Pandemie: MTA litten am stärksten unter psychischen Folgen
Ärztliches Personal, Pflegekräfte, Technische Angestellte, Seelsorgerinnen und Seelsorger in den Kliniken: Sie alle waren durch die COVID-19-Pandemie schwer belastet. Welche Schutzfaktoren helfen können, mit diesen Belastungen umzugehen, zeigt nun eine Studie der Universität Bonn. Sie basiert auf einer gemeinsamen großen Online-Befragung an den Universitätskliniken Bonn, Erlangen, Ulm, Dresden und Köln. Auch viele andere Kliniken in Deutschland beteiligten sich. Als besonders wichtig stellte sich darin die empfundene Kohärenz heraus – vereinfacht gesagt: das Gefühl, dass das Leben sinnvoll ist und Herausforderungen verständlich eingeordnet werden können.
Auch MTA wurden befragt
Die Forschenden hatten von April bis Juli vergangenen Jahres, also während der ersten COVID-19-Pandemiewelle, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen zu der Online-Befragung eingeladen. „Darunter waren neben dem ärztlichen Personal und den Pflegekräften auch zwei Gruppen, die in der Diskussion bislang vernachlässigt wurden“, erklärt Prof. Dr. Franziska Geiser, Direktorin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn. „Einerseits die vergleichsweise kleine Zahl der Seelsorgerinnen und Seelsorger in den Kliniken. Und andererseits die vielen Medizinisch-technischen Angestellten – die MTAs in den Untersuchungsbereichen, der Radiologie und den Laboren.“
Die meisten Teilnehmer arbeiten im Krankenhaus
In der aktuellen Studie wurden mehr als 4.300 ausgefüllte Fragebögen ausgewertet. Gut 80 Prozent der Teilnehmer/-innen arbeiteten zum Zeitpunkt der Erhebung in Krankenhäusern, 11 Prozent am Uniklinikum Bonn. Sie sollten unter anderem angeben, wie sehr sie sich aktuell und vor der Umfrage durch ihre Arbeit belastet fühlten und wie oft sie unter Depressions- und Angstsymptomen litten. Zudem wurden drei mögliche sogenannte „Resilienzfaktoren“ erhoben, von denen man annimmt, dass sie gegen psychische Folgen von Stress schützen: soziale Unterstützung, Religiosität und Kohärenzgefühl.
Mehr als 20 Prozent mit ausgeprägten Depressions-Symptomen
Jeweils mehr als 20 Prozent der Befragten gaben Depressions- oder Angstsymptome in einem behandlungsbedürftigen Ausmaß an. „Wir wissen nicht, wie es bei genau dieser Stichprobe vor der Pandemie aussah“, erklärt Geiser. „Die gefundenen Werte liegen jedoch höher als in früheren Untersuchungen bei Ärzten und Pflegepersonal, wir können also von einer Zunahme in der Pandemie ausgehen. Während aber in Normalzeiten Ärzte und Pflegepersonal eine höhere psychische Belastung aufweisen als die restliche Bevölkerung, hatten sie in der Pandemie in unserer Befragung geringere Angstwerte. Das macht natürlich neugierig auf mögliche Schutzfaktoren.“ Dies umso mehr, da Geiser Teil einer interdisziplinären DFG-Forschungsgruppe an der Universität Bonn ist, die sich der Erforschung der Resilienz widmet.
Kohärenzgefühl stach hervor
Unter den potenziellen Resilienzfaktoren stach besonders das Kohärenzgefühl hervor. Der Begriff stammt aus der Salutogenese, einem in den 1980er-Jahren von dem Mediziner Aaron Antonovsky entwickelten Konzept, das die Suche nach gesundheitsfördernden Faktoren und Einstellungen in den Mittelpunkt stellt. „Das Kohärenzgefühl bezeichnet das Ausmaß, in dem wir unser Leben als verstehbar, sinnhaft und bewältigbar empfinden“, erklärt Jonas Schmuck aus Geisers Arbeitsgruppe, der zusammen mit Dr. Nina Hiebel Erstautor der Studie ist. Je ausgeprägter das Kohärenzgefühl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war, desto seltener litten sie unter psychischen Symptomen. „Daraus lässt sich aber nicht unbedingt ein kausaler Zusammenhang ableiten“, warnt Geiser vor voreiligen Schlüssen. „Es könnte auch sein, dass Angst oder Depression ihrerseits die empfundene Kohärenz mindern.“
Bessere Kommunikation gefordert
Dennoch glaubt sie, dass dieser Faktor uns tatsächlich resilienter gegen Stress und besondere Herausforderungen macht. Aus ihrer Sicht ergeben sich aus der Studie daher einige wichtige Schlussfolgerungen, wie man in Zukunft mit Krisen wie der COVID-19-Pandemie umgehen sollte: „Je komplexer die Situation, desto besser müssen wir kommunizieren“, betont sie. „In einer neuen Situation wie der Pandemie lassen sich Unsicherheiten und auch Widersprüche, zum Beispiel bei Schutzmaßnahmen oder Behandlungsabläufen, nicht vermeiden. Je besser Mitarbeiterinnen erklärt wird, warum dies so ist, und je mehr persönlichen Sinn sie in ihrer Arbeit erleben, desto besser können sie damit umgehen. Zeitnahe Information ist deshalb elementar.“ Diese Information solle nicht in eine Richtung erfolgen. „Es ist wichtig, in einen Dialog zu treten, der auch Rückfragen und die Rückmeldung von Bedenken zulässt“, sagt sie.
MTA litten am stärksten unter psychischen Folgen
Diejenigen, die am stärksten unter den psychischen Folgen der Pandemie litten, waren in der Studie übrigens die MTA. „Warum das so ist, darüber können wir nur spekulieren“, erklärt die Forscherin. „Wir sollten aber auf jeden Fall im Auge behalten, dass in derartigen Situationen nicht nur die Intensivstationen belastet sind, sondern das ganze System. Wir müssen auch diejenigen stärken, die vielleicht nicht so sehr im Rampenlicht stehen, sondern als Helfer im Hintergrund häufig vergessen werden.“ Entsprechend schlussfolgern die Wissenschaftler/-innen, dass die Ergebnisse auch darauf hindeuten, dass Interventionen und zukünftige Forschung insbesondere auf MTA abzielen sollten, die in der aktuellen Studie die niedrigsten Ressourcen hatten und sich als gefährdete Gruppe unter den Beschäftigten im Gesundheitswesen in Deutschland herausstellte.
Auch die Seelsorgerinnen und Seelsorger gaben einen Anstieg der Belastung durch die Pandemie an, sie zeigten aber im Vergleich zu den anderen Berufsgruppen das am stärksten ausgeprägte Kohärenzgefühl und die wenigsten Angst- oder Depressions-Symptome.
Jonas Schmuck, Nina Hiebel, Milena Rabe, et al.: Sense of coherence, social support and religiosity as resources for medical personnel during the COVID-19 pandemic: A web-based survey among 4324 health care workers within the German Network University Medicine. PLOS ONE; DOI: doi.org/10.1371/journal.pone.0255211.
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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