Staupevirus: Neue Angriffsmöglichkeit entdeckt

Struktur des „Andock-Proteins“ bestimmt
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PD Dr. Jean-Marc Jeckelmann
PD Dr. Jean-Marc Jeckelmann, Ko-Autor der Studie, bei der Aufnahme von Bildern mit dem neuen Kryo-Elektronenmikroskop (das blau beleuchtete Gerät im Hintergrund). © IBMM / Universität Bern
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Das hochansteckende Hundestaupevirus ist gefährlich für Hunde und wildlebende Tiere. Zudem ist es eng verwandt mit dem ebenso hochansteckenden Masernvirus. Neue Therapien sind nun greifbar.

Aufgrund ihrer großen Ansteckungsfähigkeit und ihres oft tödlichen Ausgangs ist die Staupe eine der gefürchtetsten Viruskrankheiten bei Hunden. Die Sterbewahrscheinlichkeit betroffener Hunde nach Infektion wird laut Niedersächsischem Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit weltweit nur von der Tollwut übertroffen. Forscherinnen und Forscher der Uni Bern und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften haben nun erstmals die Struktur des „Andock-Proteins“ des Hundestaupevirus bestimmt und auf molekularer Ebene abgebildet. Zum Einsatz kam dabei die Kryo-Elektronenmikroskopie. Damit sei der Grundstein gelegt für die Entwicklung neuer Therapien für eine bessere Bekämpfung von Hundestaupe – und der Ansatz könne auch für die Bekämpfung von Masern genutzt werden. Für Menschen ist das Hundestaupevirus allerdings ungefährlich. Ein weiterer Verwandter ist jedoch das Seehundstaupevirus, das nach der Epidemie im Jahr 2002 in Nord- und Ostsee den Tod von Tausenden von Seehunden verursachte.

Hirninfektionen kommen häufig vor

Das Masernvirus und das Hundestaupevirus (Canine Distemper Virus, CDV) gehören zur Gattung Morbillivirus: bei diesen handelt es sich um hochansteckende RNA-Viren, die von einer Hülle umgeben sind, auf der ihre „Andock-Proteine“ herausragen – ähnlich wie das Spike-Protein beim Coronavirus. Beide Viren verursachen sowohl Atemwegsinfektionen als auch tödliche Gehirnentzündungen, wobei Hirninfektionen nur bei CDV häufig vorkommen. Obwohl gegen Masern ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht, sterben daran immer noch über 100.000 Menschen pro Jahr. Das Hundestaupevirus seinerseits verursacht speziell bei Wildtieren große Epidemien, unter anderem auch bei bedrohten Tierarten wie bestimmte Tigerarten. Es besteht zudem ein hohes Risiko einer Übertragung auf andere Tierarten – in Ländern mit unzulänglichem Impfschutz können Hunde schwer befallen werden.

Maßgeschneiderte antivirale Medikamente?

Bei Masern könnten antivirale Medikamente eine gute Ergänzung zu den Impfkampagnen darstellen. Und auch bei CDV würden Medikamente die Behandlung von infizierten gefährdeten Arten in Gefangenschaft, zum Beispiel Pandas, unterstützen, betonen die Wissenschaftler. Allerdings sei derzeit kein antivirales Morbillivirus-Medikament zugelassen. Um wirksame Medikamente herzustellen, sei ein besseres Verständnis der Struktur des Masern- und Staupevirus und der Mechanismen, die das Eindringen in die menschlichen und tierischen Zellen ermöglicht, nötig. Forscherinnen und Forscher um Dimitrios Fotiadis vom Institut für Biochemie und Molekulare Medizin (IBMM) der Medizinischen Fakultät der Uni Bern und Philippe Plattet von der Abteilung für Neurologische Wissenschaften der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern ist es nun gelungen, erstmals die Struktur des „Andock-Proteins“ des Hundestaupe-Virus zu bestimmen und auf molekularer Ebene abzubilden. Diese Erkenntnisse könnten es ermöglichen, „maßgeschneiderte“ Wirkstoffe gegen dieses „Andock-Protein“ zu entwickeln, die das Eindringen des Virus in Wirtszellen verhindern.

Struktur des H-Proteins bestimmt

Der Mechanismus, mit dem sich die Masern- und das Hundestaupevirus in die Zellen einschleusen, basiert auf zwei Proteinen auf der Virushülle: einem „Andock-Protein“ (auch H-Protein genannt) und einem „Fusionsprotein“ (F-Protein). Aufgrund bisheriger Forschung geht man davon aus, dass das H-Protein bei der Interaktion mit einem Wirtszellrezeptor ein Signal übermittelt, welches das F-Protein aktiviert. Daraufhin kommt es zu einer Fusion der Virenhülle mit der Membran der Wirtszelle. Dabei wird eine sogenannte Fusionspore gebildet, die das Eindringen des viralen Erbguts in die Wirtszelle ermöglicht. Nun konnte das Team um Fotiadis und Plattet gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) erstmals mittels Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) die Struktur dieses H-Proteins bestimmen und auf molekularer Ebene abbilden. Bei der Kryo-Elektronenmikroskopie werden biologische Proben bei kryogenen Temperaturen (rund −180 °C) und um 100.000-facher Vergrößerung abgebildet. Dabei zeigte sich, dass das Protein durch drei Hauptdomänen (Köpfe, Hals und Stiel) charakterisiert ist, die sich zu einem „Y“ formen. „Dass wir die Struktur ermitteln konnten, stellt einen großen Sprung nach vorn dar. Dies ermöglicht es uns, nun zu verstehen, wie sich die verschiedenen Subdomänen räumlich zueinander verhalten – und liefert uns eine wertvolle Vorlage, um antivirale Medikamente der nächsten Generation zu entwickeln, die das ‚Andock-Protein‘ abblocken“, sagt Dimitrios Fotiadis.

Neuartige therapeutische Ansätze möglich

„Die gleichzeitige Blockierung des Zelleintrittsprozesses beim Staupe- und Masernvirus mit mehreren unterschiedlichen neutralisierenden Molekülen ist eine vielversprechende antivirale Strategie“, erklärt Plattet. Derzeit haben Forscherinnen und Forscher des Konsortiums um Plattet und Fotiadis und der Universität Marseille erfolgreich Antikörper identifiziert, die CDV auf hochwirksame Weise neutralisieren. Bei der weiteren Forschung wird die kürzlich neu eingerichtete Kryo-EM-Plattform der Uni Bern nützliche Dienste leisten: so können die Strukturstudien für CDV und verwandte Viren jetzt erweitert und beschleunigt werden, etwa um die Strukturen der H-Proteine des Masern- und Staupevirus zu bestimmen, wenn sie an neutralisierende Antikörper gebunden sind. „Dank der durch Kryo-EM bestimmten viralen Strukturen können wir mittels sogenanntem Struktur-basiertem Wirkstoffdesign antivirale Medikamente entwickeln und verbessern“, so Fotiadis.

Literatur:
Kalbermatter D, Jeckelmann J-M, Wyss M, et al.: Struktur und supramolekulare Organisation des Canine Distemper Virus Attachment Glycoproteins. Proc. Natl. Acad. Sci. USA, 30. Januar 2023, DOI: doi.org/10.1073/pnas.2208866120.

Quelle: Uni Bern

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