Pandemie: Wie wirken sich Schulschließungen aus?

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Die Entwicklung von Corona-Fallzahlen
Die Entwicklung von Corona-Fallzahlen, erkanntem Drift sowie Beschließung politischer Maßnahmen am Beispiel Italien. Grafik: Lucas Baier, KIT
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Bevor ausreichend viele Menschen geimpft sind, bleiben nichtpharmazeutische Interventionen (NPI) – wie das Reduzieren sozialer Kontakte – notwendig, um die Bevölkerung so gut wie möglich vor einer COVID-19-Infektion zu schützen. Können Schulschließungen hier eine Rolle spielen?

Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben mit Methoden des Maschinellen Lernens die Wirksamkeit von NPI untersucht. Seit Wochen wenn nicht gar Monaten wird über die Effekte von Schulschließungen in diesem Zusammenhang diskutiert. In Deutschland hieß es von politischer Seite nach dem letzten Lockdown im Frühjahr, dass die Schulen auf jeden Fall offenbleiben sollen. Die Analyse der KIT-Wissenschaftler von Daten aus neun europäischen Ländern und 28 US-Bundesstaaten soll nun aber aufzeigen, dass insbesondere frühzeitige Schulschließungen die Trendwende bei den täglichen Fallzahlen ausmachen können. Das Preprint der Studie, die im European Journal of Information Systems veröffentlicht wird, ist hier nachzulesen. Allerdings geben die Forscher auch zu bedenken, dass solche Untersuchungen mit einem hohen Maß an Unsicherheit verbunden seien.

Tägliche Fallzahlen untersucht

Die Wissenschaftler am Karlsruhe Service Research Institute (KSRI)/Institute of Information Systems (IISM) des KIT untersuchten die zwischen dem 22. Januar und 12. Mai 2020 von der US-amerikanischen Johns-Hopkins-Universität erhobenen täglichen Fallzahlen aus Österreich, Belgien, Deutschland, Italien, Norwegen, Spanien, Schweden, der Schweiz und Großbritannien sowie 28 US-Bundesstaaten. Vier Maßnahmen nahmen die Forscher in den Blick: die allgemeine Einschränkung von Versammlungen, das Reduzieren persönlicher sozialer Kontakte, Schulschließungen sowie einen Lockdown. Berücksichtigt wurden außerdem länderspezifische Merkmale wie die Altersstruktur, Bevölkerungsdichte, medizinische Infrastruktur und das Klima in den jeweiligen Ländern und Bundesstaaten. „Nach unserem Forschungsansatz konnte bei den Schulschließungen ein signifikanter Effekt auf die Dauer zwischen NPI-Beschluss und deren Auswirkung in den Daten identifiziert werden“, sagt Dr. Niklas Kühl, Leiter des Applied AI in Services Labs am KSRI/IISM. Je eher die Schulen geschlossen worden seien, desto deutlicher habe sich der Effekt sinkender Fallzahlen gezeigt, so Kühl. „Hätten wir im Frühjahr in Deutschland einen Tag länger gewartet, bis wir die Schulen schließen, hätte dies laut unseren Analysen 125.000 zusätzliche Infektionen bedeutet, die Schließung sieben Tage später sogar 400.000 zusätzliche Fälle“, sagt der Wirtschaftsinformatiker.

Dauer von zwei Wochen bis zur Wirksamkeit

Bis eine Maßnahme wirkt, dauere es im Durchschnitt zwei Wochen, fanden die Forscher heraus. Das Ergebnis der Effektivität von Schulschließungen bedeute jedoch nicht, dass andere NPI oder Faktoren, die nicht in das Modell einbezogen worden seien, nicht auch einen wesentlichen Einfluss auf die Eindämmung der Pandemie haben könnten, so die Wissenschaftler in ihrer Veröffentlichung. So wurde z.B. das Tragen von Masken in der Untersuchung nicht analysiert, weil diese Maßnahme in den betrachteten Ländern zumeist erst spät eingeführt wurde. Alle Forschungsarbeiten, die sich auf die Messung der Wirksamkeit verschiedener NPI bezögen, seien mit einem hohen Maß an Unsicherheit verbunden, so die Forscher. Dies liege insbesondere daran, dass je nach Land beziehungsweise Bundesstaat die konkrete Umsetzung stark variiere und die Bevölkerung die Maßnahmen unterschiedlich diszipliniert einhalte.

Nutzung der Concept Drift-Erkennung

Für faktenbasierte Aussagen über die Effektivität von Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie nutzten die Wissenschaftler Lucas Baier, Niklas Kühl, Jakob Schöffer und Gerhard Satzger vom KIT die Concept Drift-Erkennung. Diese Methode aus dem Gebiet des Maschinellen Lernens wird angewandt, um eine strukturelle Veränderung – einen sogenannten Drift – in einer datenerzeugenden Umgebung zu erkennen. „Als in der Bekämpfung der Corona-Pandemie öffentlich die Frage diskutiert wurde, wann eine Maßnahme sich auf die Fallzahlen auswirke, haben wir entschieden, Verfahren aus diesem Bereich zu verwenden, um dies festzustellen“, sagt Kühl. Üblicherweise dient die Concept Drift-Erkennung dazu, KI robust zu gestalten: Es soll sichergestellt werden, dass die mit vorhandenen Daten trainierte KI im Einsatz erkennt, wenn sich die Umgebung ändert. Somit soll sie auch bei Eingangsdaten, die vom Gelernten abweichen, kontinuierlich akkurat weiterarbeiten. Die Wissenschaftler haben sich die Methode zunutze gemacht, um eine fundamentale Änderung der Daten zu erkennen und mit der vorangegangenen Einführung einer NPI in Beziehung zu setzen. „Unsere Analyse zeigt, wie wichtig eine rechtzeitige Reaktion auf die Ausbreitung der Pandemie ist, um die aktiven Fälle auf einem überschaubaren Niveau zu halten“, schreiben die Karlsruher Wissenschaftler. Mit ihrer Untersuchung wollen sie zur faktenbasierten Grundlage für nationale und übernationale gesundheitspolitische Entscheidungen beitragen.

Literatur:

Lucas Baier, Niklas Kühl, Jakob Schöffer, Gerhard Satzger: Utilizing Concept Drift for Measuring the Effectiveness of Policy Interventions: The Case of the COVID-19 Pandemic. Erscheint in: European Journal of Information Systems. Preprint unter: publikationen.bibliothek.kit.edu/1000126905.

Quelle: idw/KIT

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