Chancen der Digitalisierung noch nicht ausgeschöpft
Bei fast 40 Prozent der Patienten, die ins Krankenhaus kommen, könne man einen Zusammenhang mit einer schlecht kombinierten Medikation feststellen, sagte Hedwig François-Kettner, Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) in Berlin. Große Chancen für eine bessere Patientensicherheit sieht sie in der Digitalisierung. Das Potenzial sei jedoch noch lange nicht umrissen oder gar umgesetzt. „So gibt es beispielsweise in der Arzneimitteltherapiesicherheit noch viele ungeahnte Möglichkeiten – von IT-Lösungen zum Schutz vor gefälschten Arzneimitteln bis hin zum elektronischen Medikationsplan.“
Von den Chancen der Digitalisierung ist auch der Vorsitzende des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), Josef Hecken, überzeugt: „Der Innovationsausschuss fördert verschiedene Projekte, die das Funktionieren einer digitalen Anwendung in einem definierten Einsatzbereich modellhaft testen.“ Das sei notwendig, um die Praxistauglichkeit und den Mehrwert nachzuweisen, bevor die digitalen Projekte in die Regelversorgung kommen.
Als Beispiel dient etwa das Projekt AdAM – Anwendung digital-gestütztes Arzneimitteltherapie- und Versorgungs-Management. Die Software unterstützt Hausärzte bei ihrem Arzneimitteltherapie-Management für Erwachsene, die auf mindestens fünf Arzneimittel angewiesen sind. Die Ärzte bekommen Krankenkassenabrechnungsdaten wie Diagnosen und Verordnungen, potenzielle Risiken und medizinisch-pharmazeutische Fachinformationen patientenbezogen zur Verfügung gestellt
Digitales Kinderarzneimittel-Informationssystem
Im Projekt KiDSafe – Verbesserung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Arzneimitteln durch Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit wird ein digitales Kinderarzneimittel-Informationssystem zusammen mit pädiatrisch-pharmakologischen Qualitätszirkeln in Kinderkliniken und den zuweisenden Kinderarztpraxen eingeführt. Über die systematische Erfassung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen und Medikationsfehlern sollen mögliche Sicherheitsrisiken der Arzneimittel bekannt werden.
François-Kettner hofft, dass längst angekündigte Anwendungen wie die E-Patientenakte und der E-Medikationsplan mit dem neuen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn endlich vom Reißbrett in die Wirklichkeit überführt werden. „Wir glauben allerdings schon seit 15 Jahren daran. Die Datenautobahn für die Umsetzung sollte aber inzwischen stehen, sodass digitale Projekte jetzt in die Breite gehen können“, sagte die Vorsitzende des APS.
Einige Universitätskliniken haben die Digitalisierung bereits selbstständig im Sinne der Patientensicherheit vorangetrieben. Auf dem besten Weg zum „Smart Hospital“ ist derzeit unter anderem das Universitätsklinikum Essen. Anfang 2019 soll dort eine elektronische Patientenakte in allen Abteilungen eingeführt werden. „Die Mitarbeiter von 27 Kliniken durchlaufen aktuell Schulungen. Auf die Ärzte und Pfleger kommt eine große Umstellung zu. Schon bald sollen sie jedes Patientengespräch in Echtzeit dokumentieren“, kündigt Ruth Hecker an. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des APS und leitet die Stabsstelle Qualitätsmanagement und klinisches Risikomanagement am Universitätsklinikum Essen.
Checkliste für die Nutzung von Gesundheits-Apps
Ein weiterer Bestandteil des Smart Hospital in Essen wird das Unit-Dose-System sein, um Medikationsfehler zu vermeiden. Das System leitet eine elektronische Verordnung an den zuständigen Klinikapotheker weiter. Dann werden die Arzneimittel patientenspezifisch nach der ärztlichen Verordnung zusammengestellt, verblistert, an die Station weitergeleitet und elektronisch dokumentiert.
Eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf (UKE), das ebenfalls mit dem Unit-Dose-System arbeitet, zeigte bereits 2014, dass die Unit-Dose-Versorgung die Patientensicherheit verbessert. Auf 2.981 Medikationen aus der Unit-Dose-Versorgung entfielen 21 Abweichungen (0,7 %). Im Vergleich dazu lag die Fehlerrate bei den 130 manuell gestellten Arzneimitteln mit 28 Abweichungen deutlich höher bei 21,5 %.
Zum Thema Digitalisierung hat das APS bereits Handlungsempfehlungen sowie eine Checkliste für die Nutzung von Gesundheits-Apps herausgegeben. Letztere sei bisher die Broschüre, die am häufigsten beim APS angefordert wurde, berichtete François-Kettner. Aufgrund der Fülle des App-Angebots strebt das APS selbst kein Gütesiegel an. Ein bundeseinheitliches Gütesiegel für Apps forderte indes Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), anlässlich des Internationalen Tags der Patientensicherheit.
Artikel teilen