Immer wieder wird über die Folgewirkungen des zunehmenden Lachgaskonsums (N2O) als Freizeitdroge diskutiert. Oft waren die Ergebnisse nicht eindeutig. Nun gibt es eine Studie aus dem Großraum Paris [1]. Diese zeigt den Anstieg schwerer Folgeerkrankungen durch den Freizeitkonsum von Lachgas seit 2020. Die Ergebnisse geben Hinweise auf eine deutliche Verschiebung der Konsummuster hin zu hohen und damit schädlichen Dosen. Vor allem junge Menschen sind demnach betroffen. Es komme zu Rückenmarks- und Nervenschäden, welche sensible Symptome, Gangstörungen und bleibende Lähmungen hervorrufen können, so die Autoren. Die Studie analysierte sozioökonomische Faktoren und forderte angesichts des weltweit wachsenden öffentlichen Gesundheitsproblems Aufklärungskampagnen. Um auch valide Daten für Deutschland zu bekommen, führt die DGN nun im Auftrag der BZgA eine Umfrage zur Prävalenz und den Folgen des Lachgasmissbrauchs hierzulande durch.
Zunehmendes Gesundheitsproblem
Die neue Partydroge Lachgas (N2O, Distickstoffmonoxid) wird zunehmend zu einem Gesundheitsproblem, das aber bei konsequentem Eingreifen der Politik lösbar wäre, betont die DGN. Lachgas ist ein seit über 200 Jahren eingesetztes Inhalationsanästhetikum, das bis heute eine medizinisch sinnvolle und sichere Alternative in bestimmten Narkosesituationen darstellt [2]. Allerdings hat der Freizeitkonsum von N2O weltweit in einem besorgniserregenden Maße zugenommen – und damit auch gesundheitliche Schädigungen in Folge des Konsums. Denn im Gegensatz zum praktisch nebenwirkungsfreien medizinisch überwachten Kurzeinsatz könne es bei nicht bestimmungsgemäßem Gebrauch zu Schäden am Nervensystem kommen; manchmal seien auch die Blutbildung, Lunge und Herz mit betroffen, so die DGN. Ursache dieser Gesundheitsprobleme ist eine Störung des Vitamin-B12-Stoffwechsels, d. h. ein funktioneller Mangel des Vitamins. Vitamin B 12 ist für die Funktion der Myelinscheiden (Hüllstrukturen der peripheren Nerven und des Rückenmarks) notwendig. Die Schädigung von Rückenmark und Nerven führt zu Taubheitsgefühlen vor allem an den Füßen, Gangstörungen und in schweren Fällen auch zu Lähmungen. Die Symptome können durch parenterale Gabe von Vitamin B12 behandelt werden; nicht immer bilden sie sich jedoch vollständig zurück.
Neurologische Erkrankungen im Großraum Paris
Besonders gefährdet seien Menschen, deren Vitamin-B12-Versorgung aus anderen Gründen schon nicht optimal sei, z. B. bei veganer oder vegetarischer Ernährung, bei Einnahme bestimmter Medikamente (wie Magensäureblockern), chronischen Magen-Darm-Entzündungen oder regelmäßigem Alkoholkonsum. Eine aktuelle retrospektive multizentrische Kohortenstudie [1] berichtet nun über schwere, N2O-induzierte neurologische Erkrankungen im Großraum Paris. Von 2018 bis 2021 wurden in Abteilungen für Neurologie und Innere Medizin alle Personen >18 Jahren mit schweren Lachgas-Vergiftungen erfasst. Bis Ende 2019 wurden keine entsprechenden Fälle beobachtet. Die danach zunehmende Häufigkeit wurde ermittelt und mit der Frequenz vergleichbarer neurologischer Krankheiten anhand der Krankenversicherungsdaten von 91.000 Klinikpatienten verglichen. Von 181 Patientinnen und Patienten hatten 25 % eine Schädigung des Rückenmarks (Myelopathie), 37 % eine Schädigung peripherer Nerven (periphere Neuropathie) und 38 % eine Kombination beider Schäden. Betroffen waren demnach vor allem junge Erwachsene mit schlechten sozioökonomischen Bedingungen: die meisten waren 20-25 Jahre alt und lebten in städtischen, sozial benachteiligten Gegenden; 37 % waren arbeitslos. Der durchschnittliche tägliche N2O-Verbrauch lag bei 1.200 g; die mediane Dauer zwischen dem Beginn des N2O-Konsums und dem Auftreten der Symptome lag bei einem halben Jahr (IQR 2-12 Monate).
„besorgniserregendem Trend entgegenwirken“
Die Inzidenz neurologischer Lachgas-assoziierter Erkrankungen nahm in Paris im Laufe des Jahres 2020 zu und erreichte Mitte 2021 einen Höhepunkt. Bei 20- bis 25-Jährigen lag 2021 die Inzidenz für eine N2O-Myelopathie bei 6,15/100.000 Personenjahre und für periphere N2O-Neuropathien bei 7,48/100.000 Personenjahre. Dies war signifikant häufiger als nicht-N2O-assoziierte Myelitiden (Rückenmarksentzündungen) in derselben Altersgruppe, die mit einer Inzidenz von nur 0,35/100.000 Personenjahre auftreten oder das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) mit 2,47/100.000 Personenjahre. In den sozial am stärksten benachteiligten Regionen waren die Inzidenzen zwei- bis dreimal höher als in den anderen Regionen. Das Autorenteam fordert daher nachdrücklich, dass diesem besorgniserregenden Trend entgegenzuwirken sei.
Mit jedem Zug steigt das Risiko
Die DGN gibt zu bedenken, dass für die neurologischen Folgen kein Schwellenwert angegeben werden könne; es gebe Fallberichte, wo nur vier inhalierte Luftballons nach sieben Wochen zu einem GBS-ähnlichen Krankheitsbild geführt haben [2]; auf entsprechenden Partys würden von manchen Menschen durchaus 50 und mehr Ballons inhaliert [3]. „So steigt mit jedem Atemzug am Lachgas-Ballon das Risiko für neurologische Folgekomplikationen“, betont DGN-Pressesprecher Prof. Dr. Peter Berlit. „Aber nicht nur die chronischen Folgen sind ein Problem“, erklärt Berlit weiter. „Sorge macht auch eine nicht zu vernachlässigende akute Gefahr – vor allem, wenn im Einzelfall zu viel Lachgas inhaliert wird“. Dazu zählten neben Übelkeit, Kopfschmerzen und Bewusstseinsstörungen auch epileptische Anfälle, Schlaganfälle und hypoxische Hirnschäden bis zum Tod („versehentliches Ersticken“) in Folge des Konsums. Beschrieben werden auch Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfall und Atemprobleme.
Gesetzliche Regelung gefordert
Die DGN befürwortet daher eine klare Kaufeinschränkung von N2O außerhalb medizinischer Indikationen. Die Abgabe für gewerbliche Zwecke müsse gesetzlich geregelt werden. „Vor allem sehe ich eine Pflicht der Gesellschaft und Politik, junge Menschen über die möglichen Gefahren zu informieren. Viele halten Lachgas für ungefährlich – das ist es ganz sicher nicht.“ Um das Ausmaß des Problems zu erfassen, führt die DGN nun gemeinsam mit der BZgA eine Umfrage in Deutschland zur Prävalenz und den neurologischen Folgen des Lachgasmissbrauchs durch. Bestätigen sich die Befürchtungen, sind gemeinsame Aktionen und Aufklärungsinitiativen geplant.
Quelle: DGN
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