Welche molekularen und zellulären Mechanismen bei Menschen mit Kardiomyopathien zu Herzversagen führen, bestimmt die spezifische Genvariante, die der jeweilige Patient oder die jeweilige Patientin in sich trägt. Das ergaben die ersten umfassenden Einzelzell-Analysen von Zellen aus gesunden und kranken Herzen, berichten 53 Forscher aus sechs Ländern in Nordamerika, Europa und Asien. Je nach genetischer Variante ändern sich die Zusammensetzung der Zelltypen und Profile der Genaktivierung. Mithilfe der Daten könne man gezielte Therapien entwickeln, sagen die Forscher/-innen. Diese würden den jeweiligen Gendefekt berücksichtigen, der die Kardiomyopathie des Patienten oder der Patientin verursacht.
880.000 einzelne Herzzellen untersucht
Die aktiven Gene in rund 880.000 einzelnen Zellen aus 61 erkrankten Herzen und 18 gesunden Referenzherzen zu untersuchen, war ein komplexes Unterfangen. Möglich gemacht hat dies ein interdisziplinäres Team. Die Organe haben das Brigham and Woman’s Hospital in Boston, USA, die kanadische University of Alberta und das Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen, die Ruhr-Universität Bochum und das Imperial College in London, UK, zur Verfügung gestellt.
Ein Leiden mit zahlreichen Ursachen
Die Forscher/-innen haben sich auf die dilatative Kardiomyopathie (DCM) konzentriert. Bei der dilatativen Kardiomyopathie sind die Herzkammern und die Herzvorhöfe erweitert. Entsprechend kann das Herz nicht mehr richtig pumpen und die Patientinnen und Patienten leiden an den typischen Symptomen einer Herzschwäche. Sie sind nicht mehr so leistungsfähig, haben Atemnot und es kommt zu Wassereinlagerungen in der Lunge und den Beinen. Auch Herzrhythmusstörungen und Schwindel können auftreten. Das Konsortium hat Gewebe von Patientinnen und Patienten mit verschiedenen Formen erblicher Kardiomyopathien untersucht; die jeweiligen genetischen Veränderungen kommen bei Proteinen mit unterschiedlichen Funktionen im Herzen vor. Die Analysen deuten darauf hin, dass sie auch unterschiedliche Reaktionen auslösen.
Auf andere genetisch bedingte Herzkrankheiten anwendbar?
„Wir haben krankheitsauslösende Genvarianten in Herzgewebe auf Einzelzell-Ebene untersucht. So konnten wir präzise kartieren, wie bestimmte pathogene Varianten zu Funktionsstörungen des Herzens führen“, sagt Norbert Hübner, einer der Hauptautoren der Studie. „Soweit wir wissen, ist es die erste derartige Analyse von Herzgewebe. Wir hoffen, dass dieser Ansatz auch auf andere genetisch bedingte Herzkrankheiten anwendbar ist.“
Die Wissenschaftler/-innen haben die verschiedenen Mutationen in jedem Herzen genau charakterisiert und sie sowohl untereinander als auch mit gesunden Herzen und solchen, bei denen man die Ursache für die Dilatation nicht kannte, verglichen. Hierfür haben sie sich jeden Zelltyp des Herzens und auch die zahlreichen Subtypen einzeln vorgenommen und mit Methoden der Einzelzellsequenzierung analysiert. Kein Labor könnte die so entstehenden Datenberge allein bewältigen. Nur dank der engen Zusammenarbeit von Spezialisten verschiedener Disziplinen konnte aus den vielen Mosaiksteinchen ein kohärentes Bild erstellt werden. Die Studie fügt sich zudem in die Arbeit des internationalen Konsortiums zum „Human Cell Atlas“ (HCA) ein, das jeden Zelltyp im menschlichen Körper erfassen und so eine Grundlage schaffen will, um die menschliche Gesundheit zu verstehen und um die Diagnose, Kontrolle und Behandlung von Krankheiten zu verbessern.
Ansatzpunkte für zielgerichtete Therapien
„Erst in dieser Auflösung können wir sehen, dass Kardiomyopathien nicht einheitlich immer dieselben pathologischen Signalwege in Gang setzen“, sagt Christine Seidman, eine der Hauptautorinnen. „Vielmehr lösten verschiedene Mutationen jeweils spezifische und einige gemeinsame Reaktionsmuster aus, die zu Herzversagen führen. Diese Mechanismen, die sich je nach Genotyp unterscheiden, zeigen die Ansatzpunkte für die Entwicklung zielgerichteter Therapien.“
„Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass die bei einer DCM auftretende Fibrose – das krankhaft gesteigerte Wachstum von Bindegewebe – nicht deshalb entsteht, weil sich die Fibroblasten des Herzens zu stark vermehren“, sagt Matthias Heinig, der die Daten analysiert hat. „Die Zahl dieser Zellen bleibt gleich. Allerdings werden die bestehenden Zellen aktiver und produzieren mehr extrazelluläre Matrix, die den Raum zwischen den Bindegewebszellen ausfüllt“, ergänzt Eric Lindberg. Es komme somit lediglich zu einer Verschiebung der Subtypen, bei der die Zahl derjenigen Fibroblasten steige, die sich auf die Produktion der extrazellulären Matrix spezialisiert haben.
