In seiner aktuellen Publikation, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Cell Systems“, beschreibt Stelzl das Vorgehen der Kinasen. Mithilfe von Protein-Netzwerken wählen sie die Stellen der Zelle aus – Substrate genannt – an denen sie Modifizierungen vornehmen können. Jede menschliche Zelle besitzt rund 500 Kinasen, denen mehr als 300 000 Substrate zur Auswahl stehen. Doch nicht jedes Substrat springt immer auf die Veränderungsversuche an. Trotzdem sind die Modifizierungen sehr koordiniert und bestimmen die Eigenschaften der Zellen.
Das Auswahlverfahren der Kinasen ist schwer live zu beobachten. „Wir wissen, dass Kinasen an bestimmte Proteine ein Phosphat anhängen und so deren Wirkungsweise verändern“, erklärt Stelzl. „Allerdings ist es genauso wichtig zu verstehen, wie und wann die Enzyme ihre vielen Substrate selektieren.“ Denn in der Zelle passieren mehrere Prozesse gleichzeitig, und es ist nicht direkt messbar, welche Kinase was macht. Stelzl vergleicht den Vorgang mit einem Wahlkampf: „Ein Kandidat – das wäre die Kinase – ist auf der Suche nach potenziellen WählerInnen, den Substraten. Er besucht viele Veranstaltungen, verteilt seine Informationen über Flyer und versucht, beim Publikum anzudocken. Manche Angesprochenen werfen den Zettel weg, andere nehmen ihn mit. Der Kandidat weiß aber nie mit Sicherheit, wer ihm letztlich wirklich seine Stimme geben wird, auch, weil die anderen Kandidaten das Gleiche versuchen. Eindeutige Prognosen des Wahlausgangs sind deshalb nur schwer anzustellen und oft steht man am Ende vor einem anderen Resultat als vorausgesagt war.“
Um trotzdem die Wahl der Kinasen zu beobachten, wendeten die ForscherInnen einen Trick an. Sie transferierten menschliche Kinasen in Hefezellen, wo sie genau beobachten konnten, wie sich die Enzyme verhalten. In diesem künstlichen Umfeld gab es sozusagen nur eine Wahlmöglichkeit. „So konnten wir jede Modifikation, die auf den Hefeproteinen passiert, eindeutig auf eine bestimmte Kinase zurückführen“, schildert Stelzl. Dadurch wurde deutlich, dass die Enzyme die Protein-Interaktions-Netzwerke nutzen, um zu bestimmen, wo sie Veränderungen hervorrufen. „Wenn das Netzwerk als Multiplikator verwendet wird, muss das einzelne Substrat gar nicht notwendigerweise erkannt werden“, erläutert Stelzl. Diese Erkenntnis der Arbeitsgruppe lässt sich für die Entwicklung von besseren medikamentösen Krebstherapien nutzen.
Corwin T, Woodsmith J, Apelt F, Fontaine JF, Meierhofer D, Helmuth J, Grossmann A, Andrade-Navarro MA, Ballif BA, Stelzl U. Defining Human Tyrosine Kinase Phosphorylation Networks Using Yeast as an In Vivo Model Substrate. Cell Syst. 2017 Aug 23;5(2):128-139.e4. DOI: 10.1016/j.cels.2017.08.001. https://authors.elsevier.com/a/1Vbn58YyDfRBym
Quelle: idw/Karl-Franzens-Universität Graz, 28.08.2017
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