Medizinfortschritt mit Nebenwirkung (Teil 3)

Eine Bestandsaufnahme der Hightechmedizin in den letzten 50 Jahren in Deutschland
Hardy-Thorsten Panknin
Titelbild des dritten Teils des historischen Rückblicks auf 50 Jahre Hightechmedizin in Deutschland
Abb. 6: Ursachentrias der nosokomialen Probleminfektion, modifiziert nach Naumann [50] © Panknin, Hartmann
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„Wer die Leistungen der modernen Medizin – und besonders die der Impfungen oder der Antibiotikatherapie – bestreitet oder verniedlicht, vergisst, dass nur durch sie eine Verhinderung von Zweitkrankheiten, eine Verminderung der Ansteckungsgefahr, eine Abkürzung der Krankheitsdauer – weit außerhalb der Grenzen des früher Erreichbaren – gelungen ist“ [23, 45].

Häufigste Komplikation während eines Krankenhausaufenthaltes

Der inzwischen emeritierte Klinikhygieniker Prof. Dr. med. Franz Daschner (*1940) hat zwischen 1970 bis Anfang der 2000er-Jahre immer wieder auf die Misere der Klinikinfektionen durch eigene Studien hingewiesen: 1976 schrieb Daschner dazu: „Circa 5 Prozent aller Patienten erkranken an einer nosokomialen, das heißt im Krankenhaus erworbenen Infektion. Eine der Hauptursachen dafür sind therapeutische Maßnahmen, die zu einer erhöhten Keimexposition des Patienten (verunreinigte Beatmungsgeräte, Venen-, Blasenkatheter und so weiter) und zu einer erhöhten Disposition der Patienten durch Verminderung der körpereigenen Abwehr (Zytostatika-Therapie, Cortison, Bestrahlung, Operationen und so weiter) führen. Kreuzinfektionen werden vorwiegend durch die Hände von Ärzten und Pflegepersonal übertragen. Die Erfassung, Verhütung und Bekämpfung von Hospitalinfektionen durch speziell geschultes Personal (Krankenhausepidemiologen, Hygienefachschwestern, Klinikhygienekommissionen) ist dringend erforderlich und allein schon volkswirtschaftlich gerechtfertigt. In den Vereinigten Staaten müssen pro Jahr mindestens 1,13 Milliarden Dollar für die Diagnostik und Behandlung krankenhauserworbener Infektionen ausgegeben werden, Arztkosten und Kosten für Rehabilitation und Arbeitsausfall noch nicht eingerechnet“ [47, 48] (inzwischen gibt es eine Fülle an Studien dazu, die zu Besorgnis Anlass geben; Anm. d. Verf.). Auch Prof. Dr. med. Peter Naumann (1922–2004), Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Virologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der sich seinerzeit für nationale und internationale objektive Bewertungskriterien für die bakteriologische Resistenzbestimmung einsetzte und somit für eine bessere Übereinstimmung bei der Beurteilung der Erregersensibilität für eine rationale Therapie beitrug, definierte im Jahre 1981 die Ursachentrias der Hospitalinfektion [50] (siehe Abbildung 6).

Jüngst zeigte eine Punktprävalenzerhebung, dass die nosokomiale Infektionsrate in europäischen Kliniken der Maximal- und Regelversorgung in den Jahren von 2016–2017 zwischen 5,9 und 7,1 Prozent pro 100 stationären Patienten betrug. Kritisch kranke Patienten in der Intensivmedizin wiesen die höchste Infektionsrate mit 19,2 versus 5,2 Prozent Patienten anderer Fachdisziplinen auf. Die häufigsten im Krankenhaus erworbenen ermittelten Infektionen betrafen die Atemwege: 21,4 Prozent Pneumonien und 4,3 Prozent untere Atemwegsinfekte, die Harnwege 18,9 Prozent, postoperative Wundinfektionen 18,4 Prozent, Blutstrominfektionen beziehungsweise Bakteriämien (Sepsis) 10,8 Prozent und 8,9 Prozent den Gastrointestinaltrakt – wobei Infektionen mit dem Erreger C. difficile (CDI) maßgeblich dafür verantwortlich waren. Bei 4,9 Prozent der stationären Patienten lag bereits bei der Aufnahme ins Krankenhaus eine manifeste Infektion vor: Die Hälfte der Patienten hatte eine CDI-Infektion (44,6 Prozent) und ein Drittel der Patienten eine postoperative Wundinfektion, die die Patienten vor einem kürzlichen Klinikaufenthalt akquiriert hatten. Nach diesen neuen Daten ist davon auszugehen, dass jährlich 4,5 Millionen Patienten – Schwankungsbreite: 2,6–7,6 Millionen Patienten – in Akutkliniken in Europa und des europäischen Wirtschaftsraums an nosokomialen Infektionen erkranken [58].

