Darmkrebsvorsorge: Schon ab 30 sinnvoll?

Bayerisches Modellprojekt FARKOR
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Darmkrebs ist bei Frauen und Männern nach wie vor eine der häufigsten Krebserkrankungen und die zweithäufigste Krebstodesursache in Deutschland. Sollte das Alter für Vorsorgeuntersuchungen gesenkt werden?

In Deutschland erkrankten 2018 laut Krebsinformationsdienst rund 26.700 Frauen und 34.000 Männer erstmals an Dickdarmkrebs. Im Jahr 2022 werden laut Schätzung der deutschen epidemiologischen Krebsregister und des Zentrums für Krebsregisterdaten im Robert Koch-Institut 33.000 Männer und 25.000 Frauen an einem kolorektalen Karzinom erkranken. Die gesetzlichen Vorsorge-Leistungen gegen Darmkrebs beginnen im Alter von 50 Jahren. Etwa zehn Prozent der jährlichen Neuerkrankungen betreffen aber Menschen vor dem 50. Lebensjahr. Dem Großteil dieser Fälle liegt ein familiäres oder erbliches Risiko zugrunde. Das bayerische Modellprojekt FARKOR zeigt nun erstmals, warum für diese Menschen Darmkrebsvorsorge bereits ab 30 Jahren angeboten werden sollte.

Durchführung des Modellprojekts

Auf Initiative der Felix Burda Stiftung hatten sich nahezu alle bayerischen Krankenkassen unter der Konsortialführung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) zur Durchführung des vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Bundesregierung geförderten Modellprojekts FARKOR zusammengeschlossen. Ziel des Projekts – das von 2017 bis 2021 lief - war es, ein vorhandenes familiäres Darmkrebsrisiko bei Versicherten im Alter von 25 bis 49 Jahren möglichst so früh zu identifizieren, sodass diese vor einer Darmkrebserkrankung bewahrt werden können und die Sterblichkeit von Darmkrebs bei den unter 50-Jährigen gesenkt wird. Denn während in der Gruppe 50+ die Neuerkrankungen seit Einführung der gesetzlichen Vorsorge-Darmspiegelung zurückgingen, stiegen die Inzidenzen bei den 25- bis 49-jährigen seit 2002 um rund 11 Prozent an!

Reduktion der Erkrankungen bei unter 50-jährigen?

„Wir beobachten die Häufigkeitszunahme des Darmkrebses bei den unter 50-jährigen aufmerksam. Eine klare Erklärung hierfür gibt es noch nicht, aber eine Hypothese“, so Dr. Berndt Birkner, Kurator der Felix Burda Stiftung und Vize-Präsident des Netzwerk gegen Darmkrebs e.V. „Diese Hypothese betrifft das familiäre Risiko. Würde sich die Hypothese bestätigen, und daran wird im Rahmen der Nationalen Dekade gegen Krebs geforscht, dann wird mit der Integration der FARKOR-Strategie in die Regelversorgung, tatsächlich eine Reduktion der Erkrankungen bei unter 50-jährigen erreicht“, so der Magen-Darm-Arzt.

Die wissenschaftlichen Ergebnisse des Modellprojektes FARKOR, das vom Innovationsfonds der Bundesregierung gefördert wurde, wurden nun in München vom Konsortialführer und den Partnern vorgestellt.

Teilnahme fast aller bayerischen Krankenkassen

„FARKOR nimmt dabei eine besondere Rolle unter den Innovationsprojekten ein, die wir als KVB mit begleiten“, hebt Dr. Marcel Jedraßczyk von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) die Bedeutung des Modellprojekts hervor. „Zum einen ist es die finanzielle Größe des Projektes, für das knapp 11 Mio. Euro veranschlagt wurden. Aber auch die Teilnahme fast aller bayerischen Krankenkassen ist hier ein Novum, das die Relevanz des Themas Darmkrebsvorsorge unterstreicht.“

Die Erkenntnisse aus FARKOR basieren auf einer für Innovationsfondsprojekte außergewöhnlich breiten Datenbasis von rund 26.000 durchgeführten, einfachen Familienanamnesen unter Arztbesuchern im Alter von 25-49 Jahren. Diese haben in der Regel aus anderen Gründen eine Haus- oder fachärztliche Praxis aufgesucht und wurden quasi „proaktiv“ mit einer Anamnese konfrontiert.

