Viren reagieren auf unser Immunsystem, indem sie mit Mutationen neue Virusvarianten ins Spiel bringen, die sogenannte Immunflucht. Das ist wichtig für die Entwicklung von Impfstoffen, da diese vor den neuen Virusvarianten gar nicht mehr bzw. nicht ausreichend schützen. Doch bis diese Mutationen der neuen Varianten gefunden sind, hat das Virus einen großen Vorsprung und konnte sich eventuell bereits durchsetzen. Auch Ansteckungen mit vorherigen Varianten schützen nun nicht mehr, das Immunsystem muss von vorne anfangen.
Reverse Mutational Scanning
Um schnell neue Impfungen entwickeln zu können, müssen diese Mutationen zügig gefunden werden. Dafür entwickelte ein Team des Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) einen vielversprechenden Ansatz. Grundlage ist das Mutational Scanning, bei der das Ursprungsvirus untersucht wird und welche Auswirkungen jede neue Mutation einer neuen Virusvariante hat. Im neuen Verfahren ist nicht das Ursprungsvirus die Basis, sondern die neue Virusvariante – Reverse Mutational Scanning.
Als Testobjekt für das Reverse Mutational Scanning verwendeten die Forschenden des HZI Virusvarianten von SARS-CoV-2. Die Variante BA.2.86 unterscheidet sich durch 33 Mutationen vom Ursprungsvirus BA.2. Doch welche dieser Mutationen führte zur Immunflucht? Hierfür stellten die Forschenden Pseudoviren her, die in Zellen eindringen, sich aber nicht vermehren können.
Mutationen zur Immunflucht
Bei jedem Pseudovirus machten die Forschenden eine der 33 Mutationen rückgängig in Richtung des Ursprungsvirus BA.2. In Zellversuchen zeigte sich dann, wie gut die Viren dem Immunsystem entkommen können. Dies testeten sie an Immunzellen aus Blutseren von 40 Personen aus dem Gesundheitsbereich. Diese Personen waren mehrfach geimpft, auch mit dem zu dem Zeitpunkt wirksamen Impfstoff gegen Omicron XBB.1.5. So konnten die für die Immunflucht verantwortlichen Zellen eindeutig identifiziert werden.
Doch wieso muss rückwärts vorgegangen werden? Die Zellen des Immunsystems sind so vielfältig, dass sie an unterschiedlichen Stellen binden können. „Würden wir von der Ursprungsvariante ausgehen und eine zu testende Mutation einfügen, gibt es mit großer Wahrscheinlichkeit noch genügend andere Immunzellen, die die Ursprungsvariante des Virus trotzdem noch erkennen und ausschalten können. Der tatsächliche Beitrag, den die Mutation zum Immun-Escape leistet, kann auf diese Weise nicht hinreichend detektiert werden“, erläutert Prof. Luka Cicin-Sain, Leiter der Abteilung „Virale Immunologie“ am HZI.
Die Forschenden hoffen, dass das Reverse Mutational Scanning künftig für eine schnellere Entwicklung von Impfstoffen sorgen kann. Möglich sei auch, Machine-Learning-Modelle zu trainieren, um mithilfe von KI-Modellen vorherzusagen, welche Mutationen zur Immunflucht führen können. Könnte man damit schon vorab Impfstoffe entwickeln, würde man den Vorsprung des Virus nicht nur verkleinern, man wäre sogar schneller als das Virus und könnte direkt auf auftretende Mutationen reagieren.
Quelle: idw
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