Panoramawechsel der Krankheiten zur Chronizität

„So sind die neu auftretenden Leiden charakterisiert durch multifaktorielle Genese und polyvalenten Verlauf; sie sind vielfach bedingt durch Umweltfaktoren*, sind immer auch mitbedingt durch das eigene Verhalten. Ihr auffälligstes Merkmal aber ist die Chronizität, das heißt der Einbruch der Zeit in ein Menschenschicksal; den Panoramawandel der Krankheiten von den akuten Erkrankungen, die wir beherrschen zu den chronischen Leiden, die eher uns beherrschen“, so prägnant formulierte der Medizinhistoriker und Philosoph Prof. Dr. med. Heinrich Schipperges, Heidelberg in „Was ist gesund? Wer ist krank?“, das heutige Leiden der Bevölkerung an Krankheiten [7]. Eine völlige Wiederherstellung des früheren Zustandes gibt es, wenn überhaupt, bei ernsteren Erkrankungen eher selten [24]. Auch in der sehr lesenswerten Monografie der französischen Soziologinnen Claudine Herzlich und Janine Pierret aus dem Jahre 1991 „Kranke gestern, Kranke heute – Die Gesellschaft und das Leiden“ schreiben sie [6]: „Die chronische Krankheit ist fast für jeden von uns eine sichere Zukunftsaussicht. Der Kranke ist eine eigenständige kulturelle Persönlichkeit und einer der gesellschaftlichen Akteure unserer Zeit geworden.“ Als Fazit lässt sich schlussfolgern, dass ein längeres Leben, gleichzeitig mit einer Zunahme an Krankheit assoziiert ist. Der Mensch ist nicht nur seines Glückes, sondern auch seiner Gesundheit Schmied. Gesundheit wird vermehrt zu einem Anliegen der Erziehungswissenschaft werden müssen [39]. Die chronischen Krankheiten haben in den hochzivilisierten Industrienationen immer mehr zugenommen und die Kosten des Gesundheitswesens in diesen Ländern immer weiter ansteigen lassen. Multimorbidität** und Alter korrelieren (Abbildung 7). So besteht im Alter von 50 Jahren bei nahezu der Hälfte der Bevölkerung mindestens eine Erkrankung. Im Alter von 65 Jahren sind bereits die meisten Menschen multimorbid. Multimorbidität ist nicht nur ein Merkmal älterer Menschen; mehr als die Hälfte der Personen mit Multimorbidität und nahezu zwei Drittel mit physiko-mentaler Komorbidität waren in vielen Studien jünger als 65 Jahre [19, 22, 24, 28, 31, 32].

Die Dortmunder Orthopäden, unter Federführung von Professor Dr. med. Bernd-Dietrich Katthagen und Dr. med. Klaus Buckup, weisen in ihrem Buch „Hauptsache Gesundheit – welche Zukunft hat Medizin?“ eindringlich auf die gegenwärtige Faktizität hin, dass, bedingt durch die steigende allgemeine Lebenserwartung und den zunehmenden Anteil älterer Menschen, die Häufigkeit bösartiger Erkrankungen in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen habe. Demnach erkranken hierzulande circa 400.000 Menschen pro Jahr an einem bösartigen Tumor. Fast jeder vierte Bürger werde an Krebs sterben, jeder Dritte erkranken. Da sich Krebs heute im Wesentlichen als eine Krankheit definiere, die auf Veränderungen des Erbmaterials unserer Körperzellen zurückzuführen sei, sei davon auszugehen, dass er in Zukunft durch gentherapeutische Maßnahmen bezwungen werden könnte [28].

Prof. Dr. med. Lewis Thomas (25. November 1913–3. Dezember 1993), ein US-amerikanischer Mediziner (experimentelle Pathologie, Immunologie, Essayist) und Präsident des Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York, USA, schrieb voller Zuversicht: „Vor uns könnte wieder eine Revolution in der Medizin liegen, dieses Mal die zellbiologische. Wird die Angst vor dem Krebs nun ebenso verschwinden, wie die vor der Blutvergiftung, der tertiären Syphilis und der Tuberkulose im Jahre 1938? Vielleicht nicht so überstürzt, wie damals, aber ich denke schon; darauf gilt es sich vorzubereiten“ [52].