Bei 287 Teilnehmern Adenome gefunden

Bei 22,3 Prozent dieser Patienten wurde die Familienanamnese positiv dokumentiert. 1.188 der Studienteilnehmer entschieden sich aufgrund dieses Risikos für einen immunologischen Stuhltest (iFOBT), 1.595 nahmen eine Darmspiegelung in Anspruch. So konnten bei 287 Teilnehmern Adenome, Vorstufen von Darmkrebs, gefunden werden. Das mittlere Alter lag bei 41,2 Jahren. Zudem wurden bei den symptomfreien Versicherten insgesamt 76 fortgeschrittene Adenome und vier kolorektale Karzinome (Darmkrebs) gefunden.

Das Überraschende: Adenome und fortgeschrittene Adenome treten bei FARKOR-Patienten mit positiver Familienanamnese im Alter 25-49 Jahren in ähnlicher Häufigkeit auf, wie bei Patienten der Normalbevölkerung ab 50 Jahren.

Früherkennung ab 30?

Basierend auf diesen Analysen erscheint laut Felix Burda Stiftung unter Abwägung von potenziellem gesundheitlichem Nutzen, Schaden und Kosten unter den evaluierten Strategien eine Vorsorge mittels Darmspiegelung im Abstand von 10 Jahren oder alternativ eine Früherkennung mittels iFOBT im Abstand von 2 Jahren - jeweils im Alter von 30 bis 70 Jahren - sinnvoll.

FARKOR hat gezeigt, dass dieses Modell kosteneffektiv sein kann. Eine Senkung der Altersgrenze für die Vorsorgekoloskopie sowie den iFOBT auf 30 Jahre bei Personen mit positiver Familienanamnese erscheint daher sinnvoll in Bezug auf vermiedene Todesfälle und Kosten.

Kostensenkungen wären möglich

„Steigende Ausgaben bei knappen Ressourcen stellen die Gesundheitsversorgung vor große ökonomische Herausforderungen. Präventionsmaßnahmen sollten gerade in diesem Zusammenhang immer mehr an Aufmerksamkeit gewinnen, da hierdurch deutliche Anteile der Krankheitslast und damit auch der Krankheitskosten langfristig oft vermeidbar sind“,unterstreicht Assoc.-Prof. Dr. Gaby Sroczynski der UMIT TIROL - Private Universität für Gesundheitswissenschaften und -technologie die Ergebnisse ihrer gesundheitsökonomischen Analyse von FARKOR.

„Mit der Vermeidung insbesondere schwer gradiger Darmkrebsfälle sind neben einer Morbiditäts- und Mortalitätssenkung auch deutliche Kosteneinsparungen möglich“, ergänzt die Wissenschaftlerin. „Ganz konkret, basierend auf unseren Analysen, bedeutet dies, dass man im Durchschnitt ungefähr bis zu 400 Euro Kosten pro Person einsparen könnte, wenn Personen mit einem familiären Darmkrebsrisiko bereits ab einem Alter von 30 Jahren an dem Darmkrebs-Früherkennungsprogramm teilnehmen.“

There is no glory in prevention

Warum trotz der Vorteile von Prävention, wie die Vermeidung von Krankheitslast und Kosten, immer noch zu wenig in Prävention investiert wird, begründet die Gesundheitsökonomin Sroczynski so: Zum einen herrsche in unserer Gesellschaft und auch in der Gesundheitspolitik häufig eine sehr kurzsichtige Sichtweise und die Aufmerksamkeit richte sich eher auf die aktuelle Situation, also die aktuell Erkrankten, die Gesichter und Namen hätten, um diese zu heilen und zu retten. Im Gegensatz dazu seien die Menschen, die durch Früherkennung gerettet werden, nicht bekannt. Das passiere ja in der Zukunft. Es handele sich hier also um statistische Gesichter. Und zum anderen gebe es für Gesundheitspolitikerinnen und -politiker seines Erachtens zu wenig Anreize, langfristig also auch über Wahlperioden hinaus zu denken. Die meisten Leistungen einer Präventionsmaßnahme verursachten zunächst mal Kosten und ein potenzieller Gesundheitsnutzen und damit gegebenenfalls verbundene Kosteneinsparungen würden erst in 10 Jahren oder in Dekaden sichtbar.

