Wann sollte eine Genom-Sequenzierung durchgeführt werden?

Wichtige Impulse für die diagnostische Praxis
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DNA Helix
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Unter welchen Umständen bietet die Sequenzierung des gesamten Genoms Vorteile bei der Diagnose genetischer Erkrankungen im Vergleich zur Exom-Sequenzierung?

Genmutationen in der DNA des Menschen können zu Krankheiten führen, da Proteine für wichtige Funktionen im Körper nicht korrekt gebildet werden. In der Aufklärung solcher Erkrankungen wurden große Fortschritte erzielt. Viele Erkrankungen sind der Wissenschaft bereits bekannt und bestimmten Genen zuzuordnen. Um sie zu diagnostizieren, wird standardmäßig das Verfahren der sogenannten Exom-Sequenzierung eingesetzt. Die Exom-Diagnostik fokussiert sich auf die kodierenden circa 1-2 Prozent des menschlichen Genoms, in dem aber ein Großteil der bekannten krankheitsverursachenden Varianten zu finden sind.

Vollständige Genom-Sequenzierung vs. Exom-Sequenzierung

„Eine Exom-Analyse führt jedoch in zwei Dritteln der Fälle nicht zu einer Diagnose; dann stellt sich die Frage, was nun?“, sagt Prof. Dr. Rami Abou Jamra. Er ist Professor für Medizinische Genomik an der Universität Leipzig und leitet die Genetische Diagnostik am Institut für Humangenetik, Universitätsklinikum Leipzig (UKL). „Für die Betroffenen und ihre Familien bedeutet eine eindeutige Diagnose sehr viel: nicht nur die Bestätigung, dass die Krankheit nicht ihre eigene Schuld ist – sie ebnet auch den Weg für öffentliche Anerkennung und eine personalisierte Therapie, wo dies möglich ist“, so der Arzt. Um die Vorteile einer vollständigen Genom-Sequenzierung im Vergleich mit der Exom-Sequenzierung beurteilen zu können, untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Broad Institute of MIT and Harvard sowie der Harvard Medical School in Boston 744 Familien. Hierbei handelt es sich um erkrankte Kinder und ihre Eltern, bei denen der Verdacht auf eine genetisch bedingte Erkrankung vorlag und bei denen eine Exom-Sequenzierung zum Teil keine Diagnose ermöglicht hatte.

Mehr Klarheit durch Genom-Sequenzierung

In Leipzig wurden am Institut für Humangenetik mittels Genom-Sequenzierung in einer unabhängigen Patientenkohorte 350 Familien analysiert, bei denen eine Exom-Sequenzierung keine Erkenntnisse gebracht hatte. Die ersten 78 Fälle flossen in die gemeinsame Studie mit den Bostoner Kollegen ein. Von allen Familien wurde die komplette DNA in Milliarden kleine Abschnitte zerschnitten und abgelesen (short read sequencing). Die Daten werteten die Forscherinnen und Forscher mittels bioinformatischer Programme und Algorithmen aus. „Im Vergleich zu einer Exom-Sequenzierung brachte die Genom-Sequenzierung in zusätzlichen acht Prozent der Fälle Klarheit: das ist relevant mehr“, erläutert Abou Jamra, der die Leipziger Studie leitete. „Insbesondere, wenn eine krankheitsursächliche genetische Veränderung darin besteht, dass sehr kleine DNA-Abschnitte fehlen, unspezifische Sequenzen sich verlängern oder wenn die Veränderung gar nicht im kodierenden Teil liegt, hilft diese Methode entschieden weiter“, so der Mediziner.

Qualitäts- und Informationsverlust bei Exom-Sequenzierung

„Bei der Exom-Sequenzierung werden die kodierenden Abschnitte im Labor aus der DNA herausgelöst und chemisch angereichert, und das führt leider zu einem Qualitäts- und Informationsverlust“, erklärt der Forscher. Doch letztlich könnten diese Informationen entscheidende Hinweise enthalten. Außerdem hätten auch Genabschnitte außerhalb des Exoms wichtige Funktionen, etwa zur Regulierung von Mechanismen, die die Proteinsynthese steuern. Der Nachteil: Diese Abschnitte werden mit einer Exom-Analyse gar nicht erfasst. Schließlich wollen die Forscherinnen und Forscher durch den umfassenden Blick über das gesamte Genom neue Krankheitsbilder und -mechanismen identifizieren.

Genetisch bedingte Krankheiten entschlüsseln

„Unsere Daten legen nahe, schneller zur Genom-Sequenzierung zu greifen, gerade wenn eine Exom-Sequenzierung keine Klarheit gebracht hat“, sagt Abou Jamra. „In der Vergangenheit gab es in der Fachliteratur Unklarheit, wann eine Genom-Sequenzierung geboten ist. Die ermittelte, große Datenbasis zeigt nun auch dank des Leipziger Beitrags, dass die Ergebnisse durchaus in der klinischen Anwendung tragfähig sind“, betont der Wissenschaftler. Ein weiterer Vorteil der Genom-Sequenzierung, obwohl diese derzeit noch etwa zweieinhalbmal so teuer ist wie eine Exom-Sequenzierung, sei ein langfristiger: Liegen die Daten einmal vor, sei es einfach, diese später noch einmal auf neue Erkenntnisse zu überprüfen, da weltweit neue krankheitsrelevante Gen-Mutationen entdeckt und dokumentiert werden, wie Abou Jamra betont, „wir werden mehr Genome ablesen, und das alles mit einer noch aufschlussreicheren Technik, die sich long read sequencing nennt. Sie erlaubt das Ablesen längerer Abschnitte an einem Stück. Damit wollen wir alle genetisch bedingten Krankheiten entschlüsseln.“

Literatur:
Wojcik MH, Lemire G, Berger E, et al.: Genome Sequencing for Diagnosing Rare Diseases. New England Journal of Medicine, Volume 390, Number 21, June 6, 2024, Pages: 1985-97, DOI: 10.1056/NEJMoa2314761.

Quelle: idw/Uni Leipzig

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