Glioblastom: Frühe Bildung von Geflecht

Erklärung für schwere Behandlungsmöglichkeit
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Stilisierte Darstellung von Tollwutvirus-infizierten Tumorzellen
Stilisierte Darstellung von Tollwutvirus-infizierten Tumorzellen (in magenta und grün) und den direkt mit ihnen verbundenen Nervenzellen (grün). © Universitätsklinikum Heidelberg
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Mit einem neuen Markierungsverfahren konnte gezeigt werden, dass Tumorzellen eines Glioblastoms schon früh mit verschiedenen Typen von Nervenzellen über das gesamte Gehirn verbunden sind. Das macht die Bekämpfung so schwer.

Laut Deutscher Hirntumorhilfe erkranken pro Jahr etwa 5-7 von 100.000 Menschen an einem Glioblastom. Das mittlere Erkrankungsalter beträgt dabei 62 Jahre. Das Langzeitüberleben (länger fünf Jahre) liegt nur bei 5-10 % der Patienten. Die Tumorzellen der hochaggressiven Glioblastome wachsen wie ein Pilzgeflecht in das Gehirn ein. Gefördert wird die Invasion ausgerechnet durch die Nervenzellen des Gehirns selbst, indem sie Zell-Zell-Kontakte mit den Tumorzellen eingehen und Erregungssignale an diese weitergeben. Nun haben Forscherinnen und Forscher der Universität Heidelberg, des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) sowie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) mittels eines neuen Verfahrens gezeigt, dass die Kontaktaufnahme deutlich früher und zudem durch mehr Typen von Nervenzellen stattfindet als bisher angenommen. Das Team um den Neurowissenschaftler und Neurologen, Dr. Dr. Varun Venkataramani, infizierte und markierte menschliche Glioblastomzellen mit veränderten Tollwutviren und verfolgte, wie sich kontaktsuchende Nervenzellen in menschlichen Gewebemodellen und im Mausgehirn ansteckten. Das Forschungsteam hofft, die neuen Erkenntnisse für zukünftige Therapien der bislang unheilbaren Tumoren nutzen zu können.

Baustein für die Entwicklung zukünftiger Therapien?

„Das Tumorgeflecht macht Glioblastome so schwer zu bekämpfen: Man kann sie nicht vollständig entfernen und ihre Vernetzung macht sie nahezu unempfindlich gegenüber Bestrahlung und Chemotherapie“, so Professor Dr. Wolfgang Wick, Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik des UKHD, Leiter des Europäischen Zentrums für Neuroonkologie an der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg und Leiter der Klinischen Kooperationseinheit „Neuroonkologie“ von UKHD und DKFZ. Er ist Sprecher des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereichs 1389 „Understanding and targeting resistance in glioblastoma“ (UNITE GLIOBLASTOMA), im Rahmen dessen die Forschungsarbeiten durchgeführt wurden. „Jede neue Erkenntnis, wie diese Tumoren ‚ticken‘ und wo ihre Schwachstellen liegen könnten, ist ein wertvoller Baustein für die Entwicklung zukünftiger Therapien.“ Trotz moderner Therapiestrategien überleben Betroffene nach der Diagnose im Durchschnitt weniger als zwei Jahre.

