Gewürdigt wird beim Kongress das 75-jährige Jubiläum der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung e. V. (DGKN). In einer Spotlight Lecture am Freitag, 14. März, 10:15 – 10:45 Uhr blickt die DGKN auf zahlreiche medizinische Innovationen, von den Anfängen des EEG bis zum heutigen Fortschritt durch neue Technologien und künstliche Intelligenz. Auf einer Pressekonferenz hat Prof. Dr. Susanne Schubert-Bast, Leitende Oberärztin der Neuropädiatrie der Kinderklinik am Epilepsie-Zentrum der Universitätsmedizin Frankfurt und DGKN-/Kongress-Präsidentin 2024/25, die weiteren Highlights vorgestellt. Mit großem Interesse werde bspw. Frank Willet mit seiner Keynote Lecture „Recent Advances in Intracortical Brain-Computer Interfaces“ erwartet. Beim Präsidentensymposium gehe es um das Thema Lifelong Learning. Die enge Verbindung zu anderen Gesellschaften sowie die interdisziplinäre Aufstellung spiegele sich in den Joint Symposien wider. So wird es eine Veranstaltung zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie mit dem Titel „Neues zu EEG und Bildgebung bei Epilepsien“ geben. Die Deutsche Gesellschaft für Liquordiagnostik und Klinische Neurochemie präsentiert „Neues und Bewährtes aus der Liquordiagnostik“. Zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke gibt es das Symposium „Neues bei Myositis und Myasthenia gravis“ und mit der Organization for Human Brain Mapping wird das Thema „Quo Vadis MRI? New Avenues Shaping the Future of Clinical Neuroimaging“ behandelt.
Epilepsien im Kindesalter
Schubert-Bast ging auf der Pressekonferenz zudem auf das Thema Epilepsien im Kindesalter ein. Sie sind häufig – in Deutschland seien Schätzungen zufolge etwa 60.0000 Kinder und Jugendliche betroffen. Während die meisten pädiatrischen Epilepsien gut behandelt werden könnten oder spontan sistierten, könnten schwere Verlaufsformen, besonders bei frühem Krankheitsbeginn, die Hirnentwicklung erheblich beeinträchtigen. Bei circa 5.000 Kindern gebe es schwer therapierbare Epilepsien. „Die frühe Erkennung und Kontrolle von epileptischen Anfällen im Kindesalter sind entscheidend, um negative Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung zu minimieren und die bestmöglichen Entwicklungschancen für die betroffenen Kinder zu gewährleisten“, so Schubert-Bast. Sie betonte, dass sich aktuelle Behandlungsmöglichkeiten hauptsächlich auf anfallssupprimierende Medikamente beschränken, die jedoch die kognitive Entwicklung nicht direkt beeinflussen könnten. „Die Entwicklung von Therapieansätzen, die über die reine Anfallskontrolle hinaus auch die damit einhergehende Enzephalopathie behandeln, ist deshalb essenziell“, sagte Schubert-Bast. Auf dem Kongress für Klinische Neurowissenschaften 2025 in Frankfurt stellt sie als Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung e. V. die Fortschritte der Therapie von schwer behandelbaren Epilepsien, bis hin zu krankheitsmodifizierenden Ansätzen vor. Die Entwicklung gehe von der Anti-Seizure Medikation hin zum Disease Modifying Treatment.
