TikTok-Trend macht ungewollt auf Cushing-Syndrom aufmerksam
Leider gibt es immer wieder Trends auf der chinesischen Social-Media-Plattform TikTok, bei der man nur den Kopf schütteln kann. Vor allem, wenn es um Gesundheitsthemen geht, ist es umso unverständlicher, wenn dort Dinge nicht korrigiert werden, die offensichtlicher Unfug oder gar gefährlich sind. Auch beim jüngsten TikTok-Trend „Cortisol Face“ betonen wieder einmal selbst ernannte „Experten“ fälschlicherweise, dass Alltagsstress zu einem rundlicheren Gesicht führe (auch „Mondgesicht“ genannt). Neben dem längerfristigen Einsatz des Medikaments Cortison (wie bspw. Prednisolon) können auch ernsthafte Krankheiten dahinterstecken. So werde damit ungewollt auf die Problematik seltener endokrinologischer Erkrankungen aufmerksam gemacht, gewinnt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) dem Trend noch etwas Gutes ab.
Seltene Erkrankung Cushing-Syndrom
Tatsächlich kann ein aufgedunsenes, gerötetes Gesicht und ein stämmiger Körper bei gleichzeitig schlanken Armen und Beinen auf das sehr seltene Cushing-Syndrom hindeuten, bei dem der Cortisolspiegel dauerhaft erhöht ist. Bei dieser seltenen Hormonerkrankung produziert der Körper dauerhaft überhöhte Mengen des Stresshormons Cortisol. Cortisol ist eines der wichtigsten Stresshormone unseres Körpers. Doch ein dauerhaftes Zuviel ist schädlich. Unbehandelt weist die Erkrankung eine 5-Jahres-Überlebensrate von nur etwa 50 Prozent auf. Umso dramatischer, dass oft viel Zeit vergeht, bis die Betroffenen die korrekte Diagnose erhalten – eine Problematik, die allerdings viele seltene Erkrankungen betrifft.
Cortisol erfüllt wichtige Funktion
Um in Gefahrensituationen die Leistungsbereitschaft zu erhöhen, mobilisiert Cortisol Zucker aus den Reserven und lässt den Blutdruck steigen, das Schlafbedürfnis sinkt. Zugleich wird jedoch die Immunfunktion gedrosselt, und es kommt zu Änderungen im Kalzium- und Fettstoffwechsel – ein Grund, warum sich auf Dauer vermehrt Fett im Gesicht und der Körpermitte ablagert. „Cortisol ist ein wichtiger Player im Zusammenspiel der Hormone. Eine permanente Überproduktion, wie sie für Cushing-Patientinnen und -Patienten charakteristisch ist, kann die Gesundheit jedoch erheblich beeinträchtigen“, fasst Professor Dr. med. Martin Reincke Fluch und Segen des Hormons zusammen.
Diagnose in Deutschland besonders spät
Bleibe eine Cushing-Erkrankung unbehandelt, so der Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik IV der LMU München und Inhaber des dortigen Lehrstuhls für Endokrinologie und Diabetologie, liege die 5-Jahres-Überlebsrate nur bei etwa 50 Prozent. Umso wichtiger sei es, dass das Cushing-Syndrom frühzeitig erkannt und angemessen behandelt wird. Doch das ist oft nicht der Fall. Reincke verweist auf eine internationale Studie, nach der es im weltweiten Durchschnitt fast drei Jahre (34 Monate) dauert, bis die korrekte Diagnose gestellt wird. „In Deutschland wird diese Zeit noch einmal um fast zwei Jahre überschritten. Hierzulande erhalten die Betroffenen ihre Diagnose erst nach durchschnittlich 56 Monaten.“ Angesichts des hohen Risikos für lebensbedrohliche Folgeerkrankungen sei diese Verzögerung sehr problematisch.
Wenige Betroffene entwickeln komplettes Beschwerdebild
Eine Ursache für die späte Diagnose liegt auf der Hand: Das Cushing-Syndrom ist eine sehr seltene Krankheit, an der jedes Jahr nur rund 5 bis 10 von einer Million Menschen neu erkranken. Vielen Hausärztinnen und Hausärzten ist das Krankheitsbild daher nicht vertraut. „Außerdem sind die Beschwerden und körperlichen Veränderungen recht unspezifisch und nur wenige Betroffene entwickeln das komplette Beschwerdebild“, sagt Professor Dr. rer. nat. Jan P. Tuckermann, Leiter des Instituts für Molekulare Endokrinologie der Tiere an der Universität Ulm und Präsident der DGE. Und wenn dann doch irgendwann die Verdachtsdiagnose gestellt werde, tue sich eine weitere Hürde auf: Deutschland habe im internationalen Vergleich nur wenige endokrinologisch weitergebildete Fachärztinnen- und Fachärzte. Die Wartezeit für einen Termin, bei dem die Diagnose gesichert werden kann, beträgt daher oft Monate.
Wie ließe sich die Diagnose verbessern?
Um hier gegenzusteuern, haben einige Universitätsklinika bereits spezielle Cushing-Ambulanzen eingerichtet, in denen Betroffene zeitnah von Experten untersucht werden. „Außerdem wurde 2012 das Deutsche Cushing-Register gegründet, das der Versorgungsforschung dient. Zusammen mit anderen seltenen Hormonerkrankungen wird das Cushing-Syndrom zudem in einem speziellen Forschungsverbund weiter erforscht“, sagt Reincke. Weitere Maßnahmen, die zu einer besseren und schnelleren Versorgung beitragen könnten, wären etwa ein frühes Screening bei Cushing-Verdacht, eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Hausärzten, Endokrinologen und anderen Spezialisten sowie eine Weiterentwicklung von Labormarkern und diagnostischer Bildgebung.
Quelle: DGE
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