Long COVID: Wie geht es den Betroffenen?

Systematische Stigmatisierung und Diskriminierung?
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Würfel, die Long COVID darstellen
© Dzmitry/stock.adobe.com
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Erste Forschungsergebnisse zeigen, dass Menschen, die unter Long COVID leiden, ihre Versorgungssituation als problematisch empfinden. Als Hauptursachen beschreiben die Patientinnen und Patienten unzureichende Versorgungsstrukturen, mangelndes Wissen über die Erkrankung sowie die Fehleinschätzung als psychosomatische Beschwerden.

Noch immer gibt es keine ursächlich wirksamen Therapien für Long-COVID-Patienten. Statt dessen berichten viele Betroffene über Versorgungsbarrieren. Seit Juni 2023 haben Long-COVID (LC)-Betroffene und ihre Angehörigen die Möglichkeit, ihre Versorgungserfahrungen über eine Meldeplattform der Techniker Krankenkasse (TK) und der Deutschen Gesellschaft für Patientensicherheit (DGPS) zu berichten. Erste Daten dieses vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projekts wurden nun unter der Leitung von Prof. Dr. Sabine Hammer, Professorin für Sozialforschung im Fachbereich Gesundheit & Soziales an der Hochschule Fresenius (HSF), in Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern ausgewertet. Von den über 1.200 Meldungen, die bis Ende Dezember 2023 eingegangen waren, seien 264 ausführliche und besonders aussagekräftige Erfahrungsberichte systematisch analysiert worden. Die Auswertung habe sich auf Versorgungsbarrieren und deren Auswirkungen aus der Perspektive der Betroffenen oder ihrer Angehörigen konzentriert.

Keine ausreichende Information der Mediziner

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen, dass 85 Prozent der Befragten erwähnen, dass medizinische oder soziale Ansprechpersonen nicht ausreichend über das Krankheitsbild informiert seien. 80 Prozent gaben an, dass ihre Beschwerden nicht ernst genommen und/oder als psychosomatisch eingestuft wurden. Die Betroffenen erleben, dass bestehendes Wissen nicht in die medizinische Praxis transferiert werde und in der Medizin falsche Annahmen zu den Ursachen und der Entstehung der Erkrankung vorherrschten. Infolgedessen erhielten die Betroffenen häufig Behandlungen, die aus ihrer Sicht nicht zielführend seien: Insbesondere Sport und Bewegung, die bei psychischen Erkrankungen empfohlen werden, führen nach Berichten vieler LC-Betroffener zu einer, mitunter dramatischen, Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes. Die Psychologisierung postviraler Symptome wird als stigmatisierend und als Hauptursache für die prekäre Versorgungssituation von Menschen mit Long COVID beschrieben. Dr. Marcus Rall (DGPS) ergänzt: „Das fehlende Ernstnehmen der Symptome bis zur Stigmatisierung betrifft auch das soziale Umfeld der Patienten und ist besonders belastend.“ Entsprechend geben die Daten Anhaltspunkte für eine systematische Stigmatisierung und Diskriminierung der Betroffenen.

Extrem schlechte Versorgungstrukturen

Spezialambulanzen für postvirale Syndrome seien für die Mehrheit der Befragten entweder nicht erreichbar, nehmen keine neuen Patientinnen und Patienten auf oder haben Wartelisten von bis zu zwei Jahren. Die fehlende Anerkennung der Erkrankung führe einigen Berichten zufolge auch dazu, dass Sozialleistungen wie Pflege und Rente nicht bewilligt werden. Laut Forschungsteam bestätige die Analyse bisherige Forschungsergebnisse und gebe Anhaltspunkte, dass eine zügige Aus- und Weiterbildung aller beteiligten Akteure sowie die Entwicklung und der Ausbau spezifischer Versorgungsangebote dringend erforderlich seien, um LC-Betroffenen eine angemessene Versorgung zu ermöglichen. Prof. Dr. Sabine Hammer (HSF) betont: „Erkrankte und ihre Beschwerden ernst zu nehmen und Long COVID als schwerwiegende Multisystemerkrankung anzuerkennen, ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Menschen mit Long COVID die Chance auf eine angemessene Versorgung bekommen.“

Hintergrund
Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 10 % aller SARS-CoV-2-Infizierten an postinfektiösen Beschwerden leiden. LC bzw. ein Post-COVID-19-Zustand kann sämtliche Organsysteme betreffen und zur vollständigen Pflegebedürftigkeit führen. 10-50 Prozent aller Betroffenen erfüllen die Diagnosekriterien für eine Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) [Quelle: Davis HE, McCorkell L, Vogel JM, Topol EJ (2023) Long COVID: major findings, mechanisms and recommendations. Nat Rev Microbiol 21: 133–46, DOI: https://doi.org/10.1038/s41579-022-00846-2. Behandlungsempfehlungen beschränken sich bislang vor allem auf Belastungsmanagement (Pacing) sowie symptomatische und psychologische Maßnahmen. Erste Untersuchungen der Betroffenenperspektiven geben Hinweise auf eine unzureichende Anerkennung und Versorgung der Erkrankung. Im Mai 2024 trat die erste Versorgungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) für LC in Kraft. Sie soll eine wichtige Grundlage für die Behandlungsentscheidungen der Ärztinnen und Ärzte sein und die bedarfsgerechte Nutzung bestehender ambulanter Strukturen unterstützen.

Seit Juni 2023 können Long-COVID-Betroffene und deren Angehörige ihre Versorgungserfahrungen online und erstmals auch telefonisch über ein Berichtsformular der TK und der DGPS melden. Nach Förderung der Aufbauphase im Jahr 2023 durch das BMG wird die Plattform heute von der DGPS und der Firma Inworks weiterbetrieben. Dort können Versorgungserfahrungen nach wie vor eingegeben werden. „Mit der Plattform ‚Patientenfeedback für Patientensicherheit‘ wollen wir die Stimme derer stärken, die von Long COVID betroffen sind. Jetzt gilt es, aus ihren Erfahrungen zu lernen“, sagt Dagmar Lüttel, Spezialistin für Patientensicherheit bei der TK.

Literatur:
Hammer S, Monaca C, Hoelz A, et al.: "Im Endeffekt ist man auf sich allein gestellt." Eine qualitative Analyse von Versorgungsbarrieren aus der Sicht Long COVID-Betroffener. Zenodo 2024, (Preprint), DOI: doi.org/10.5281/zenodo.13088064.

Quelle: TK, DGPS, Hochschule Fresenius

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