Frühmittelalter: Hohe Infektionshäufigkeit mit verschiedenen Erregern
Über das Mittelalter gibt es ganz verschiedene Vorstellungen. Während die einen es verklären, betonen die anderen die mangelnde persönliche Hygiene, krankheitsübertragende Ratten (Pest) und allgemeine ungesunde Lebensumstände. Einige sehen somit das Mittelalter gemeinhin als ein Zeitalter allgegenwärtiger Krankheiten an. Der größte Teil des Wissens über mittelalterlichen Epidemien bezieht sich allerdings auf das Spätmittelalter nach dem 12. Jahrhundert n. Chr. Im Gegensatz dazu sind die Infektionshäufigkeit im Frühmittelalter sowie die Erreger, die für die Krankheitsausbrüche dieser Zeit verantwortlich waren, noch weitgehend unerforscht. Ein interdisziplinäres Forschungsteam unter der Leitung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat jetzt mit neuesten Analyse-Techniken für alte DNA Hinweise für eine hohe Belastung durch Infektionskrankheiten in der frühmittelalterlichen Siedlung Lauchheim „Mittelhofen“ (Baden-Württemberg) gefunden. Dabei gab es ein „Wiedersehen“ mit alten Bekannten.
DNA aus 70 menschlichen Skeletten
Die Forscherinnen und Forscher konnten für die Studie DNA aus 70 menschlichen Skeletten isolieren, welche innerhalb der Siedlung bestattet wurden. Die Gräber liegen in der Nähe von Gehöften und wurden in die späte Merowingerzeit (7.-8. Jahrhundert n. Chr.) datiert. „Die Analyseergebnisse zeigen, dass die Bewohner an Infektionen mit verschiedenen Krankheitserregern litten, darunter das Mycobacterium leprae, das Hepatitis-B-Virus, kurz: HBV, das Parvovirus B19 und das Variola-Virus VARV“, berichtet der Leiter des Forschungsteams, Prof. Dr. Ben Krause-Kyora vom Institut für klinische Molekularbiologie der CAU und Mitglied im Exzellenzcluster ROOTS.
Symptome nicht immer bekannt
Die in Lauchheim nachgewiesenen Infektionserreger verursachen sowohl chronische als auch akute Erkrankungen unterschiedlichen Schweregrades. Eine Infektion mit M. leprae kann zur Entwicklung einer hartnäckigen und stark beeinträchtigenden Lepra führen. Die Symptome einer HBV-Infektion reichen von leichten Bauchschmerzen und Fieber bis hin zu Leberfibrose und sogar Leberkrebs. B19 scheint weniger gefährlich zu sein, da die Infektion in der Regel asymptomatisch verläuft und schwere Komplikationen selten sind.
Im Gegensatz dazu verursachte das Variola-Virus bis zur seiner Ausrottung im Jahr 1980 die Pocken - eine akute Krankheit mit hoher Sterblichkeit. „Aufgrund der genetischen Unterschiede zwischen dem modernen und dem mittelalterlichen VARV können wir jedoch nicht sagen, wie die Symptome der Infektion im Mittelalter aussahen und ob der Erreger so gefährlich war wie das moderne Variola-Virus“, so Prof. Dr. Krause-Kyora.
Erhebliche Anzahl von Koinfektionen
Die Autorinnen und Autoren stellten eine erhebliche Anzahl von Koinfektionen mit zwei oder sogar drei verschiedenen Erregern fest. Insgesamt konnten bei 31 Prozent der untersuchten Individuen genetische Spuren von mindestens einem Erreger gefunden werden. „Obwohl diese Zahl sehr hoch ist, spiegelt sie nicht die Krankheitslast zu einem bestimmten Zeitpunkt wider. Die Datierung der Gräber deutet darauf hin, dass das Gräberfeld etwa ein Jahrhundert lang genutzt wurde, also drei bis vier Generationen. Das muss bei der Interpretation berücksichtigt werden“, gibt Joanna Bonczarowska vom Institut für klinische Molekularbiologie der CAU, Erstautorin der Studie, zu bedenken.
Einige Infektionen unentdeckt?
Dennoch glauben die Forscher, dass ihre Berichte die wahre Häufigkeit der Infektion in Lauchheim wahrscheinlichunterschätzen. Krause-Kyora erklärt das so: „Wenn alle Weichteile zerstört sind, können in den Knochen nur noch durch Blut übertragene Krankheitserreger zuverlässig nachgewiesen werden. Berücksichtigt man diese Einschränkung zusammen mit dem Abbau von DNA-Molekülen, der im Laufe der Zeit stattfindet, blieben einige Infektionen wahrscheinlich unentdeckt.“
Kleine Eiszeit hatte Auswirkungen
Die frühmittelalterlichen Menschen in Lauchheim waren im Allgemeinen in einem schlechten Gesundheitszustand, da ihre Skelette Anzeichen von Infektionen und/oder einer unzureichenden Ernährung aufwiesen. Eine der Hauptautorinnen, Prof. Almut Nebel vom Institut für klinische Molekularbiologie der CAU, erklärt: „Zu dieser Zeit erlebte Europa einen rapiden Klimaverfall, der als spätantike kleine Eiszeit bekannt ist. Klimaveränderungen können zu Ernteausfällen und schließlich zu Hungersnöten führen“. Die Unterernährung erhöhte möglicherweise den physiologischen Stress der Menschen. „Theoretisch würde eine Hungersnot die unterernährte Bevölkerung schwächen und die Verbreitung von Krankheitserregern in der Gemeinschaft erleichtern. Diese Menschen waren in einem sehr schlechten Gesundheitszustand, und die Bedingungen schienen die Ausbreitung von Krankheiten und die Entwicklung von Krankheitserregern zu begünstigen“, fügt Professorin Nebel hinzu.
Bedingungen auf heute übertragbar?
Die Studie bietet eine neue Perspektive auf die Belastung durch Infektionskrankheiten in einer Gemeinschaft, welche in einer Zeit lebte, die durch eine hohe Exposition gegenüber Krankheitserregern, einen raschen kulturellen Wandel und große klimatische Veränderungen gekennzeichnet war. Diese Bedingungen lassen sich bis zu einem gewissen Grad auf die heutige Zeit übertragen - in Zeiten neu aufkommender, wieder zurückkehrenden Infektionskrankheiten und des Klimawandels.
Quelle: idw/Cluster of Excellence ROOTS - Social, Environmental, and Cultural Connectivity in Past Societies
Artikel teilen