Das Internet hat das Verhältnis zwischen Arzt und Patient verändert. Zu diesem Ergebnis kommt auch Dr. phil. Julian Wangler. Der Sozialforscher arbeitet am Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie der Universitätsmedizin Mainz. Er hat mehr als 800 Hausärzte in Südhessen dazu befragt, ob und wie häufig Patienten in der Sprechstunde Erstdiagnosen aus dem Internet thematisieren. Zwei Drittel der Mediziner gaben an, dass sie häufig damit konfrontiert würden. Patienten kämen bereits mit Informationen zu den Symptomen ihrer möglichen Erkrankung in die Praxis und hätten sich bereits über Therapien Gedanken gemacht.
Die Ärzte hatten den Eindruck, dass die Patienten durch die vorherige Internet-suche eher verwirrt oder verunsichert werden (84 Prozent) und nervöser und ängstlicher wirken (74 Prozent). Dass die Patienten gut informiert sind und daher den Arzt besser verstehen (29 Prozent) oder bei Beschwerden rechtzeitiger in die Praxis kommen (16 Prozent), ist nach Einschätzung der Allgemeinmediziner seltener der Fall. Nur sechs Prozent der Ärzte gaben an, dass die Patienten sich nach einer Internetrecherche sicherer fühlten und nur vier Prozent der Mediziner erklärten, dass sie dann vernünftiger handeln.
62 Prozent der Hausärzte beklagten, dass die Patienten mit falschen Erwartungen in die Praxis kämen. 46 Prozent vermuten, dass ihre Diagnose zu Hause via Internet überprüft werde. 41 Prozent der Mediziner befürchten, dass das Internet die Patienten dazu bewege, andere als die verordneten Medikamente einzunehmen. 39 Prozent mutmaßen, dass die verordneten Medikamente infolgedessen nicht eingenommen werden.
Viele Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen
Darüber hinaus zeigt die Umfrage, dass eine Internet-Recherche den Gesprächsbedarf seitens der Patienten erhöht: 74 Prozent der Ärzte sagten, dass die Patienten mehr Fragen stellen würden, 64 Prozent sahen sich zunehmender Kritik gegenüber, 32 Prozent empfanden die Patienten als konfliktbereiter.
Wer aber sind typischerweise die Patienten, die ihre Arztbesuche online vor- und nachbereiten? Nach Aussage der Mediziner sind es vor allem Menschen unter 60 Jahren (82 Prozent) mit einem höheren Bildungsniveau (32 Prozent). 42 Prozent erklärten, dass viele Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen, nach Gründen für ihre Beschwerden im Internet suchen. Diese befürchten aufgrund ihrer Online-Recherchen, dass sie eine schlimme Erkrankung haben, obwohl aus ärztlicher Sicht keine Hinweise darauf bestehen.
Trend zur „Cyberchondrie”
Dr. Wangler spricht in Anlehnung an die Hypochondrie des eingebildeten Kranken von einer „Cyberchondrie”. Die Betroffenen suchen sehr viel häufiger als andere im Internet nach eigenen Symptomen und Beschwerden. Gleichzeitig bewerten sie die Qualität von Online-Gesundheitsangeboten insgesamt als hoch und haben eine höhere Affinität zur Selbstmedikation. Ist der Unterschied zwischen den Therapievorschlägen des Arztes und den Aussagen im Internet zu groß, verlieren die Betroffenen das Vertrauen in ihren Arzt.
Etwa jeder fünfte Arzt gab in der Umfrage an, die Behandlung infolgedessen beendet zu haben. Dr. Wangler rät Hausärzten in jedem Fall, die Online-Informationssuche aktiv im Patientengespräch zu thematisieren. Nur so könnten mögliche negative Auswirkungen auf das Arzt-Patient-Verhältnis vorgebeugt werden. Darüber hinaus regt er an, bereits bei der Anamnese abzufragen, inwieweit sich Patienten bereits online informiert haben.
J. Wangler und M. Jansky: Internetassoziierte Gesundheitsängste in der hausärztlichen Versorgung – Ergebnisse einer Befragung unter Allgemeinmedizinern und hausärztlich tätigen Internisten in Hessen. DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2019; online erschienen am 1.3.2019
Quelle: fzm Juni 2019
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