Krebsmedizin: Stehen Cisplatin & Co vor einer Renaissance?

Life Sciences Bridge Award an Johannes Karges
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Cisplatin
© MQ-Illustrations/stock.adobe.com
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In der Chemotherapie von Tumoren haben Metallkomplexe wie Cisplatin eine lange Tradition. Doch durch ihre starken Nebenwirkungen gelten sie bei einigen als Ansatz von gestern. Das könnte sich wieder ändern.

Schon 1978 wurde Cisplatin von der Food and Drug Administration (FDA) als Antikrebsmedikament für die Behandlung von Hoden- und Blasenkrebs zugelassen. Weitere Krebsarten kamen sukzessive dazu. Metallkomplexe zählen zu den am häufigsten eingesetzten Krebsmedikamenten. Noch heute werden sie weltweit in mehr als der Hälfte aller Chemotherapien verabreicht. Sie sind gegen viele verschiedene Krebsarten wirksam. Weil sie aber auch die Teilung gesunder Zellen hemmen, sind sie aber mit quälenden Nebenwirkungen verbunden. Verglichen mit modernen zielgerichteten Krebstherapien, die in spezifische Signalwege der Tumorentstehung eingreifen oder die Kräfte des patienteneigenen Immunsystems entfesseln, erscheinen traditionelle Metallkomplexe manchen Medizinern deshalb als Mittel von gestern.

Inaktive Vorstufen (Prodrugs) verabreichen?

Die Forschung von Dr. Johannes Karges (31) entkräftet jedoch diesen Eindruck. Sie zeigt unter anderem, wie sich eine Vorstufe von Cisplatin zielgenau nur im Tumorgewebe anreichern und dort anschließend mit Ultraschallwellen aktivieren lässt. Präklinisch hat dieses Verfahren die avisierten Tumore vernichtet. Um ihm den Weg zu einer unbefristeten Professur zu ebnen, zeichnet ihn die Aventis Foundation mit einem Life Sciences Bridge Award aus, der ihm kürzlich verliehen wurde. Schon seit längerem wird versucht, Metallkomplexe als inaktive Vorstufen (Prodrugs) zu verabreichen, die erst im Tumor und nur dort aktiviert werden. Als Aktivatoren solcher Vorstufen hatte man gehofft, natürliche Reduktionsmittel verwenden zu können, die in der Krebszelle vorkommen. Allerdings stellte sich heraus, dass diese Reduktionsmittel in geringer Konzentration auch in gesunden Zellen vorhanden sind, sodass es dort weiterhin zu Nebenwirkungen kam.

Chemo entfaltet Wirkung ausschließlich im Tumor

Karges hat mit seiner Forschungsgruppe eine Lösung für dieses Problem gefunden. Er hat ein Verfahren entwickelt, das es erlaubt, die Aktivierung einer ungiftigen Vorstufe von Cis-Platin räumlich und zeitlich präzise zu steuern. So kann das Chemotherapeutikum seine Wirkung ausschließlich im Tumor entfalten. Die räumliche Präzision erreicht Karges, indem er den noch ungiftigen Metallkomplex in Nanopartikeln verkapselt, die sich nur im Tumorgewebe anreichern. Die zeitliche Präzision erreicht er, indem er die im Tumor angereicherte Prodrug durch Bestrahlung mit Licht- oder Ultraschallwellen in ihre aktive Form umwandelt. In präklinischen Versuchen mit krebskranken Mäusen bewies Karges, wie effektiv diese Kontrolle der Cisplatin-Aktivierung ist. Die Tumore der Tiere verschwanden.

Krebszellen in den immunogenen Zelltod treiben

In einem jüngst begonnenen Forschungsprojekt will Karges nun versuchen, Krebszellen mit Hilfe von Metallkomplexen in den immunogenen Zelltod zu treiben. Bei dieser Todesart macht die sterbende Zelle über bestimmte Oberflächenmuster das Immunsystem auf sich aufmerksam, das daraufhin alle Zellen angreift, die ein ähnliches Problem haben. Sie wird häufig dadurch ausgelöst, dass im endoplasmatischen Retikulum (ER) einer Zelle zu viele reaktive Sauerstoffmoleküle gebildet werden. Deshalb schicken Karges und seine Forschungsgruppe an der Bochumer Ruhr-Universität nun Metallkomplexe, die die Bildung von Sauerstoffradikalen katalysieren, mit chemischen Adressetiketten direkt ins ER, in der Hoffnung, dort einen immunogenen Zelltod auszulösen, der nicht nur lokal, sondern systemisch auf alle im Körper vorhandenen Krebszellen wirkt. „Die Entwicklung von Verbindungen, die den immunogenen Zelltod auslösen, ist ein neuer Therapieansatz zur Behandlung von Tumormetastasen“, sagt Karges. „Ob dieser Ansatz irgendwann zum Ziel führt, lässt sich noch nicht sagen.“

Neue Perspektiven in der Krebstherapie

„Johannes Karges hat der Krebstherapie neue Perspektiven eröffnet. Sein Ansatz, dafür transdisziplinär die Grenzen von Chemie, Physik und Medizin zu überschreiten, ist vorbildlich“, sagt Prof. Dr. Werner Müller-Esterl, Vorsitzender der Jury des Life Sciences Bridge Award. „Wir möchten ihm mit diesem Preis über die Brücke zu einer unbefristeten Professur helfen.“ Der Life Sciences Bridge Award ist einer der höchstdotierten Nachwuchspreise Deutschlands. Er wird jährlich an bis zu drei Preisträger/-innen vergeben, die an deutschen Universitäten forschen. Sie erhalten jeweils 100.000 Euro. Zehn Prozent davon dürfen sie für persönliche Zwecke nutzen, der Rest ist der Finanzierung ihrer Forschung vorbehalten. Die Aventis Foundation ist eine unabhängige, gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main. Sie dient der Förderung von Kunst und Kultur sowie von Wissenschaft, Forschung und Lehre.

Literatur:
Liang G, Sadhukhan T, Banerjee S, et al.: Reduction of Platinum(IV) Prodrug Hemoglobin Nanoparticles with Deeply Penetrating Ultrasound Radiation for Tumor-Targeted Therapeutically Enhanced Anticancer Therapy. Angew. Chem. Int. Ed. 2023, 62, e202301074.

Wie D, Huang Y, Wang B, Ma L, Karges J, Xiao H: Photo-Reduction with NIR Light of Nucleus Targeting Pt(IV) Nanoparticles for Combined Tumor-Targeted Chemotherapy and Photodynamic Immunotherapy. Angew. Chem. Int. Ed. 2022, 61, e202201486.

Quelle: idw/Aventis Foundation

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