Neues zum Schlaganfall
Prof. Dr. Christian Grefkes-Hermann, Direktor der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Frankfurt und Past-Präsident der DGKN, zeigt auf dem Kongress auf, wie neue Therapien schon heute die Lebensqualität von Betroffenen verbessern und welche Fortschritte in Zukunft zu erwarten sind. In Deutschland erleiden pro Jahr etwa 270.000 Menschen einen Schlaganfall, der sowohl ihre Selbständigkeit als auch ihre Lebensqualität erheblich einschränken kann. Es ist die fünfthäufigste Todesursache. Grefkes-Hermann erläuterte auf der Pressekonferenz die Möglichkeiten der Therapie nach einem Gefäßverschluss im Gehirn oder einer Hirnblutung, die sich jedoch deutlich verbessert hätten. Für die akute Therapie gelte „Time is Brain“. Ein Meilenstein in der akuten Behandlung sei die Erweiterung des Zeitfensters für die Katheterbehandlung (Thrombektomie). Studien hätten gezeigt, dass Patientinnen und Patienten mit einem Verschluss großer hirnversorgender Gefäße sogar bis zu 24 Stunden nach dem Ereignis von dieser Behandlung profitieren können. Die Thrombektomie zeige zudem auch bei schweren Schlaganfällen Erfolg, bei knapp 20 % der Patientinnen und Patienten seien Tod oder Pflegebedürftigkeit verhindert worden.
Die medikamentöse Schlaganfalltherapie habe ebenfalls deutliche Fortschritte gemacht: Das Thrombolytikum Tenecteplase habe in vielen deutschen Schlaganfallzentren den Einsatz des bisherigen, seit fast 30 Jahren eingesetzten Medikaments Alteplase abgelöst. Es vereinfache aufgrund der deutlich kürzeren Applikationsdauer (Bolusgabe anstatt einstündiger Infusion) bei gleicher Wirkung die Abläufe in der akuten Schlaganfalltherapie deutlich, auch was Transfers zwischen Krankenhäusern für weitere Therapien wie Thrombektomie betreffe.
Grefkes-Hermann ging zudem noch auf die Verbesserung der Hirnaktivität nach einem Schlaganfall durch Transkranielle Magnetstimulation (TMS) ein. Es gebe dabei eine Verbesserung von motorischen und sprachlichen Fähigkeiten zusätzlich zur Reha. Moderne Bildgebungsverfahren und Konnektivitätsanalysen können es ermöglichen, die Anpassungsprozesse des Gehirns nach einem Schlaganfall zu untersuchen und zu verstehen, warum manche Betroffene sich besser erholen als andere. So könnten Behandlungsmethoden individuell optimiert werden.
Neues zu Alzheimer und ALS
Beim Thema Alzheimer ging Grefkes-Hermann auf die neuen Therapiemöglichkeiten ein. So könne Lecanemab (und Donanemab) für die Therapie von Frühformen der Alzheimer-Demenz eingesetzt werden. Diese Antikörpertherapie entferne Eiweiße aus dem Gehirn, welche für die Entstehung der Alzheimer-Erkrankung verantwortlich gemacht werden. Das als Infusion verabreichte Medikament stelle somit eine der ersten zugelassenen Therapien bei dieser sehr häufigen Demenzform dar und greife direkt in die Biologie der Krankheitsentwicklung ein, sodass das Voranschreiten verzögert werden könne. Aufgrund des Nebenwirkungsprofils, wie das Entstehen von Hirnschwellungen oder Mikroblutungen, müssten regelmäßig MRT-Untersuchungen durchgeführt werden. Dies führe zu Herausforderungen für das Gesundheitssystem aufgrund der hohen Patientenzahlen, der Infrastruktur und der Kosten.
Bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS), einer bisher unheilbaren Erkrankung des motorischen Nervensystems, gibt es neue Hoffnung durch eine neue Behandlungsstrategie, die am Immunsystem ansetzt. Eine klinische Studie am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) untersucht, ob Rituximab, ein Medikament aus der Immuntherapie, das Fortschreiten der ALS verlangsamen kann. Ein weiterer Durchbruch in der ALS-Behandlung sei die Entwicklung von Tofersen, einem Antisense-Oligonukleotid, das im April 2023 von der FDA und im Februar 2024 von der europäischen Arzneimittelbehörde die Zulassung erhalten hat. Tofersen wirke durch Gen-Silencing, indem es die SOD1-mRNA abbaut und so die SOD1-Proteinsynthese unterdrücke. Es werde alle 4 Wochen über Nervenwasser appliziert und führe zu einer signifikanten Reduktion von Zerstörungsmarkern von Nervenzellen. Obwohl aktuell nur ein kleiner Teil der ALS-Betroffenen mit der nachgewiesenen SOD1-Gen-Mutation für eine Tofersen-Therapie in Frage komme, zeige diese innovative Therapie das Potenzial gezielter genetischer Interventionen bei neurodegenerativen Erkrankungen.
