Bundesgesundheitsminister Spahn hat eindringlich dafür geworben, die neuen Regeln im Kampf gegen das Coronavirus umzusetzen. Um angemessen mit der "Jahrhundertsituation" der Corona-Pandemie umzugehen, sei eine "nationale Kraftanstrengung im November" nötig, sagte Spahn im ZDF. Auch Dr. med. Peter Liese hält den zweiten Lockdown für unumgänglich. Prof. Dr. Thomas Scheeren von der Universität Groningen wies vor Journalisten eindringlich auf die tödliche Gefahr hin, die eine Corona-Erkrankung mit sich bringen könne. Er berichtete auf Einladung Lieses von seinen Erfahrungen auf einer Intensivstation in den Niederlanden.
„Die Sterblichkeit bei COVID-19 ist zehnmal höher als bei einer Grippe“, betonte der Intensivmediziner. Schwerste Lungenschäden, Organversagen sowie Gerinnungsstörungen könnten Folgen von Corona sein. Das bedeute für Patienten, deren Ärzte und Pflegepersonal eine extreme Belastung.
Zwölf Stunden Arbeit im Schichtsystem
Scheeren berichtete, dass in den Niederlanden im Schichtsystem zwölf Stunden lang gearbeitet werde, was aufgrund der FFP3-Masken und der Schutzanzüge der Dienst extrem anstrengend gewesen sei: „Wir hatten keine Pausen und durch die Masken eine erschwerte Atmung. Seine Kollegen kann man nur mithilfe der Namensschilder erkennen, weil alle in der Schutzkleidung gleich aussehen.“ Der erste Lockdown in den Niederlanden habe schließlich dazu geführt, dass 20 Prozent des Intensivpersonals heute noch als Langzeiterkrankte mit Burn-out krankgeschrieben seien. „Dieses Personal fehlt uns jetzt.“
Deutschland sei in der ersten Welle Vorbild für die Niederlande gewesen. „Es wurde früher getestet, insgesamt gibt es dort fünfmal mehr Intensivbetten pro 100.000 Einwohner als bei uns in den Niederlanden. Wir sind hier immer am Limit. Selbst bei einer normalen Grippe läuft alles aus dem Ruder.“ Das führe unter anderem dazu, dass keine notwendigen Herz- und Tumoroperationen mehr durchgeführt werden könnten. In den Niederlanden sei es allerdings gesellschaftlich akzeptiert, dass zum Beispiel ein 90-jähriger Patient mit COVID-19 nicht mehr auf der Intensivstation behandelt würde, sondern zu Hause oder im Heim begleitet werde. Noch dramatischer sei es aber im Nachbarland Belgien, so Scheerer. Dort müsse bereits entschieden werden, ob man den 30- oder den 50-jährigen Patienten zuerst behandelt.
Impfungen: Klinische Prüfungen der Phase 3
Liese, zeigt sich jedoch optimistisch bei der Frage der Impfstoffentwicklung. „Nach vielen Gesprächen mit Zulassungsbehörden, unabhängigen Experten und der Industrie bin ich davon überzeugt, dass wir Ende dieses Jahres, spätestens Anfang nächsten Jahres einen oder mehrere zugelassene Impfstoffe haben und dass wir zig Millionen von Deutschen im Frühjahr impfen können. Die klinischen Prüfungen der Phase 3 laufen sehr gut und die Europäische Arzneimittelagentur hat das Zulassungsverfahren ohne Abstriche bei der Sicherheit maximal beschleunigt“, betonte Liese. Die Europäische Kommission habe bereits mit drei Impfstoffherstellern (Johnson & Johnson, AstraZeneca und Sanofi-GSK) Verträge über die Lieferung an EU-Bürger abgeschlossen und mit drei weiteren Unternehmen (Curevac, Biontech-Pfizer und Moderna) grundsätzliche Vereinbarungen erzielt. Scheeren räumte jedoch ein, dass es selbst bei einem Impfstoff mit Wirkung im Frühjahr 2021 noch sechs bis zwölf Monate dauern könne, bis die angestrebte Herdenimmunität erreicht sei.
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