MDC: Virusvarianten im Abwasser aufspüren

Robustes System mit einem hohen Automatisierungsgrad
Mit Algorithmen neue Varianten des Coronavirus im Abwasser aufspüren
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Mit am Max Delbrück Center entwickelten Algorithmen lassen sich nicht nur neue Varianten des Coronavirus im Abwasser rasch aufspüren. Das Verfahren kommt auch anderen Krankheitserregern leicht auf die Schliche.

Nicht nur das Coronavirus verändert permanent sein Gesicht, um sich den Angriffen des menschlichen Immunsystems möglichst zu entziehen. Auch andere Erreger nutzen diese Strategie: Durch winzige Veränderungen in ihrem Erbgut, den Mutationen, bringen sie immer wieder neue Varianten hervor, denen die Körperabwehr oft weniger entgegenzusetzen hat als den Erregern, die sie schon durch eine Infektion oder Impfung kennt.

Infizierte hinterlassen ihre Spuren

„Daher ist es so wichtig, neu entstehende Virusvarianten möglichst rasch aufzuspüren“, erklärt Dr. Altuna Akalin, Leiter der „Bioinformatics and Omics Data Science Platform“ am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Centers (MDC-BIMSB). Gemeinsam mit vielen weiteren Forschenden des Max Delbrück Centers, den Berliner Wasserbetrieben und dem Laborunternehmen amedes hat der Bioinformatiker Akalin ein Verfahren entwickelt, um diese Varianten im Abwasser nachzuweisen. Denn dort hinterlässt sie jeder Mensch, der sich mit den Viren infiziert hat – unabhängig davon, ob oder welche Symptome er entwickelt und ob er getestet ist oder nicht. Erstmals vorgestellt hatte das Team um Akalin das computergestützte Werkzeug namens „PiGx SARS-CoV-2“ im Dezember 2021 auf der Preprint-Platform „medRxiv“. 

Infektionsdynamik leicht ablesbar

Die Grundidee der Datenanalyse-Pipeline hat sich seither nicht verändert. „Um sie zu nutzen, muss das Erbgut der Viren im Abwasser zunächst sequenziert, also entschlüsselt werden“, erklärt Akalin. Die gewonnen Daten werden dann gemeinsam mit ein paar zusätzlichen Informationen, zum Beispiel zur verwendeten Sequenziermethode, in die Pipeline eingespeist. Heraus kommen grafische Darstellungen, an denen auch Laien die Infektionsdynamik und die zirkulierenden Virusvarianten zeitgleich an verschiedenen Standorten ablesen können.

Verlässlicher als Testen?

„Auch neu auftretende Varianten lassen sich auf diese Weise aufspüren – in den meisten Fällen sogar ein paar Tage früher, als es durch kontinuierliche Tests und die Sequenzierung von Patientinnen und Patienten möglich wäre“, sagt Akalin. „Dank unserer Kooperationen konnten wir zudem zeigen, dass ein solches Abwasser-Frühwarnsystem sowohl in einem wissenschaftlichen Umfeld als auch auf industrieller Ebene erfolgreich ist.“ Routineuntersuchungen führe das Max Delbrück Center aber nicht durch, man stelle das Verfahren lediglich zur Verfügung, ergänzt Akalin.

Algorithmen jetzt robuster

Das jetzt im Fachblatt „Science of the Total Environment“ beschriebene Tool hat sich in den vergangenen Monaten weiterentwickelt. „Die von uns erstellten Algorithmen sind robuster geworden“, sagt Akalin. „Wir haben etwa den Beweis erbracht, unter anderem am Beispiel von New York, dass die Pipeline Daten aus ganz unterschiedlichen Teilen der Welt zuverlässig analysieren kann – auch unabhängig davon, nach welchem Protokoll diese Daten erstellt wurden.“

Software verfolgt Mutationen

Mit ihrer Methode haben Akalin und sein Team bereits die Delta- und die Omikron-Variante des Coronavirus entdeckt, bevor diese zu den jeweils dominierenden Varianten in der Bevölkerung wurden. „Unsere Software kann neu auftretende Mutationen sowohl räumlich als auch zeitlich verfolgen“, erklärt Akalin. „Finden sich an bestimmten Orten im Abwasser immer mehr Mutationen, werden diese markiert, um auf die Möglichkeit einer neuen Virusvariante hinzuweisen.“

Auswirkungen von Mutationen  

„Mithilfe zusätzlicher Tools, die in die Pipeline integriert werden, lassen sich sogar die Auswirkungen der gefundenen Mutation vorhersagen“, ergänzt Akalin. Man könne so künftig beispielsweise abschätzen, inwieweit sich die neuen Virusvarianten dem menschlichen Immunsystem entziehen – und ob sie dadurch ansteckender als die alten Varianten sein werden oder schwerere Krankheitsverläufe hervorrufen.

Hoher Automatisierungsgrad

„Eines der wichtigsten Merkmale unseres Ansatzes besteht jedoch darin, dass wir ein sehr robustes System mit einem hohen Automatisierungsgrad entwickelt haben, so dass es sich ohne Weiteres bei groß angelegten Abwasserüberwachungen einsetzen lässt“, sagt Akalin. Allerdings wolle sein Team nun noch weiter erforschen, wie das optimale Verfahren aussehe, um die Abwasserproben zu entnehmen. „Wo und wann man eine Probe nimmt, scheint die Daten durchaus zu beeinflussen“, räumt der Wissenschaftler ein.

Frühwarnsysteme nstallieren

Ziel aller beteiligten Teams am MDC-BIMSB ist es jedenfalls, den Ansatz nun auf andere Erreger als das Coronavirus auszuweiten und ein Frühwarnsystem zum Beispiel für kommende Grippe- oder Noroviren zu etablieren – also für Erreger, die sich ebenfalls stark auf die menschliche Gesundheit und damit auch auf die wirtschaftliche Produktivität auswirken.

Profitieren auch Impfstoffhersteller? 

„In den USA gibt es aufstrebende Unternehmen, die solche Dienstleistungen bereits anbieten“, sagt Akalin. Es sei daher absehbar, dass diese Art von Überwachungsstrategie künftig regelmäßig auch in anderen Teilen der Welt und, so hoffe er, auch für andere Krankheitserreger eingesetzt werde. Auch Impfstoffhersteller könnten von der Frühwarnung profitieren und ihre Impfstoffe in Zukunft womöglich leichter als bisher an neu auftretende Varianten anpassen.

Lauterbach setzt auf Abwasserdaten

Fakt ist: Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach setzt auf Abwasserdaten, wie er in der  bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit RKI-Chef Lothar Wieler zur Lage der Pandemie am 30. September angekündigt hat. 

Originalpublikation:
Vic-Fabienne Schumann, Rafael Ricardo de Castro Cuadrat, Emanuel Wyler et al. (2022): „COVID-19 infection dynamics revealed by SARS-CoV-2 wastewater sequencing analysis and deconvolution“, Science of the total environment, DOI: 10.1016/j.scitotenv.2022.158931

Quelle:  Max Delbrück Center

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