In einer Public Lecture am Samstag, 15. März, 12:30 – 14:00 Uhr, geht es darum, wie moderne medizinische Begleitung die Lebensqualität mit einer chronischen neurologischen Erkrankung im Alltag verbessert. Bei dieser den Kongress abschließenden Veranstaltung können alle Interessierten, auch über das Fachpublikum hinaus, teilnehmen. Themen, die angeboten werden, sind: Prof. Dr. Susanne Schubert-Bast: Teilhabe in Kindergärten und Schulen für Kinder mit Epilepsie (12:30 bis 13:00 Uhr), PD Dr. Yavor Yalachkov: Wird meine Multiple Sklerose (wieder) besser? (13:00 bis 13:30 Uhr) und Prof. Dr. Christian Grefkes-Hermann: Funktionserholung nach Schlaganfall – innovative Therapien in der Rehabilitation (13:30 bis 14:00 Uhr).
Möglichkeiten von KI und Wearables
Prof. Dr. Simon Eickhoff, Direktor des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin am Forschungszentrum Jülich und Leiter des Instituts für Systemische Neurowissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, warf auf der Pressekonferenz einen Blick auf die Möglichkeiten der KI und mHealth. Künstliche Intelligenz (KI), die Analyse großer Datenmengen (Big Data) und der Einsatz mobiler Gesundheitstechnologien (mHealth) könnten neue Perspektiven für die Diagnose und Therapie bislang unheilbarer neurologischer Erkrankungen eröffnen. „Die Integration dieser Technologien in neurophysiologische Methoden bietet uns die Chance, neurologische Prozesse auf einer bisher unerreichten Detailebene zu untersuchen und zu verstehen“, sagte Eickhoff. So gebe es einen großen Paradigmenwechsel, um die fehlende individuelle Aussagekraft zu erreichen. Statt kleine Probandengruppen mit klassischer Statistik zu untersuchen, würden seit etwa zehn Jahren Machine-Learning-Modelle an sehr großen Kohorten trainiert und an unabhängigen Daten evaluiert. Dieser Ansatz ermögliche erstmals, präzise Aussagen über neue Individuen mittels gelernter Algorithmen zu treffen. Über das Training von KI-Modellen an großen Kollektiven bestehe nun zum ersten Mal eine klare Perspektive für die Anwendung in der Praxis, erklärte Eickhoff: „Der Einsatz von KI in der Neurophysiologie eröffnet völlig neue Möglichkeiten für personalisierte Diagnostik und Therapie. Wir können Muster erkennen, die für das menschliche Auge unsichtbar sind.“
Während diese Entwicklungen noch im Gange seien, zeichne sich bereits die nächste Revolution ab. Statt auf teure, große und nur in Kliniken verfügbare bildgebende Geräte angewiesen zu sein, könnten umfangreiche Daten über Wearables wie Smartphones, Smartwatches oder Fitnesstracker gesammelt werden. „Diese Geräte bieten den unschätzbaren Vorteil, Verhalten und Störungen im realen Alltagsleben zu erfassen und ermöglichen robuste Einschätzungen auf Basis langfristiger, engmaschiger Datenerhebung“, so Eickhoff. Als Beispiel nannte er die Erfassung des Ruhe Tremors bei Parkinsonpatienten, der mit dem Smartphone über längere Zeiträume erfasst werden könne. So könne eine Verlaufskontrolle kostengünstig gewährleistet werden. Künftig seien automatische Sprach- und Bewegungsanalysen denkbar.
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