Bakteriophagen statt Antibiotika?

Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) beim Deutschen Bundestag
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Noch dürfen Bakteriophagen in der EU nicht standardmäßig eingesetzt werden. Fachleute fordern jetzt die Änderung der geltenden Richtlinien.

Da Antibiotikaresistenzen die Gesundheitssysteme weltweit vor Probleme stellen, widmet sich die Forschung auch wieder zunehmend Bakteriophagen zur Bekämpfung multiresistenter Keime. Während es zwar immer wieder erfolgreiche Fallberichte gibt, mangelt es insbesondere in der Medizin an Evidenz.  Zurückzuführen sei dies vor allem auf die derzeitigen Richtlinien und Verordnungen, die eine Nutzung von Phagen in der EU und in Deutschland behinderten. Zu diesem Schluss kommt ein jetzt erschienener Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) beim Deutschen Bundestag, der die Anwendungsperspektiven, Innovations- und Regulierungsfragen bei Bakteriophagen in der Medizin sowie in der Land- und Lebensmittelwirtschaft diskutiert. 

Wirksamkeitsnachweise

Bakteriophagen, kurz Phagen, sind weltweit vorkommende Viren, die Bakterien angreifen und zerstören können. Im Gegensatz zu Antibiotika sind sie spezifisch und greifen jeweils nur einen oder wenige Bakterienstämme an. Im medizinischen Bereich werden Phagen in einzelnen Therapiezentren etwa in den USA und in Georgien, aber auch im Bundeswehrkrankenhaus in Berlin, bereits gegen Atemwegsinfektionen oder infizierte Wunden eingesetzt, heißt es in dem Bericht.  In der EU und Deutschland gebe es bisher jedoch noch kein als Medikament zugelassenes Phagenpräparat. Die Phagen könnten derzeit nur unter Ausnahmebedingungen und in Einzelfällen eingesetzt werden – beispielsweise als individueller Heilversuch, wenn herkömmliche Medikamente nicht mehr wirksam seien. Das liegt laut TAB-Bericht unter anderem an fehlenden Wirksamkeitsnachweisen durch größere klinische Studien, aber auch an dem auf unveränderliche Wirkstoffkombinationen und Standardtherapien ausgerichteten Zulassungsrahmen in der EU.

Rechtliche Rahmenbedingungen 

Die Autorinnen und Autoren des Reports reümmieren, dass die Potenziale von Phagen stärker ergründet und genutzt werden sollten. Um das zu ermöglichen, sei es notwendig, Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zu Phagen gezielter zu fördern und spezielle Zulassungsprogramme und wirtschaftliche Anreize zu schaffen. Langfristig sei aber vor allem eine Entwicklung der bisher unflexiblen rechtlichen Rahmenbedingungen nötig.

Phagentherapie auf ärztliche Anodnung?

Parallel dazu schlagen die Autorinnen und Autoren mögliche rechtliche Ausnahmen vor, die die Phagentherapie in besonderen Bedarfsfällen für mehr Betroffene in Deutschland bereits jetzt zugänglich machen könnte. In diesem Kontext wird auch eine praxisnahe Anpassung nach belgischem Vorbild diskutiert. Dort sind sogenannte Magistralformulierungen möglich, die Phagentherapie kann also auf ärztliche Verordnung individuell in Apotheken hergestellt werden.

Fehlende Standards

Für Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln, ist es ohne aussagefähige klinischen Studien nicht vorstellbar, dass die Phagentherapie zu einer breiten Anwendung kommen kann. Derzeit fehlten Standards, wie das üblicherweise bei Medikamenten der Fall sei. Die Phagentherapie müsse  genau auf die Bakterien zugeschnitten sein, die bei einem Patienten eine Infektion auslösen. Da es sich um Bakterien mit verschiedenen Eigenschaften handeln könne, brauche es dafür in der Regel einen Cocktail von verschiedenen Phagen, die sehr schnell verfügbar sein müssten. Um wirksam sein zu können, müssten sie auch an die Stelle der Infektion kommen. „Das ist bei Wundinfektionen noch relativ leicht möglich, bei Infektionen der inneren Organe aber äußerst schwierig." Ein weiteres Problem für die notwendigen klinischen Studien bestehe darin, dass es sich um eine kleine Zahl von Patienten handele, die grundsätzlich dafür infrage käme. „Das werden vor allem Patienten sein, bei denen Antibiotika nicht ausreichend wirken.“

Gute Verträglichkeit 

Prof. Dr. Mathias W. Pletz, Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Jena, sieht die Vorteile der Phagen in der Option einer zielgenauen Elimination bestimmter Bakterienstämme ohne Störung der Begleitflora wie bei Antibiotika. Außerdem sei  die Verträglichkeit sehr gut – „wir nehmen mit der Nahrung täglich Milliarden von Phagen auf, ohne dass es dabei relevante Nebenwirkungen gibt“. Allerdings gebe es auch Nachteile der Phagentherapie, etwa die Notwendigkeit, den zu bekämpfenden Erreger im Vorfeld zu identifizieren und dadurch bedingt eine Limitation bei der Therapie akuter Infektionen. Außerdem gebe es auch eine schnelle Entwicklung von Resistenz gegenüber den eingesetzten Phagen, wobei davon ausgegangen werden könne, „dass es immer neue Phagen mit Wirksamkeit gegen jeden Bakterienstamm geben wird“. Aus klinischer Perspektive hochinteressant, sei zudem ein oft beobachteter Synergismus zwischen Phagen und Antibiotika – offenbar falle es Bakterien schwer, gegen beide Therapieprinzipien gleichzeitig Resistenzen zu entwickeln.

Zusammenfassung:

  • Bakteriophagen als relevante Option zur Bekämpfung multiresistenter Keime
  • Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) sieht Entwicklungshürden vor allem in derzeitigen Vorschriften
  • Experten sehen Potenzial in Phagentherapie

 

Primärquelle
König H et al. (2023): Bakteriophagen in Medizin, Land- und Lebensmittelwirtschaft – Anwendungsperspektiven, Innovations- und Regulierungsfragen. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). DOI: 10.5445/IR/1000160512 

Literatur
Kever L et al. (2022): Aminoglycoside Antibiotics Inhibit Phage Infection by Blocking an Early Step of the Infection Cycle. mBio. DOI: 10.1128/mbio.00783-22.

Oromí-Bosch A et al. (2023): Developing Phage Therapy That Overcomes the Evolution of Bacterial Resistance. DOI: 10.1146/annurev-virology-012423-110530.

World Economic Forum and Frontiers Media S.A. (26.06.2023): Top 10 Emerging Technologies of 2023.

Quelle: TAB/SMC

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