Hirnmetastasen treten bei ca. 20-40% aller Krebspatientinnen und -patienten in fortgeschrittenen Stadien im Laufe ihrer Erkrankung auf. Mit 50% sind Hirnmetastasen auch die häufigsten Tumoren des Gehirns. Die moderne Hochpräzisionsbestrahlung ermöglicht heutzutage eine punktgenaue, hochdosierte Bestrahlung. Die stereotaktische Bestrahlung erfolgt nach detaillierter 3-D-Planung anhand von CT- und MRT-Bildern mit Berechnung des Bestrahlungsfelds. Man spricht bei der stereotaktischen Bestrahlung auch von „Radiochirurgie“, weil die Abtragung (Ablation) des Tumorgewebes so gründlich und millimetergenau wie mit dem Skalpell erfolgen kann. Dies erfolgt oft in einer einzigen Behandlungssitzung. Die Metastasen werden dann mit sehr hohen Dosen bestrahlt, das umliegende Hirngewebe wird aber nicht geschädigt. „Eine ablative Hochpräzisionsbestrahlung ist heute genauso effektiv wie eine Metastasen-Operation, aber nicht invasiv und daher sicherer für die Patientinnen und Patienten“, betonte Univ.-Prof. Dr. Stephanie E. Combs, Pressesprecherin der DEGRO, auf dem Deutschen Krebskongress in Berlin.
Paradigmenwechsel bei mehreren Metastasen
Bislang wurde die radiochirurgische Entfernung von Metastasen nur bei vereinzelten Metastasen eingesetzt. Hatte die Patientin/der Patient mehr als drei Krebsherde im Gehirn, wurde die Therapie nicht durchgeführt. Hier hat sich zwischenzeitlich ein Paradigmenwechsel vollzogen: Die Radiotherapie ist auch bei multiplen Läsionen im Gehirn hocheffektiv, auch in der Rezidivsituation, so die DEGRO. „Früher waren multiple Hirnmetastasen letztlich oft die Ursache für das Versterben der Patientinnen und Patienten. Das ist heute nicht mehr der Fall. Hirnmetastasen sind dank der Radiochirurgie gut behandelbar. Heute ist es eher das Fortschreiten des Primärtumors oder Metastasen außerhalb des Gehirns, die das Überleben der Betroffenen einschränken“, erklärte die Münchner Radioonkologin.
Eindeutige Studienergebnisse
Dass die Anzahl der Läsionen nicht für das Überleben entscheidend ist, zeigte bereits 2018 eine japanische Studie [1]. Sie analysierte die Therapieergebnisse von 784 Menschen mit nichtkleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) und Hirnmetastasen, bei denen die Hirnmetastasen radiochirurgisch behandelt worden waren. Die Betroffenen wurden in drei Gruppen unterteilt, je nach Anzahl der Hirnmetastasen (1 Metastase, 2-4 Metastasen und bis zu 10 Metastasen). Das mediane Überleben war zwischen Gruppe 2 und 3 nicht signifikant unterschiedlich (12,3 vs. 12,8 Monate), auch im Hinblick auf neurologisch bedingte Todesfälle, Abnahme der neurologischen Funktion, Auftreten neuer Läsionen oder leptomeningealer Metastasen gab es keine Unterschiede. „Diese Studie zeigte, dass auch die Bestrahlung von bis zu 10 Metastasen problemlos möglich und ebenso erfolgreich ist, und daher die Therapie den Betroffenen nicht vorenthalten werden sollte“, erklärte Prof. Combs.
Hypofraktionierte stereotaktische Bestrahlung nach OP
Werden Hirnmetastasen neurochirurgisch entfernt, wird nach der OP eine hypofraktionierte stereotaktische Bestrahlung empfohlen. 558 Patientinnen und Patienten mit Hirnmetastasen wurden in einer Studie [2] im Median mit einer Gesamtdosis von 30 Gy (aufgeteilt auf Einzeldosen von im Median 6 Gy) bestrahlt. Das Gesamtüberleben betrug 65% nach einem Jahr, 46% nach zwei Jahren und 33% nach drei Jahren. Die Studie untersuchte, welche Kriterien mit einem guten Überleben assoziiert waren. Ausschlaggebend für eine gute Prognose waren ein Karnofsky-Index von 80% oder höher, ein Zeitraum von 22-33 Tagen zwischen Operation und Radiotherapie und ein kontrollierter Primärtumor. „Auch hier deutete sich an, dass das Wachstum des Primärtumors mehr negative Auswirkungen auf das Überleben hatte als die Hirnmetastasen“, erklärte Prof. Combs.
Stereotaktische Bestrahlung vor der OP
Eine weitere Option ist die stereotaktische Bestrahlung vor der Operation. Vorteile sehen Expertinnen und Experten vor allem in der bessern Abgrenzbarkeit des Zielvolumens vor einer Operation. Ziel einer in München laufenden Phase-1-Dosiseskalationsstudie NepoMUC [3] ist es, die maximal tolerierte Dosis für dieses Vorgehen zu finden. „Wenn wir wissen, mit welchen Dosen wir die Betroffenen neoadjuvant bestrahlen können, möchten wir Vergleichsstudien durchführen, um herauszufinden, von welchem Therapieschema die Betroffenen am meisten profitieren – der Bestrahlung der Metastasen vor der chirurgischen Entfernung oder der Bestrahlung des Tumorbetts nach der chirurgischen Entfernung der Metastasen“, so die Expertin.
Keine Ganzhirnbestrahlung mehr
Die Standardbehandlung von multiplen Hirnmetastasen war seit Jahrzehnten die sogenannte Ganzhirnbestrahlung. Dabei wird das gesamte Gehirn (Metastasen wie gesunde Bereiche) mit einer einheitlichen Dosis bestrahlt. Diese Behandlung kann das Überleben der Patientinnen und Patienten verglichen mit keiner Strahlentherapie zwar verlängern, geht aber häufig mit Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit einher, was auch die Lebensqualität stark beeinträchtigen kann. Eine 2022 in JAMA publizierte Studie [4] zeigte, dass die Ganzhirnbestrahlung bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen mit einer erhöhten Neurotoxizität einherging als die stereotaktische Bestrahlung der einzelnen Metastasen, aber nicht zu einem besseren Überleben führte.
„Das Verfahren der Ganzhirnbestrahlung hat somit in den meisten Fällen ausgedient. Es ist nicht wirksamer, aber nebenwirkungsreicher. Die Optionen bei Hirnmetastasen sind heute die radiochirurgische Entfernung einzelner Läsionen oder die Kombination aus chirurgischer Entfernung und Bestrahlung. Mit beiden Verfahren können wir eine gute Kontrolle der Hirnmetastasen erreichen. In vielen Fällen sind es nicht mehr die Hirnmetastasen, die das Überleben der Betroffenen limitieren, wie das vor wenigen Jahren noch der Fall war, sondern das Fortschreiten des Primärtumors oder von Metastasen außerhalb des Gehirns. Hirnmetastasen hingegen sind zunehmend beherrschbar“, lautetet das Fazit der DEGRO-Pressesprecherin.
Quelle: DEGRO
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