 

Qualitätsstandard der Medizin als Leistungsniveau der klinischen Versorgung

Prof. Dr. Uta Gerhardt, eine deutsche emeritierte Soziologin (*1938), schreibt in ihrer Publikation über „Chronische Krankheiten im gesellschaftlichen Kontext“: „Man muss hinzufügen, dass heute mehr als 90 Prozent der Nulljährigen mindestens das 60. Lebensjahr erreichen, also erst als ältere Menschen versterben. Die Mortalitätsstatistik bildet unterschiedliche Rhythmen der Sterblichkeitsentwicklung ab. Der Anteil der chronischen Diagnosen an der Gesamtmortalität hat sich im letzten Jahrhundert viel dramatischer erhöht als die tatsächliche Zuwachsrate der Todesfälle mit chronischen Diagnosen“ [11]. Sie postuliert, dass die Verbesserung der Lebensspanne auf die Entwicklungen der modernen Medizin zurückzuführen sei wie die Behandlung der Infektionskrankheiten mit Sulfonamiden und Ähnlichem sowie die Behandlung mit Dialyse und Transplantation, wodurch eine erweiterte Lebensspanne von bis zu drei Jahrzehnten möglich sei. Daneben verweist sie unter anderem auch auf Bypasschirurgie und Ballondilatation bei koronarer Herzerkrankung. Dies erlaube ein symptomfreies Leben bis ins hohe Alter. Die Lebensspanne und die Lebensqualität der Kranken würden durch diese Therapien nachhaltig verbessert. Die Prävalenzraten für zahlreiche chronische Erkrankungen lägen aufgrund dieser Fortschritte heutzutage wesentlich höher als früher. Entsprechend dokumentiere eine hohe Morbidität mit chronischen Diagnosen – gemessen an der Prävalenz – einen besonders hohen Qualitätsstandard der Medizin. Morbidität mit chronischen Diagnosen sei demnach geradezu ein Indikator für die Qualität der medizinischen Versorgung [11].

Auch kann die Hightechmedizin den Tod hinausschieben. Vielen Patienten wird somit Lebenszeit geschenkt. In der Umkehr bedeutet dies, dass der Zeitpunkt des Sterbens nicht selten von Menschen bestimmt wird. Nach Schätzungen der amerikanischen Krankenhausgesellschaft sind circa 40 Prozent aller Sterbefälle in Kliniken mit Entscheidungen über die Begrenzung von Behandlungen gegenwärtig verbunden [55].

Die operationsbedingte Letalität konnte wesentlich gesenkt werden. Letalitätsraten von 10–20 Prozent noch weit bis in die 1980er-Jahre wurden auf unter 4 Prozent reduziert. Auch die Spätergebnisse der Krebsoperationen konnten deutlich verbessert werden; so ließ sich stadienorientiert die 5-Jahres-Überlebenszeit nach chirurgischer Resektion verdoppeln. Diese Fortschritte wurden möglich durch eine Verbesserung der Qualitätssicherung, klar definierte Operationstechniken, radikale Präparationen und/oder Techniken der Mikrochirurgie [29].

Neue Techniken der verschiedenen bildgebenden Verfahren und der Endoskopie ermöglichen eine exakte Stadieneinteilung und damit eine bessere Operationsplanung. Eindrucksvoll sind die Ergebnisse der Metastasenchirurgie. Für die Lebensqualität der Patienten von Vorteil ist die organ- und funktionserhaltende Chirurgie an den Extremitäten, der Brust, dem Magen-Darm-Trakt und der Lunge. Bei Patienten, bei denen sich Metastasen an der Wirbelsäule oder an Armen und Beinen entwickelt haben, bestehen häufig sehr starke Schmerzen mit Knochenbrüchen, der Gefahr der Querschnittlähmung und der Immobilität. Hier ermöglichen die heutigen operativen Behandlungsmethoden zwar keine wesentliche Verlängerung des Lebens, aber durch Schmerzminderung oder gar Schmerzbefreiung und Erhalt der Beweglichkeit eine ganz erhebliche Verbesserung der Lebensqualität. Auch werden der Krankenhausaufenthalt und die Pflegebedürftigkeit hierdurch entscheidend vermindert. Die immensen Fortschritte in der Medizin auf der Ebene von Diagnose und Therapie ermöglichen die Steigerung der diagnostischen Genauigkeit und damit eine gezieltere Therapie. Sie erreichen eine Verkürzung der Behandlungszeiten und des Behandlungsumfangs, steigern die Behandlungsintensität und führen letztendlich zu einer besseren Ergebnisqualität [28].

