SARS-CoV-2-PCR-Testkapazitäten sind nicht beliebig zu steigern
Es war allgemein erwartet worden nach der deutlichen Ausweitung des SARS-CoV-2-PCR-Testangebotes an Reiserückkehrer und der Einführung der Testpflicht für Einreisende aus Risikogebieten: Sowohl die Zahl der angeforderten SARS-CoV-2-PCR-Tests als auch die Zahl der positiven Befunde sind in der vergangenen Kalenderwoche (KW 32) deutlich gestiegen. Das geht aus der wöchentlichen Datenanalyse der Akkreditierten Labore in der Medizin – ALM e.V. hervor, an der bundesweit 146 Labore teilgenommen haben, davon etwa ein Drittel außerhalb des Verbands. Mit 655.944 PCR-Tests und einem Anstieg von 26 Prozent im Vergleich zur Vorwoche erreichte die Zahl der vom 03. bis 09. August in den fachärztlichen Laboren durchgeführten Tests einen neuen Höchststand. Entsprechend dem Infektionsgeschehen stieg auch die Zahl der positiven Befunde – und zwar auf 6.696 (+28 Prozent).
Die immense Zunahme des Testgeschehens brachte die Labore mancherorts an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit, trotz der im internationalen Vergleich sehr hohen Testkapazitäten. Die Lieferungen von Geräten und Testmaterialien aus der In-vitro-Diagnostika-Industrie sind jedoch begrenzt und rationiert. Die Mitglieder des ALM appellieren daher an die Politik, keine weiteren Versprechungen zu Tests zu machen: „Vorhaben wie in Bayern, die Zahl der Tests pro Woche von 20.000 auf 200.000 zu steigern, sind wenig realistisch und setzen falsche Signale. Auf Kosten aller Bürgerinnen und Bürger werden hier Ressourcen versprochen, ohne die Realisierung konkret zu benennen. Für die Versorgung symptomatischer Patienten, in Krankenhäusern und Pflegeheimen und bei der so entscheidenden Aufdeckung der Infektionsketten könnten diese Ressourcen am Ende fehlen“, betont Dr. Michael Müller, 1. Vorsitzender des ALM e.V.
Warnung vor Überlastung der Labore
So weisen die ALM-Mitglieder erneut auf einen wichtigen Aspekt hin: „Wir sollten die PCR-Tests durchführen, die prioritär medizinisch notwendig und im Sinne einer guten Prävention nützlich sind. Das ist die zentrale Aufgabe der Pandemieeindämmung. Auf keinen Fall sollten wir die gut etablierten flächendeckenden Strukturen der fachärztlichen Labore dauerhaft überlasten“, mahnt Dr. Müller: „Auch wenn Sie mit einem Auto mit 240 in der Spitze über die Autobahn fahren könnten, halten Sie das Tempo ja nicht dauerhaft vom Start bis zum vielleicht weit entfernten Ziel, weil Sie wissen, dass dann der Motor kaputt geht, sie kurzfristig tanken müssen und außerdem viel Geld ausgeben, ohne am Ende viel effizienter gewesen zu sein. Auch wir können unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die als MTLA und Wissenschaftler die zentralen diagnostisch tätigen Personen in der COVID-19-Pandemie sind, nicht unentwegt bis zum Anschlag belasten!“
Zwar sei die Testkapazität mit zusätzlichen 2 Prozent erneut auf sehr hohem Niveau stabil geblieben und liege nun bei wöchentlich knapp über 1 Mio. SARS-CoV-2-PCR-Tests. Diese lange aufgebauten Testkapazitäten seien aber in erster Linie dazu gedacht, kurzfristige Anforderungsspitzen wie bei regionalen Ausbrüchen abzufedern und nicht, um sämtliche möglichen Wünsche und Vorstellungen nach freier Testung zu bedienen. „Versprechen wie in Bayern, bis Ende August die Kapazität von 20.000 auf 200.000 Tests hochzufahren, sind weder realistisch noch hätte ein solch willkürliches Ziel irgendeinen Nutzen für die Bevölkerung“, konstatiert auch Prof. Jan Kramer, Vorstand im ALM e.V.
"Massenhafte anlasslose Test wiegen Menschen in falscher Sicherheit"
„Die Zahl falsch-negativer und statistisch gesehen auch die falsch-positiver Befunde steigt sogar mit der Zahl der Tests, insbesondere bei der Massenuntersuchung völlig asymptomatischer Personen. Wir sehen schon heute, dass Reiserückkehrer bei der Ankunft zwar einen negativen Test aufweisen, ein paar Tage später jedoch symptomatisch getestet werden. Solche massenhaften anlasslosen Tests wiegen die Menschen nur in falscher Sicherheit“, so der Internist und Facharzt für Laboratoriumsmedizin. „Statt Tests für alle ohne Anlass zur fordern, sollten wir uns im Sinne einer erfolgreichen Präventionsstrategie noch mehr dafür einsetzen, dass die AHA-Regel ‚Abstand‘, ‚Hygiene‘ und ‚Alltagsmaske‘ konsequent eingehalten wird. Hier könnte noch viel mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden“, so Kramer.
Viel Potenzial bei der Aufklärungsarbeit sieht der ALM auch bei der Nutzung der Corona-Warn-App. „Dass die App bis heute noch nicht überall zuverlässig funktioniert, liegt an der starren Haltung der Vertragspartner der Bundesregierung“, kritisiert Wolf Kupatt, Vorstand im ALM. So habe sich die Telekom viel Zeit gelassen, mit der kv.digital über eine Anbindung der Labore via KV-Connect zu verhandeln, am Ende jedoch keine vertragliche Lösung gefunden. „Das hat uns alle sehr viel Zeit und Ressourcen gekostet. Wir erwarten hier von der Telekom eine mehr auf Partnerschaft ausgerichtete Zusammenarbeit im Interesse der Bevölkerung. Im Sinne einer guten Pandemiebekämpfung sollte nicht die Ökonomie im Vordergrund stehen, sondern eine möglichst praktikable Lösung für die Labore und alle Beteiligten“, so Kupatt.
Vorbereitung auf den kommenden Herbst
Eine solche suchen die Mitglieder des ALM auch in Vorbereitung auf den kommenden Herbst: „Die fachärztlichen Labore in Deutschland nehmen die Herausforderungen der COVID-19-Pandemie sehr ernst und sind intensiv dabei, Vorkehrungen zu treffen, dem dann steigenden Bedarf an PCR-Tests zur Diagnostik von Atemwegserkrankungen gerecht zu werden“, erklärt Dr. Michael Müller und schließt: „Solchen Pragmatismus und Weitblick wünsche ich mir von allen an der Bewältigung der Pandemie Beteiligten.“
Quelle: ALM, 11.08.2020
Artikel teilen