Der Siegeszug begann, als der deutsche Neurologe und Psychiater Hans Berger aus Jena vor genau 100 Jahren die Hirnwellen entdeckt hatte. Damit hatte die Elektroenzephalografie (EEG) die Neurowissenschaften revolutioniert [1, 2]. „Das EEG hat den Weg geebnet für bedeutende Fortschritte in der Erforschung der Hirnfunktionen, des Bewusstseins sowie bei der Diagnose und Therapie von Epilepsien, Parkinson, Demenz und anderen neurologischen Erkrankungen“, betont PD Dr. Susanne Schubert-Bast, Präsidentin 2024/25 der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) anlässlich des Kongresses für Klinische Neurowissenschaften vom 6. bis 9. März in Frankfurt.
Festveranstaltung in Jena
Die Fachgesellschaft feiert mit zahlreichen Partnern im Jahr 2024 „100 Jahre EEG“. Mit Geschichte und Geschichten über das EEG, mit Ausblicken in die faszinierende Zukunft, mit Vorträgen und Publikationen und am 6. Juli mit einer zentralen Festveranstaltung in Jena: https://www.dgkn.de/100JahreEEG. „In den vergangenen 100 Jahren hat sich das EEG zu einer der wichtigsten Methoden für die Diagnostik von Hirnerkrankungen und einem Eckpfeiler der modernen Neurowissenschaften entwickelt“, sagt die Leitende Oberärztin der Neuropädiatrie der Kinderklinik am Epilepsie-Zentrum des Universitätsklinikums Frankfurt Rhein-Main. „Derzeit entwickelt sich die Methode in rasantem Tempo weiter, angetrieben durch Fortschritte der Sensortechnologie, im maschinellen Lernen und in der Neuroinformatik“, so PD Dr. Schubert-Bast. Spezielle Elektrodenanordnungen mit hoher Dichte (EEG-Arrays), tragbare Geräte und drahtlose Konnektivität haben die EEG-Forschung erweitert und ermöglichen personalisierte medizinische Ansätze und die EEG-Fernüberwachung.
Erweiterter Einsatz des EEG
Der Beginn des 21. Jahrhunderts läutete eine neue Ära der EEG-Forschung ein. Neurofeedbackmethoden und neurokognitive Ansätze erweitern den Einsatz des EEG [3]. Mittels Neurofeedback können Patientinnen und Patienten ihre Gehirnaktivität beeinflussen, um Symptome neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen zu verbessern, wie zum Beispiel bei ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom), Autismus, Epilepsie und Depression. Die Weiterentwicklung von EEG-Tiefenelektroden verbesserte die epilepsiechirurgische Versorgung und ermöglichte Anwendungen mittels Gehirn-Computer-Schnittstellen (Brain-Computer-Interfaces, BCIs). Diese Technologie wandelt Gehirnströme in elektrische Signale um und ermöglicht es, Computeroberflächen oder Prothesen allein mit den Gedanken anzusteuern, was unter anderem für Schwerstgelähmte von medizinischer Bedeutung ist.
Einsatz von KI
Auch für neue Anwendungsmöglichkeiten durch den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) gibt es bereits zahlreiche Beispiele: So hilft KI bei der Auswertung von Elektroenzephalogrammen und erleichtert die Diagnose – die effiziente Analyse großer Datenmengen ist teilweise zeitaufwendig und erfordert große Erfahrung, etwa bei der Klassifikation von Schlafstadien, die für das Verständnis von Lern- und Gedächtnisprozessen essenziell sind [4]. Ein EEG kann aber auch schon heute Hinweise darüber liefern, ob eine Behandlung bei depressiven Patientinnen und Patienten anschlägt. Es wird darin eine Chance gesehen, in Zukunft die Suche nach dem geeigneten Medikament zu verkürzen [5]. Auch Schwerhörige könnten bald von der Weiterentwicklung des EEG profitieren: Derzeit werde ein System entwickelt, das das Sprachverstehen mit Hörgeräten in komplexen Situationen verbessere. Methodische Grundlage sei dabei eine Kombination aus EEG, Audiosignalverarbeitung und Elektrostimulation des auditorischen Kortex [6].
„Der Blick in die Zukunft verspricht, dass die Entwicklung des EEG noch lange nicht abgeschlossen ist“, so das Fazit von PD Dr. Schubert-Bast. „Schon heute bietet es noch tiefere Einblicke in die Funktionsweise des Gehirns. Faszinierende und vielversprechende neue Anwendungen reichen von der Früherkennung neurologischer Störungen bis hin zu gehirngesteuerten Prothesen und weiteren Systemen mit künstlicher Intelligenz.“
Quelle: DGKN
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