Ökonomische Aspekte: Rationierung von Gesundheitsleistungen

Seit dem 1. Juli 1975 – Gesetz zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz – KVKG) – zählen Kostenkontrolle und Kostendämpfung zu den vorrangigen Zielen der Sozialpolitiker aller regierenden Parteien. In regelmäßigen zeitlichen Zyklen fallen provokante Äußerungen zur Gesundheitsreform. In den allermeisten Fällen sind es die Ökonomen, die finanzielle Defizite bei den Krankenkassen beklagen und mit drakonischen finanziellen Forderungen die Gemeinschaft der Versicherten verunsichern – sogar schockieren und Angst um ihre gesundheitliche Existenz auslösen. Jüngst hat wieder ein Wirtschaftswissenschaftler, der Ökonom Bernd Raffelhüschen aus Freiburg, eine hohe finanzielle Selbstbeteiligung durch gesetzlich Kassenversicherte vorgeschlagen: 800 Euro jährliche Selbstbeteiligung beim Arztbesuch, wobei stationäre operative Eingriffe hiervon ausgeschlossen werden sollten. Sein Kostenplan sieht vor, dass die anfallenden Gesundheitskosten von den Krankenversicherungen erst von den Versicherten erstattet werden sollten, wenn sie im Jahr die 800-Euro-Marke beim Arztbesuch überschritten haben. Danach soll dann eine weitere Erstattung nur bis 50 Prozent erfolgen. Ab einem jährlichen Selbstbeitrag von 2.001 Euro sollen dann die weiteren Behandlungskosten von der Krankenkasse komplett übernommen werden (BILD-Zeitung vom 16. Juni 2023).

Viele Versicherte waren zu Recht in der jetzigen angespannten finanziellen Situation darüber empört. Hiervon wären besonders die Rentner und Einkommensschwachen betroffen. Sie könnten sich dann wohl keinen Arztbesuch mehr erlauben. Aber gerade diese Menschen, die am häufigsten an chronischen Erkrankungen (Multimorbidität) leiden, beanspruchen die meisten Arztkonsultationen. Wer nicht selbst zahlen kann und zu alt ist – so ein Standpunkt eines inzwischen emeritierten Lehrstuhlinhabers für christliche Gesellschaftslehre an der Universität Bochum im Jahre 2003: „Der muss an seiner Krankheit sterben, um der Allgemeinheit Kosten zu ersparen.“

Mit dieser Meinung steht er nicht alleine da, so wurden bereits schon vor 20 Jahren die steigenden Gesundheitskosten öffentlich thematisiert [1]. 70 Prozent der medizinischen Kosten im Leben eines Menschen werden in den letzten zwei Jahren seiner Existenz anfallen; 50 Prozent davon sogar im letzten Lebensjahr. Zyniker formulieren dahingehend: Ärzte würden heute mehr in den Tod als in das Leben investieren. Für Menschen aller Altersgruppen gilt vielmehr: In der Regel schnellen die Kosten 12–18 Monate vor dem Tod in die Höhe. Ab dem 80. Lebensjahr sind nicht mehr Ärzte, Arzneimittel und Klinikbehandlungen der größte Posten, sondern Kosten für die Pflege in Alters- und Pflegeheimen [56]. Hierzu ist anzumerken: Je mehr Lebensqualität, dank des medizinischen Fortschrittes für den kranken Menschen erzielt wird, desto höher sind auch die ökonomischen Konsequenzen bis zum Tode. Bis zum Ende der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts wurde die wichtige Frage nach der Lebensqualität der Kranken in ihren Bemühungen sträflich vernachlässigt. Mediziner gelobten, Apparatemedizin und Technik in Zukunft mehr auf den Umfang zu reduzieren, der sich allein aus der Perspektive sinnvoller Heilmaßnahmen ergibt, so das Plädoyer auf dem 85. Internistenkongress im April des Jahres 1989 durch den Tagungspräsidenten, Prof. Dr. med. Egon Wetzels (1928–2016): „Diagnostik und Therapie müssen in Zukunft mehr nach dem Prinzip ‚so viel wie nötig, aber nicht so viel wie möglich‘ erfolgen“ [46].