Einsatz der Tollwutviren

Die Idee von Dr. Dr. Venkataramani war es, ein Virus gegen die Tumorzellen ins Feld zu führen, das auf die Infektion von Nervensystemen spezialisiert ist: Tollwutviren werden meist über den Biss eines infizierten Tieres übertragen und befallen Nervenzellen. Von der Bisswunde wandern sie entlang der Nervenverbindungen bis ins Gehirn, wo sie eine lebensbedrohliche Entzündung hervorrufen. „Die Fähigkeit der Tollwutviren, von einer Nervenzelle über deren Kontaktstellen auf die nächste Nervenzelle überzuspringen, haben wir uns zunutze gemacht“, sagt der Neurologe. Veränderungen am Viruserbgut sorgten dafür, dass die Viren von der Tumorzelle nur auf direkt verbundene Nervenzellen überspringen. Eine Übertragung von diesen auf weitere Nervenzellen ist nicht möglich. Darüber hinaus überträgt das veränderte Virus die genetische Bauanleitung für Proteine, die fluoreszieren und dadurch sowohl Tumorzellen als auch deren direkte Kontaktpartner sichtbar machen. „Mit bisherigen Techniken ließen sich diese Zell-Zell-Kontakte nur in unmittelbarer Nähe des Tumors nachvollziehen. Mit Hilfe der Tollwutviren sehen wir erstmals auch die Kontaktpartner, die über lange Zellausläufer über weitere Strecken mit den Tumorzellen Verbindung aufnehmen“, sagt Svenja Tetzlaff aus dem Team von Dr. Dr. Venkataramani, eine der beiden Erstautorinnen des Artikels. „Wir können nun das gesamte Netzwerk der Tumor-Nerven-Verbindungen im Gehirn kartieren.“

Extrem schnelle Vernetzung der Tumorzellen

Die molekulare Kontaktnachverfolgung hat ergeben, dass die Tumorzellen sich extrem schnell mit den Nervenzellen vernetzen. Lange bevor der Tumor mittels klinischer Bildgebung sichtbar werde und lange bevor es zu neurologischen Störungen komme, seien die Krebszellen bereits an die neuronalen Netzwerke angebunden. „Damit haben wir nicht gerechnet. Es bedeutet, dass das aggressive Wachstum dieser Hirntumoren bereits in einem sehr frühen Stadium, lange vor den ersten Krankheitsanzeichen stattfindet“, so Ekin Reyhan, Nachwuchswissenschaftlerin an der Medizinischen Fakultät Heidelberg und ebenfalls Erstautorin der Arbeit. Zudem offenbarte der nun mögliche Blick auf weiter entfernte Kontaktpartner erstmals mehrere verschiedene Nervenzelltypen. Eine besondere Rolle scheinen jedoch sogenannte acetylcholinerge Nervenzellen zu spielen, die für Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsprozesse wichtig sind. Wurden die Tumorzellen genetisch gezielt so verändert, dass sie von diesen Nervenzellen keine Signale mehr empfangen konnten, verlangsamte sich das Tumorwachstum im Tierversuch.

Mögliche neue Therapien?

Die regen Kontakte zu gesunden Nervenzellen helfen dem Tumorgeflecht zudem, eine Bestrahlung besser zu überstehen, selbst wenn der Haupttumor im Kernbestrahlungsgebiet abstirbt, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler herausfanden: Die Bestrahlung erhöhte bei Mäusen die neuronale Aktivität, mehr Erregungssignale erreichten die verbliebenen Tumorzellen und befeuerten so deren Ausbreitung. Dämpften die Forscherinnen und Forscher die Überaktivität der Nervenzellen mit einem bestimmten Epilepsie-Medikament, wirkte die Strahlentherapie nachhaltiger, das Glioblastom regenerierte deutlich langsamer. „Das könnte höchst relevant für die Therapie sein“, so Dr. Dr. Venkataramani. „Aber da sich Ergebnisse aus Tierversuchen nicht 1:1 auf Menschen übertragen lassen, wissen wir das erst nach klinischen Studien mit Patientinnen und Patienten sicher.“ Auch mit den modifizierten Tollwutviren könnten die mit dem Tumor in Kontakt stehenden Nervenzellen blockiert werden. Das Team zeigte, dass dies prinzipiell möglich ist. Vor der Übertragung auf den Menschen sind allerdings noch umfangreiche Veränderungen des Virus notwendig.

Literatur:
Tetzlaff SK, Reyhan E, Layer N, et al.: Characterizing and targeting glioblastoma neuron-tumor networks with retrograde tracing. Cell. Published online December 6, 2024, DOI: 10.1016/j.cell.2024.11.002.

Quelle: idw/Uniklinikum Heidelberg

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