Investition für die Zukunft

„Die Krebsvorsorge-Programme retten Leben und mindern Belastungen und Einschränkungen durch eine frühzeitig erkannte Erkrankung. Insbesondere bei Darmkrebs senkt die Vorsorge die Neuerkrankungsraten. Im Ergebnis ist die Investition in Früherkennungsuntersuchungen eine Investition für die Zukunft. Hiervon profitieren alle gleichermaßen: Die Menschen in ihrer Gesundheit und die Krankenkassen, denen dadurch weniger Kosten entstehen“, stellt Klaus Schwarzer von der AOK Bayern fest.

FARKOR ist als Modellprojekt nun positiv beendet. Alle 30-jährigen in Deutschland werden sich nun aber die Frage stellen, ab wann diese Leistung für sie von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt wird?

Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennungs-Richtlinie?

Hier hat Klaus Schwarzer von der AOK Bayern eine hoffnungsvolle Antwort: „Damit diese Vorsorge in die Regelversorgung aufgenommen werden kann, ist eine Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses notwendig. Aufgrund der nunmehr vorliegenden positiven Ergebnisse des Innovationsfondsprojekts FARKOR rechnen wir mit einer positiven Empfehlung des Innovationsfondsausschusses zur Übernahme dieser Vorsorgemaßnahme bereits in jüngerem Alter in die Regelversorgung. (…) Im Fall einer positiven Empfehlung durch den Innovationsfondsausschuss ist mit einer Erbringung und Abrechnung durch Ärzte im Rahmen der Regelversorgung in rund einem Jahr zu rechnen.“

Motivation durch Ärzte

91 Prozent der Studienteilnehmer wurden direkt durch die Ansprache der Ärzte rekrutiert. Prof. Ulrich Mansmann, Direktor des IBE an der LMU und verantwortlich für die Auswertung der FARKOR-Daten, sieht für die Praxis der Regelversorgung daher wichtige Aufgaben: „Die Studie hat gezeigt, dass man eine wichtige Risikogruppe für die frühen Screeningmaßnahmen finden kann. Die Studie ließ aber auch klar werden, dass die zuverlässige Implementierung des FARKOR-Screeningprozesses im Umfeld der niedergelassenen Ärzte mit vielen praktischen Herausforderungen verbunden ist.“ Er machte auf die Schulung der niedergelassenen Ärzte aufmerksam, denen man auch die Zeit eingestehen müsse mit den Patienten zu sprechen, um sie überhaupt erst für die Frage „Gibt es Darmkrebs in meiner Familie?“ zu sensibilisieren.

Weiteren Forschungsbedarf aufgezeigt

„Wichtig ist nun, die Ergebnisse der wissenschaftlichen und breiten Öffentlichkeit vorzustellen. (…) Die Evaluatoren haben beispielsweise bereits verschiedene Abstracts eingereicht und auch wir als KVB werden über verschiedene Kanäle wie etwa unsere Mitgliederzeitschrift KVB-Forum über die Ergebnisse berichten“, beschreibt Dr. Marcel Jedraßczyk, was jetzt zu tun ist. „Darüber hinaus haben wir in den Berichten weiteren Forschungsbedarf aufgezeigt, welcher in Zukunft gegebenenfalls durch anknüpfende Projekte näher betrachtet werden könnte.“

Als Kuratoriumsmitglied der Felix Burda Stiftung zieht Dr. Berndt Birkner folgendes Fazit: „FARKOR hat gezeigt, dass in dieser Altersgruppe der jüngeren unter 50 mit einem familiären Risiko sehr wohl im gleichen Umfang sowohl Adenome, fortgeschrittene Adenome und Karzinome auftreten, wie in der aktuellen Screening-Population über 50. Dies ergibt einen klaren Auftrag an die verantwortlichen im Gemeinsamen Bundesausschuss dafür zu sorgen, dass diese Risikogruppe in das organisierte Darmkrebs-Früherkennungsprogramm aufgenommen wird und auch den Auftrag an uns Ärzte, dass wir uns um die Analytik kümmern, das heißt in der Feststellung dieses Risikos bei unseren Patienten einen Fortschritt machen und tatsächlich durchgehend bei jedem ab 30 Jahren diese Risiken mittels einer Familienanamnese erfassen.“

Mehr Informationen gibt es hier.

Quelle: Felix Burda Stiftung

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