Auch das 5. „Cadenabbia-Gespräch Medizin – Ethik – Recht“ widmete sich diesem schwierigen Thema der gerechten Verteilung knapper Gesundheitsressourcen. Im September 2006 trafen sich Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen – unter anderem Politiker, Ärzte, Juristen, Ethiker und Ökonomen –, um in der Villa La Collina, dem internationalen Tagungszentrum der Konrad-Adenauer-Stiftung in Cadenabbia am Comer See, über diese Fragen zu diskutieren. Die Ausgaben wachsen schneller als die Einnahmen, sodass es zu Knappheitssituationen kommen kann. Die Einnahmenseite ist limitiert, besonders aufgrund einer sinkenden Zahl von Beitragszahlern. So bleibe vor allem ein Ansatzpunkt: Für was wollen wir im System Geld ausgeben, welche Investitionen nutzen den Patienten, welche zeigen die beste Effektivität und Effizienz? Nur durch ein kluges, vorausschauendes Management der Gesundheitsausgaben werden gute Versorgung, Verfügbarkeit neuer Therapiemöglichkeiten und Finanzierbarkeit miteinander vereinbar sein. Sie spielen jedoch, zumindest im Empfinden vieler Menschen, eher eine marginale Rolle. Humanität, Barmherzigkeit, Empathie und Solidarität – das sind für die meisten Menschen die entscheidenden Kriterien, die bei der Gesundheitsversorgung die zentrale Rolle spielen sollten, und nicht die Ökonomie. Patienten wollen eine umfassende und kontinuierliche, qualitätsgesicherte Versorgung. Der Kranke von heute möchte selbst bestimmen, welche Versorgungsebene im Krankheitsfall in Anspruch genommen wird, wobei ihm die freie Arztwahl wichtig ist. Circa 30 Prozent der Patienten lehnen die Steuerung der Versorgung durch Hausärztinnen und Hausärzte ab und verlangen auch bei geringfügigen Gesundheitsstörungen die direkte Inanspruchnahme des Facharztes oder bei schwereren Krankheiten die freie Wahl des Krankenhauses. Patientenrechte, mit Entscheidungen über Krankheitsbehandlung im informierten Zustand und so viel Transparenz wie möglich, haben einen wachsenden Stellenwert. Der kranke Mensch von heute ist Produzent von Gesundheit. Man muss ihn befähigen, als Co-Therapeut mit dem behandelnden Arzt und anderen Gesundheitsfachberufen aktiv zusammenzuarbeiten. Dies verpflichtet den Staat, durch eine verantwortliche Gesundheitspolitik den Zugang zur gesundheitlichen Versorgung für alle zu sichern, und zwar nicht nur – unter Sparaspekten – zu finanzierbaren Preisen, sondern auch – unter medizinischen, ethischen und rechtlichen Aspekten – auf einem qualitativ hohen Niveau, das dem aktuellen Wissensstand der Medizin entspricht [56].

 

*    Die wichtigsten Krebsformen beim Menschen lassen sich durch individuelle und gesteuerte Vorbeugung bekämpfen. Krebs der Atemorgane, des Pankreas und der Harnblase lassen sich durch Unterlassung des Zigarettenrauchens vermindern. Magenkrebs kann man durch Verminderung der Nitritaufnahme und Erhöhung des Verzehrs roher Lebensmittel mit Ascorbinsäure sowie durch Eradikation des Bakterium Helicobacter pylori reduzieren. Die Prävention von Dickdarm-, Brust-, Prostata- und auch Pankreaskrebs kann von einer Verminderung des Anteils von (ungesunden) Fetten an der Gesamtkalorienaufnahme abhängen.

**    Der Begriff „Multimorbidität“ bezieht sich nach allgemeinem Verständnis auf zwei oder mehr gleichzeitig bei einem Patienten vorkommende chronische Erkrankungen, von denen jede für sich vergleichbare Auswirkungen auf die individuelle Krankheitslast hat [31].

Fortsetzung und Literaturverzeichnis folgen.

 

Entnommen aus MT im Dialog 10/2023

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