Depression: Schnell zurück an den Arbeitsplatz?

Projekt PRO*ACTIVE
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Symbolbild für Depression (dunkle Wolke über dem Kopf)
© Jorm Sangsorn/stock.adobe.com
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Ein Team der MHH untersucht Effekte der frühen Wiedereingliederung bei Depressionen.

Psychische Erkrankungen, vor allem Depressionen, stellen die zweithäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit (AU) dar. Die AU-Zeiten wegen psychischer Erkrankungen haben in den vergangenen Jahren denn auch kontinuierlich zugenommen. So verzeichnete der DAK-Gesundheitsreport für die erste Jahreshälfte 2024 rund 182 Fehltage pro 100 Versicherte bei den psychisch Erkrankten. 2023 waren es im selben Zeitraum 159 Fehltage, das entspricht das einer Steigerung von 14,3 Prozent. Doch hilft eine lange Abwesenheit vom Arbeitsplatz depressiven Menschen bei der Heilung? Die Experten sind sich sicher: Lange AU-Zeiten belasten nicht nur das Sozialsystem, sie haben oft auch negative Auswirkungen auf die Genesung der Betroffenen. Denn unsichere Erstdiagnosen und lange Wartezeiten auf Psychotherapien verzögern die Behandlung und verschlechtern die Prognose. Damit rückt dann oft auch die Rückkehr an den Arbeitsplatz in weite Ferne.

Neuer Weg wird erforscht

Mit dem Projekt PRO*ACTIVE geht die Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) nun einen neuen Weg: Das Programm soll die schnelle Wiedereingliederung von Patientinnen und Patienten mit Depressionen in den Arbeitsprozess proaktiv fördern. Das Projekt soll im Herbst dieses Jahres starten und wird vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) mit rund 4,2 Millionen Euro gefördert. Projektpartner sind die AOK Niedersachsen sowie das MHH-Institut für Biometrie und das MHH-Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung.

Arbeit kann depressiven Menschen guttun

„…bei den allermeisten Patientinnen und Patienten mit Depressionen wirken sich lange Zeiten der Arbeitsunfähigkeit eher negativ aus“, sagt Professor Dr. Kai Kahl von der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie. Lange Zeit habe die Ansicht geherrscht, die Patientinnen und Patienten müssten durch Psychotherapie erst vollständig genesen sein, um dann an den Arbeitsplatz zurückkehren zu können. Aber das stimme so nicht. „Die Betroffenen von der Arbeit fernzuhalten macht überhaupt keinen Sinn. Viel besser ist es, die Therapie von Anfang an an den Arbeitsplatz anzupassen und die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass sie den Genesungsprozess unterstützen.“ Arbeit sorge regelhaft für Struktur, soziale Kontakte und Wertschätzung. Das seien alles Dinge, die depressiven Menschen guttun. Das Projekt PRO*ACTIVE, das Professor Kahl gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Ivo Heitland startet, erfolge in vier Schritten:

  1. Zunächst identifiziere der Kooperationspartner AOK Versicherte mit Depressionsdiagnose und dem Risiko einer langfristigen Arbeitsunfähigkeit.
  2. Diese sollen dann proaktiv von Fallmanagerinnen und -managern der Krankenkasse kontaktiert und in das Projekt vermittelt werden.
  3. Im dritten Schritt erfolge ein Screening in der MHH. „Wir überprüfen die Depressionsdiagnose im Zweitmeinungsverfahren und sorgen dafür, dass die Patientinnen und Patienten zeitnah ambulant psychotherapeutisch versorgt werden“, erläutert Dr. Heitland.
  4. Schritt vier stelle dann die eigentliche Therapie dar. Diese soll wohnortnah in speziell dafür zertifizierten psychotherapeutischen Kooperationspraxen stattfinden.

Arbeitsplatzorientierte Therapie vs. Standardtherapie

An PRO*ACTIVE nehmen insgesamt 250 Betroffene teil. Die eine Hälfte erhalte eine Standard-Psychotherapie, die andere Hälfte eine Psychotherapie, bei der die Reintegration in Arbeit psychotherapeutisch aktiv betreut werde. Bei beiden Behandlungen handele es sich um kognitive Verhaltenstherapien mit 25 Sitzungen. „Bei der arbeitsplatzorientierten Therapie begleiten die Therapeutinnen und Therapeuten die Studienteilnehmenden zusätzlich auf den Wiedereinstieg vor und begleiten sie nach Möglichkeit dabei“, sagt Dr. Heitland. Den Kontakt zum Arbeitgeber nehmen die Patientinnen und Patienten selbst auf, mit ihm besprechen sie die konkreten Bedingungen der Rückkehr in die Berufstätigkeit. Am Ende der Therapie stehe ein zweiter Termin in der MHH an. Professor Kahl, Dr. Heitland und ihr Team überprüfen dann mit diagnostischen Untersuchungen den individuellen Erfolg der Therapie und vergleichen die Ergebnisse mit denen der Kontrollgruppe. Das MHH-Institut für Biometrie soll die Daten des Projekts wissenschaftlich auswerten.

Lassen sich die Kosten senken?

„Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass vor allem leicht bis mittelschwer depressive Patientinnen und Patienten davon profitieren, wenn der Arbeitsplatz von Beginn der Therapie an mitgedacht wird“, sagt Dr. Heitland. „Sie werden schneller wieder gesund und entfernen sich durch lange AU-Zeiten nicht immer weiter von ihrer Arbeit.“ Daher spreche alles für die arbeitsplatzbezogene Therapie bei Depressionen. „Darüber hinaus wirkt sich diese Art der Therapie auch gesundheitsökonomisch positiv aus“, betont Professor Kahl. „Kürzere AU-Zeiten senken die Kosten für die Krankenkassen und schonen das Sozialsystem.“ Professor Kahl und Dr. Heitland hoffen, mit dem Projekt PRO*ACTIVE einen weiteren Schritt dahin zu machen, dass die arbeitsplatzbezogene Psychotherapie in die Regelversorgung übernommen werden kann.

Quelle: idw/MHH

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