Laut Informationen des Robert Koch-Instituts erkrankten allein im Jahr 2020 deutschlandweit insgesamt 65.820 Männer neu an Prostatakrebs. Bei rechtzeitiger Früherkennung sind die Aussichten gut. Dennoch verzeichnete das Zentrum für Krebsregisterdaten für jenes Jahr 15.403 Sterbefälle aufgrund eines Prostatakarzinoms. Es handelt sich beim Prostatakrebs um die häufigste Krebsart bei Männern in Deutschland. Gleichzeitig ist es die zweithäufigste Todesursache bei einer Krebserkrankung. Die meisten Prostatakrebsarten sind für ihr Wachstum auf männliche Geschlechtshormone, so genannte Androgene, angewiesen. Unabhängig von Operation und Strahlentherapie gilt der Entzug der Androgene für Patienten mit Prostatakrebs in fortgeschrittenen Stadien der Krankheit als Standardbehandlung. Bei langem Androgenentzug wird der Prostatakrebs jedoch androgenunabhängig und wächst weiter. Die Aggressivität eines Tumors hängt stark mit den sogenannten Tumorstammzellen zusammen. Im Vergleich zu anderen Tumorzellen sind sie besonders beweglich. „Wir gehen davon aus, dass diese Tumorstammzellen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Tumoren und der Bildung von Metastasen spielen“, sagt die Leiterin der OncoRay-Arbeitsgruppe „Biomarker für die individualisierte Strahlentherapie“, Prof. Anna Dubrovska.
Therapien individualisieren
Besonders problematisch ist, dass sich Tumorstammzellen resistent gegenüber herkömmlichen Tumortherapien zeigen. Deshalb könnten sie maßgeblich für das Wiederauftreten von Tumoren nach einer Strahlentherapie verantwortlich sein. Die Anzahl der Tumorstammzellen und ihre Strahlenempfindlichkeit ist je nach Tumortyp unterschiedlich. „So individuell wie die Patienten sind, so individuell sind auch ihre Krebserkrankungen“, erklärt Dubrovska. Erfolgreiche Therapien für die Zukunft müssen deshalb viel spezifischer auf den einzelnen Patienten zugeschnitten sein. Die Wissenschaftler/-innen widmen sich in ihrer Arbeit deshalb speziellen Merkmalen der Tumorstammzellen, den sogenannten Biomarkern. „Durch sie bekommen wir Hinweise auf die Eigenschaften und die Anzahl der Tumorstammzellen.“ Die Forscherinnen und Forscher schauen so ins Innenleben des Tumors.
Gene als Biomarker
In Bezug auf den Prostatakrebs beschäftigten sie sich mit zwei Genen als Biomarker: mit den sogenannten Aldehyd-Dehydrogenasen (ALDH) ALDH1A1 und ALDH1A3. Aldehyd-Dehydrogenasen sind Enzyme, die eine wichtige Rolle im Stoffwechsel des Menschen und anderer Lebewesen spielen. Ihr Hauptzweck besteht darin, Aldehyde, also organische Verbindungen, zu oxidieren. Bisher sind 19 solcher ALDH-Gene im Menschen bekannt. Sie sind auch an der Regulation von Stammzellprozessen beteiligt. Schon länger gelten sie deshalb in der Wissenschaft als mögliche Biomarker für Krebserkrankungen, weil eine erhöhte Aktivität der ALDH mit Tumorstammzellen in Verbindung gebracht wird. Lassen sich damit also auch aggressive Krebszellen und damit für Patienten schlechtere Krankheitsverläufe frühzeitig erkennen?
Resistenz gegenüber Strahlentherapie beeinflussen
Für ihre Studie wendete die Forschungsgruppe des OncoRay, das gemeinsam vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR), dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden und der Medizinischen Fakultät TU Dresden getragen wird, verschiedene Methoden an, um die Rolle von ALDH1A1 und ALDH1A3 bei Prostatakrebs zu untersuchen. In Zellkulturen, Zebrafischen und im Mausmodell schalteten sie die beiden Gene aus. Sie wollten sehen, wie sich das auf den Krebs auswirkt. Zusätzlich analysierten sie verschiedene Tumor-Gewebeproben von Patienten mit Prostatakrebs. Die Untersuchungen zeigten, dass ALDH-Gene das Überleben von Tumorzellen im Blutkreislauf und die metastatische Verbreitung regulieren und so die Resistenz gegenüber Strahlentherapie und das Bilden von Knochenmetastasen beeinflussen. Die Forscher/-innen wiesen damit nach, dass die Gene als potenzielle Biomarker für den Krankheitsverlauf bei Patienten mit Prostatakrebs dienen können. Mit weiteren molekularen Untersuchungen klärten sie außerdem, welche Rolle sie bei einer weiteren Ausbreitung von Prostatakrebs im menschlichen Organismus spielen.
Chance für neue Therapien?
„Wir haben gesehen, dass ALDH1A1 das Überleben von Krebszellen im Blutkreislauf und auch deren Ausbreitung im Körper fördert“, erläutert Dr. Ielizaveta Gorodetska, Genetikerin in der Forschungsgruppe. Im Vergleich dazu spielt ALDH1A3 eine entgegengesetzte Rolle und beeinflusst diese Prozesse negativ. In Prostatakrebsgeweben, die sich bereits in andere Teile des Körpers ausgebreitet haben, stellten die Forscher/-innen unterschiedliche Mengen von ALDH1A1 und ALDH1A3 fest. „Zeigen die Proben von Krebspatienten höhere Mengen von ALDH1A1, ist die Prognose für eine erfolgreiche Therapie schlechter. Sind dagegen die ALDH1A3-Konzentrationen hoch, fällt die Prognose besser aus“, fasst Dubrovska zusammen. Den Dresdner Wissenschaftlern ist damit erstmals der Nachweis gelungen, dass die ALDH-Gene als Biomarker für die Vorhersage der Metastasen-Ausbreitung und der Strahlenresistenz bei Patienten mit Prostatakrebs funktionieren.
Ergebnisse auch für andere Tumoren relevant?
Diese Rolle der ALDH-Gene wird durch ihr Zusammenspiel mit Androgenen in Prostatakrebszellen vermittelt. Daraus ergeben sich neue Chancen, um wirkungsvolle Therapien zu entwickeln, die auch gegen widerstandsfähige Tumorstammzellen helfen. Die Direktorin des HZDR-Instituts für Radioonkologie – OncoRay und der Klinik für Strahlentherapie, Prof. Mechthild Krause, erklärt die Chancen für eine Umsetzung zugunsten der Patienten: „Wir können mit diesem Wissen weitere Untersuchungen durchführen, um die Diagnose und die Behandlung der Patienten zukünftig erheblich zu verbessern, sei es mit Medikamenten oder einer individuell angepassten Strahlentherapie.“ Im nächsten Schritt soll nun geprüft werden, ob die Ergebnisse auch bei anderen Krebsarten wie Kopf-Hals-Tumoren, Brustkrebs oder einem Glioblastom zutreffen.
Quelle: idw/HZDR
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