„Trotz des hervorragenden Wirtschaftswachstums in Deutschland haben wir insbesondere in der Pflege einen enormen Fachkräftemangel“, sagte der Leiter „Zentralabteilung Europa und Internationales“ des BMG, Ingo Behnel, kürzlich in Berlin. Der Bund versuche unter anderem durch die Gewinnung von Fachkräften im Ausland, auf dieses Problem zu reagieren.
„Wir führen derzeit erste Gespräche mit Partnerländern, deren Altersstruktur es erlaubt, dass junge Menschen zum Arbeiten nach Deutschland kommen“, sagte Behnel. Aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in diesen Ländern sei es diesen Menschen nicht möglich, in ihrem Heimatland zu arbeiten. Behnel betonte, dass sich Pflegekräfte und andere qualifizierte Berufsgruppen aus dem Ausland in Deutschland wohlfühlen müssten, wenn man sie dauerhaft binden wolle. Dafür müsse auch die Situation der ganzen Familie in den Blick genommen werden.
Um dem Fachkräftemangel insbesondere auch im deutschen Gesundheitssystem zu begegnen, hat das BMG im November den Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vorgelegt, das eine strukturierte Einwanderung von Fachkräften nach Deutschland regeln soll.
Viele Fachkräfte werden nach Deutschland kommen
Christoph Lang, Geschäftsführer von saarland.innovation&standort (saaris), der sich im Saarland unter anderem um die Betreuung arbeitssuchender Menschen mit Migrationshintergrund kümmert, betonte, dass infolge dieses Gesetzes viele Fachkräfte nach Deutschland kommen würden, vor allem auch in das Gesundheitssystem.
„Dafür brauchen wir geeignete Strukturen“, betonte Lang. „Das ist nicht nur Aufgabe der Politik, sondern auch Aufgabe der Krankenhaus- und Pflegeeinrichtungsträger sowie der Gesellschaft.“ Einige Träger seien da schon sehr aktiv, andere jedoch noch nicht.
Träger sollen sich als Marke aufstellen
„Alle Träger müssen lernen, nicht nur über den Fachkräftemangel zu jammern, sondern aus sich als Arbeitgeber eine attraktive Marke zu machen“, betonte Lang. „Und das kann jeder werden. Man muss nur etwas dafür tun, zum Beispiel im Bereich der Mitarbeiterzufriedenheit: damit aus ‚will kommen‘ auch ‚will bleiben‘ wird.“
Saaris habe einen Katalog von 19 Maßnahmen erarbeitet, mit der eine Identifizierung und Integration ausländischer Pflegekräfte gelingen könne. Wichtig sei dabei, frühzeitig herauszufinden, ob die betreffenden Menschen für eine Arbeit in der Pflege geeignet seien, damit es eine möglichst geringe Abbrecherquote gibt, so Lang. Das könne man durch Orientierungspraktika erreichen.
Wichtig sei es zudem, in den Einrichtungen ausbildungsbegleitende Hilfen zu etablieren. „Man braucht den Einsatz von Praxisanleitern, die speziell für eine interkulturelle Praxisanleitung fortgebildet sind“, sagte Lang. „Ohne sie wird es nicht funktionieren.“ Lang betonte allerdings, dass es für eine gelungene Integration keinen Königsweg und keinen Automatismus gebe.###more###
„Sprachniveau B1 ist nicht verhandelbar“
Andrea Kuckert-Wöstheinrich vom St.-Augustinus-Memory-Zentrum in Neuss berichtete von den Erfahrungen, die sie mit einem Rekrutierungsprojekt an ihrem Haus gemacht hat. „An unserem Programm dürfen nur Menschen teilnehmen, die mindestens ein Sprachniveau von B1 haben“, sagte sie. „Da lasse ich auch nicht mehr mit mir verhandeln.“ Zudem müssten die Teilnehmer eine Affinität zum Gesundheitswesen haben sowie über eine Aufenthaltsgenehmigung verfügen.
Wichtig sei es dann, die deutschen Kolleginnen und Kollegen mitzunehmen. „Alle Mitarbeiter müssen geschult werden, auch in ihrer eigenen Kultur – damit sie lernen können, mit der anderen Kultur umzugehen“, sagte Kuckert-Wöstheinrich. Probleme gebe es zum Beispiel beim Thema Pünktlichkeit, die in der deutschen Kultur wichtig sei, in anderen Kulturen jedoch nicht. Darüber müsse man sprechen.
Kuckert-Wöstheinrich rief die Einrichtungen dazu auf, sich vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels interkulturell aufzustellen. Denn nicht nur viele Ärzte und Pflegekräfte hätten einen Migrationshintergrund, sondern auch viele Bewohner. Die Einrichtungen müssten sich dieser Entwicklung anpassen.
Berufsanerkennung muss attraktiver werden
Der Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer (BÄK), Tobias Nowoczyn, betonte, dass sich zwischen 2010 und 2017 die Zahl der ausländischen Ärzte in Deutschland verdoppelt habe. „Wir sind froh, diese Ärztinnen und Ärzte bei uns zu haben“, sagte er.
„Sie haben große Hürden genommen, um in Deutschland zu arbeiten. Sie sind uns herzlich willkommen.“ Es sei jedoch noch viel Integrationsarbeit jetzt und in Zukunft zu leisten. Denn „bei den unter 35-Jährigen liegt der Anteil ausländischer Ärzte in Weiterbildung in vielen Gegenden Deutschlands schon bei über 50 Prozent“.
Nowoczyn forderte, dass Deutschland daran arbeiten müsse, für ausländische Ärzte ein noch attraktiveres Ziel zu werden als es heute ist. Denn es gebe andere europäische Länder, in denen die Work-Life-Balance besser sei, in denen ein höheres Einkommen gezahlt werde und in denen auch die Sprache einfacher zu lernen sei. „Deshalb müssen wir bei der Berufsanerkennung besonders attraktiv sein“, so der BÄK-Hauptgeschäftsführer. Das sei heute jedoch noch nicht der Fall.
BÄK fordert Prüfung aller ausländischen Ärzte
„Die bürokratischen Hürden, die wir bei der Berufsanerkennung heute haben, sind eine totale Zumutung und zudem sind sie fehleranfällig“, sagte Nowoczyn. Vor diesem Hintergrund müsse das Anerkennungsverfahren weiterentwickelt und ein Unterbietungswettbewerb verhindert werden: „Wir dürfen nicht sagen: Weil wir die Ärzte brauchen, können wir Abstriche beim Ausbildungsniveau machen. Sowohl für die Patienten als auch für die Ärzte ist es sehr wichtig, dass sie sich bei der Qualifikation der ausländischen Ärzte sicher sein können. Nur dann werden die neuen Kollegen als Ärzte auch ernstgenommen.“
Anerkennung ausländischer Abschlüsse: Kenntnisstand nachweisen
Nowoczyn verwies auf den diesjährigen Deutschen Ärztetag in Erfurt, auf dem sich die Delegierten für die Einführung einer bundeseinheitlichen Prüfung aller ausländischen Ärzte auf dem Niveau des dritten Staatsexamens ausgesprochen haben. „Das wäre eine einfache und berechenbare Lösung“, sagte er. „Wir müssen die Ärzte dann natürlich auf diese Prüfung vorbereiten, indem wir Kurse anbieten.“ In den USA sei ein solches Verfahren übrigens schon lange üblich.
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