Hinter einer chronischen Lebererkrankung wird schnell Alkoholmissbrauch oder ein Virusinfekt als Ursache vermutet. In bis zu 20 Prozent der Fälle handelt es sich bei chronischen Entzündungen der Leber (Hepatitis) oder der Gallengänge (Cholangitis) jedoch um Autoimmunkrankheiten, die auf eine Fehlsteuerung des Immunsystems zurückgehen. Während grundlegende immunologische Prozesse gut verstanden werden, wissen Ärzte wenig darüber, wie und wodurch sie letztlich angestoßen werden und eine Leberschädigung beginnt.
Autoimmune Lebererkrankungen sollten so früh wie möglich diagnostiziert und behandelt werden. Aber die oft notwendige lebenslange medikamentöse Therapie kann erhebliche Nebenwirkungen verursachen, weshalb Ärzte mitunter sorgfältig abwägen müssen. In der neuen Leitlinie „Autoimmune Lebererkrankungen“ haben Wissenschaftler den aktuellen Erkenntnisstand zusammengefasst, um Diagnose und Therapie dieser noch immer schwer greifbaren Erkrankungen zu fördern, zu verbessern und praxisorientierte Hinweise zu geben. Die Leitlinie wird von der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) herausgegeben.
„Autoimmune Lebererkrankungen stellen Kliniker vor diagnostische und therapeutische Herausforderungen“, sagt Prof. Dr. med. Christian P. Strassburg, Direktor am Universitätsklinikum Bonn und einer der Koordinatoren der neuen Leitlinie. Denn die Erkrankungen, zu denen unter anderem die autoimmune Hepatitis (AIH), die primär biliäre Cholangitis (PBC) und die primär sklerosierende Cholangitis (PSC) zählen, verursachen oft über lange Zeit hinweg keine, oder nur sehr unspezifische Symptome wie Müdigkeit oder Juckreiz. Oft werden autoimmune Lebererkrankungen deshalb erst in einem fortgeschrittenen Stadium erkannt – mit ungünstigen Folgen für Verlauf und Prognose.
Ultraschallbefunde, spezifische Bildgebung und Leberbiopsie
Die neue Leitlinie widmet sich daher ausführlich der Diagnose, die im Fall der PBC mit recht hoher Spezifität über den Nachweis von Autoantikörpern im Blut des Patienten gestellt werden kann. Fast immer sind es auch auffallende Blutwerte, über die die Erkrankungen zufällig entdeckt werden. Um zu einer sicheren Diagnose zu gelangen, empfiehlt die Leitlinie Ärzten immer auch – je nach Erkrankung – das klinische Bild, Ultraschallbefunde, spezifische Bildgebung und, bei Verdacht auf AIH, auch eine Leberbiopsie vorzunehmen. Bei PBC oder PSC muss die Leberbiopsie zur Sicherung der Diagnose nur in Zweifelsfällen durchgeführt werden.
Bei Patienten mit voranschreitender autoimmuner Hepatitis muss das Immunsystem konsequent zum Beispiel mit Kortikosteroiden gebremst werden, um die Leber zu schützen. „Diese Therapie ist lebensnotwendig, kann aber mit starken Nebenwirkungen einhergehen“, sagt Prof. Dr. med. Christoph Schramm vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, der ebenfalls federführend an der Erstellung der Leitlinie beteiligt war. Hier müsse eine Abwägung stattfinden.
Während andere nationale Leitlinien – etwa in den USA und Großbritannien, aber auch die aktuelle Leitlinie der europäischen Lebergesellschaft (EASL) – empfehlen, unterhalb bestimmter Entzündungswerte auf die Gabe von Kortikosteroiden zu verzichten, nennt die DGVS-Leitlinie keine konkreten Grenzwerte. „Es ist im Sinne des Patienten in diese Entscheidung auch andere Risikofaktoren, wie etwa das Alter oder histologische Veränderungen, einzubeziehen“, so Schramm.
Besonderheiten bei Kindern und Schwangeren
Ärzte sollten eine Kortikosteroidgabe auch bei neu diagnostizierten Patienten mit niedrigen Entzündungswerten in Betracht ziehen. So ließen sich mögliche Krankheitsschübe zunächst einmal verhindern, bis man den zeitlichen Verlauf und die Dynamik der AIH bewerten könne oder eine Remission erreicht sei und auf andere immunsupprimierende Strategien gewechselt werden kann, die weniger Nebenwirkungen aufweisen. In jedem Fall sollte der Verlauf der Lebererkrankung lebenslang engmaschig kontrolliert werden.
Die Leitlinie befasst sich ausführlich auch mit speziellen Patientengruppen mit autoimmunen Lebererkrankungen, wie etwa Kindern oder Schwangeren, und mit den Besonderheiten, die bei diesen zu beachten sind. Daneben befasst sie sich mit Impfungen bei Autoimmunerkrankungen und der eventuell notwendigen Lebertransplantation.
Eine besondere Herausforderung stellen Patienten dar, bei denen die bevorzugte erste Behandlungsoption nicht greift und die deshalb individualisierte Behandlungsansätze benötigen. Sie sollten stets in Kooperation mit spezialisierten Zentren therapiert werden, so die Empfehlung der Autoren.
Quelle: DGVS, 21.08.2017
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