wahre Fundgrube für Daten zu Viren in unserer unmittelbaren Umgebung. Dies hat eine Studie der Arbeitsgruppe „RNA-Biologie und posttranskriptionale Regulation“ von Professor Markus Landthaler am Max Delbrück Center gezeigt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysierten Proben aus einer Berliner Kläranlage mithilfe der Shotgun-Metagenom-Sequenzierung. Dank dieser Technologie seien alle Viren im Wasser umfassend untersucht worden: von der Bestimmung von Virusvarianten bis hin zur Nachverfolgung einzelner Buchstabenänderungen im Erbgut.

Tausende neuartiger Viren gefunden

Das Forschungsteam fand dabei zuverlässig alltägliche Viren wie RSV oder Grippe und konnten die saisonale Ausbreitung der Virusvarianten nachvollziehen. Je nach Jahreszeit haben sie außerdem typische Besucher im Abwasser nachgewiesen: Viren, die Spargel infizieren, tauchten im Frühjahr auf, Weintrauben-Viren im Herbst und solche, die es auf Wassermelonen oder die Berliner Mücken abgesehen haben, im Sommer. Die weit verbreiteten Astroviren, die beim Menschen den Magen-Darm-Trakt befallen, haben sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genauer angesehen. Sie verglichen, welche Mutationen im viralen Genom im Berliner Abwasser vorkamen und welche anderswo gefunden worden waren. Damit war es möglich, die weltweite Ausbreitung einzelner Stämme nachzuverfolgen. In angereicherten Proben haben sie außerdem etwa 70 menschliche Pathogene detektiert und sequenziert, die seltener zu finden seien. Sie haben Tausende neuartiger Viren entdeckt. Die Analyse machte jedoch nicht bei den Viren halt. Die Daten haben auch Hunderte Enzyme namens TnpB-Endonukleasen ans Licht gebracht, die potenziell in der Biotechnologie nützlich sein könnten.

„Ungeheures Potenzial“ bei Abwasserüberwachung

„Die Überwachung des Abwassers hat meines Erachtens ungeheures Potenzial. Denn Sequenzierungen werden billiger“, sagt Landthaler. „Und mit den Maschinen werden sich auch die Bioinformatik-Werkzeuge verbessern, die wir für die Analyse dieser Daten brauchen.“ Die Berliner Forschung an den Abwasserproben hatte während der Coronapandemie begonnen. Dank einer Kooperation mit den Berliner Wasserbetrieben hatte die Arbeitsgruppe von Markus Landthaler Proben aus einer Berliner Kläranlage bekommen. So war es möglich, dass das Team die Verbreitung und die Wellen der SARS-CoV-2-Varianten verfolgen konnte. Als die Ausbrüche allmählich abebbten, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschlossen, die zwischen März 2021 bis Juli 2022 gesammelten Proben erneut zu untersuchen. „Wir waren neugierig, was da noch zu finden ist“, sagt Dr. Emanuel Wyler, Postdoktorand in der Arbeitsgruppe von Landthaler und Erstautor der Studie. „Wir hatten hier ja ein sehr umfassendes Set an Daten, das in seiner Tiefe und Zeitspanne einzigartig ist.“

Anspruchsvolle Auswertung der Daten

Das Forschungsteam extrahierte RNA aus den Proben und generierte 116 Bibliotheken komplementärer DNA. Sie speisten die Bibliotheken in einen Sequenzierer ein – und das Ergebnis waren Millionen Messwerte. „Diese Daten zu analysieren, ist eine Herausforderung“, sagt Dr. Chris Lauber, ein auf Bioinformatik spezialisierter Virologe von TWINCORE, dem Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI). „Genomische Daten in die großen Virenfamilien einzusortieren, ist vergleichsweise einfach. Aber eine tiefgehende Analyse, die nach Varianten oder ganz neuen Viren sucht, kann sehr anspruchsvoll sein.“ Dies alles zeige, welches Potenzial die Überwachung des Abwassers hat – um die Evolution pathogener Viren zu untersuchen und im Hinblick auf Public Health und damit für die Gesundheit der Bevölkerung, betont Landthaler: „Die Analyse des Metagenoms von Abwasser an möglichst vielen Standorten weltweit sollte Priorität haben.“

Literatur:
Wyler E, Lauber C, Manukyan A, et al.: Pathogen dynamics and discovery of novel viruses and enzymes by deep nucleic acid sequencing of wastewater. Environment International, Vol 190, Aug 2024, 108875, DOI: doi.org/10.1016/j.envint.2024.108875.

Quelle: idw/MDC

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