Vertraut die Gesellschaft ihrem Staat noch? Im zweiten Coronajahr gehen sieben Forschende vom Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ dieser zentralen Frage in vier Aspekten nach. Dafür befragten sie in mehreren repräsentativen Befragungswellen mehr als 3.000 Teilnehmende und erforschten deren Wahrnehmungen und Einstellungen zu strukturellen Ungleichheiten in der Coronakrise.
Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
Vertrauen in politische Institutionen: Gesundheitssystem auf dem Prüfstand
Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass das Vertrauen in politische und öffentliche Institutionen und in die Krisenreaktionsfähigkeit des Gesundheitssystems zwischen November 2020 und Mai 2021 teilweise gesunken ist. Die Autorinnen und Autoren empfehlen, nach Bewältigung der akuten Krise langfristig angelegte Strategien zu entwickeln, die die Krisenreaktionsfähigkeit des Systems nachhaltig und für die Bevölkerung nachvollziehbar verbessern, besonders in den Bereichen Gesundheit und Bildung.
Priorisierungsgruppe oder „Vitamin B“ – Gibt es Ungleichheit beim Impfzugang?
Die Impfpriorisierung wurde in der Bevölkerung verstanden und weitgehend akzeptiert. Ungleichheiten beim Zugang zu Impfungen sind zwar vorhanden, aber moderat: Ärzte im persönlichen Umfeld etwa erhöhen die Wahrscheinlichkeit, geimpft zu sein, nur um rund fünf Prozent. Für den Erhalt einer Impfung ist Eigenmotivation von besonders hoher Bedeutung. Um auch solche prinzipiell impfbereiten Personen zu erreichen, die selbst keine Schritte unternehmen, um geimpft zu werden, empfehlen die Forschenden, allen Bürger/-innen ein schriftliches Impfangebot mit Einladung zu einem bereits reservierten Impftermin zu machen, und dafür einen halben Tag Impfurlaub zu ermöglichen.
Radikalisierung der Zweifelnden? Einstellungen zu den Eindämmungsmaßnahmen
Die große Mehrheit der Bevölkerung unterstützte auch im Mai 2021 weiterhin die Corona-Eindämmungsmaßnahmen. Doch die Gruppe derer, die die Pandemie für wenig gefährlich halten, Verschwörungstheorien anhängen und die staatlichen Eindämmungsmaßnahmen ablehnen, ist auf rund 19 Prozent der Bevölkerung angewachsen, ein Anstieg um mehr als zwei Drittel seit der letzten Befragung im November 2020. Eine weitere „Radikalisierung der Zweifelnden“ sollte nach Ansicht der Wissenschaftler/-innen künftig durch eine möglichst konsistente und transparente Krisenkommunikation so weitgehend wie möglich vermieden werden. Dazu gehört auch das ehrliche Eingestehen von Fehlern und insbesondere das Lernen aus diesen in Form sichtbar gezogener Konsequenzen.
Unterschiede in der Lebenszufriedenheit – besondere Belastung von Frauen und Müttern
Die Lebenszufriedenheit ist bei Frauen im Verlauf der Pandemie stärker zurückgegangen als bei Männern. Im Mai 2021 klagten rund 57 Prozent der Frauen über größeren Stress und gestiegene Unzufriedenheit seit Beginn der Pandemie, gegenüber 49 Prozent bei den Männern. Der Anteil der unzufriedener gewordenen Mütter lag mit rund 70 Prozent weit oberhalb des Anteils unzufriedener gewordener Kinderloser. Nach Ansicht der Autorinnen und Autoren sollte Krisenpolitik in ihren Maßnahmen wie in ihrer Kommunikation stärker dem Umstand Rechnung tragen, dass Zusatzbelastungen in Krisensituationen Familien in besonders hohem Maße treffen.
Ariane Bertogg, Marius R. Busemeyer, Claudia Diehl, Nevena Kulić, Susanne Strauß, Thomas Wöhler, Felix Wolter (2021): Vertrauen. Impfzugang. Radikalisierung. Unzufriedenheit. Wo die Coronakrise die Gesellschaft ungleicher macht. Policy Papers 07: COVID-19 und soziale Ungleichheit – Thesen und Befunde 06. 29. Juli 2021. Herausgeber: Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz und Das Progressive Zentrum, Berlin.
Quelle: Universität Konstanz, 29.07.2021
Artikel teilen