Problem bei mutiertem RBM20-Gen
„In den Herzen von Patient/-innen mit einem mutierten RBM20-Gen war das Phänomen besonders stark ausgeprägt“, erklärt Henrike Maatz. Dies spiegelte sich auch in der Krankheitsgeschichte wider. Die Betroffenen mussten im Schnitt deutlich früher als Menschen mit einer anderen erblichen Form der DCM ein Spenderherz erhalten, weil ihr eigenes Organ versagt hatte. Mithilfe der Einzelzellsequenzierung sei man auf eine ganze Reihe solcher genotypspezifischer Unterschiede in den erweiterten Herzen gestoßen.
In den Herzen von Menschen mit arrhythmogener Kardiomyopathie (ACM), die mit gefährlichen Herzrhythmusstörungen verbunden ist, gehen vor allem in der rechten Herzkammer fortschreitend Herzmuskelzellen verloren und werden von Fett- und Bindegewebszellen ersetzt. Auch bei dieser Erkrankung können mehrere Gene verändert sein. In den Analysen hat sich das Team auf das Gen für das Protein Plakophillin 2, kurz PKP2, beschränkt und zelluläre Signalwege, an denen das Protein beteiligt ist, in der rechten und linken Herzkammer miteinander verglichen. Dadurch kann man jetzt beispielsweise besser verstehen, warum sich bei dieser Form der Kardiomyopathie vermehrt Fettzellen bilden.
Nutzung von künstlicher Intelligenz
„Anhand der präzisen molekularen Signaturen, die wir für die hochspezialisierten Zellen des Herzens ermittelt haben, können wir die Kommunikationswege zwischen den Zellen vorhersagen“, sagt Michela Noseda. Je nach genetischer Ursache der Kardiomyopathien komme es zu spezifischen Abweichungen in den zellulären Kommunikationsnetzwerken. „Dies ist ein klarer Beweis dafür, dass ganz spezifische Mechanismen die Krankheit befeuern.“
Aus all diesen Daten haben die Forscherinnen und Forscher schließlich mithilfe künstlicher Intelligenz ein Modell entwickelt. Der Algorithmus kann nun anhand der spezifischen Muster molekularer Veränderungen in den verschiedenen Zelltypen mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersagen, um welche Mutation es sich jeweils handelt. Das bestätige, dass pathogene Varianten bestimmter Gene zu Unterschieden in der Gen- und Zellaktivierung führen.
Personalisierte Therapie von Herzleiden?
Das langfristige Ziel ist eine personalisierte Therapie von Herzleiden, sagen die Forscher/-innen, denn eine genotypspezifische Behandlung wäre effektiver und nebenwirkungsärmer. Um ihrer Vision möglichst schnell näher zu kommen, hat das Konsortium all seine Ergebnisse der Wissenschaft online zugänglich gemacht. Seidman hofft, dass diese Ressource andere Gruppen zu klinischen Studien ermuntert, um neue Behandlungen zur Vorbeugung eines Herzversagens zu entwickeln. Noch sei das eine unheilbare Krankheit.
Suche nach Biomarkern
„Wir haben Gewebe von Patientinnen und Patienten untersucht, die eine Herztransplantation brauchten; es war ihre letzte Option“, sagt Hendrik Milting. „Wir hoffen, dass künftige pharmakologische Therapien das Fortschreiten der Krankheit zumindest verlangsamen können – und dass die Daten aus unserer Studie dazu beitragen.“ Das Herzatlas-Konsortium selbst hat sich derweil seine nächste Aufgabe gestellt. „Das Herzgewebe, das wir untersucht haben, stammte ja von Menschen im Endstadium der Erkrankungen“, sagt Daniel Reichart. „Spannend wird sein, auf welche Veränderungen wir in früheren Stadien stoßen, zum Beispiel auf der Basis von Endomyokard-Biopsien.“ Vielleicht finde man dann auch Biomarker, die eine sehr genaue Diagnose ermöglichen und zugleich den Weg zur besten Therapie weisen, ergänzt Gavin Oudit.
Quelle: idw/Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft
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