Arbeitsunfähigkeit und Folgen des EuGH-Urteils zur Arbeitszeit

Was war passiert?

Ein Arbeitnehmer hatte nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums, trotz zweier einschlägiger Abmahnungen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit nicht vorgelegt. Er wurde daraufhin ordentlich gekündigt und wehrte sich gegen die Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage.

Wie entschied das Gericht?

Das Landesarbeitsgericht Köln entschied mit Urteil vom 16. August 2018 (7 Sa 793/17), dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich auch nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums verpflichtet ist, eine fortbestehende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit durch Vorlage ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachzuweisen. Die auf die Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gestützte ordentliche Kündigung sah das Gericht, ungeachtet des Vorliegens zweier einschlägiger Abmahnungen, (noch) als unverhältnismäßig an, da der Arbeitgeber von der ihm durch Tarifvertrag eingeräumten Befugnis, den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers durch Anordnung einer betriebsärztlichen Untersuchung nachzuprüfen, keinen Gebrauch machte.

Was bedeutet dies für Sie?

Gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz sind Sie verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen (sogenannte Anzeigepflicht). Dies bedeutet, dass Sie in der Regel (Ausnahme zum Beispiel bei Bewusstlosigkeit) dafür Sorge tragen müssen, dass der Arbeitgeber bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit während der ersten Betriebsstunden informiert wird (so zum Beispiel BAG 31. August 1998, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. AP KSCHG 1969 § 1 23). Hierfür müssen grundsätzlich alle Kommunikationsmittel genutzt werden, die sicherstellen, dass der Arbeitgeber noch innerhalb der ersten Arbeitsstunden des ersten Tages der Arbeitsunfähigkeit hiervon Kenntnis erlangt. Im Wesentlichen kommt damit als Kommunikationsmittel das Telefongespräch, das Telefax, die E-Mail oder die SMS in Betracht. Eine bestimmte Form ist nicht vorgeschrieben, sodass mündlich reicht (kann aber zum Nachweisproblem führen). Gegebenenfalls müssen Sie auch eine dritte Person einschalten, wenn Sie nicht selbst in der Lage sind, rechtzeitig Ihrer Mitteilungspflicht nachzukommen.

Als weitere Pflicht müssen Sie die Arbeitsunfähigkeit durch eine ärztliche Bescheinigung nachweisen (sogenannte Nachweispflicht). Nach § 5 Abs. 1 S. 2 besteht diese Verpflichtung, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Tage besteht, das heißt Vorlagepflicht am vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitgeber kann aber nach § 5 Abs. 1 S. 3 Entgeltfortzahlungsgesetz eine frühere Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen, zum Beispiel schon am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit. Sofern die Arbeitsunfähigkeit länger als in der ärztlichen Bescheinigung angegeben andauert, sind Sie verpflichtet, eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen und dies auch ungeachtet dessen, ob Sie vom Arbeitgeber noch eine Entgeltfortzahlung erhalten oder nicht.

Verstoßen Sie gegen diese gesetzlichen oder durch andere Regelungen konkretisierten Pflichten, stellt dies eine Vertragsverletzung (hier: Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht zur Anzeige und/oder Nachweis der Arbeitsunfähigkeit) dar, die nach Ausschöpfung der milderen Mittel durch den Arbeitgeber im Einzelfall eine Kündigung rechtfertigen kann. Als milderes Mittel hatte der Arbeitgeber hier zwar einschlägige Abmahnungen ausgesprochen, jedoch nicht das weitere mildere Mittel der Anordnung einer betriebsärztlichen Untersuchung nach dem für die Parteien geltenden Tarifvertrag. Damit war die Kündigung unverhältnismäßig und der Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen. Ob dies in Ihrem Fall auch gilt, ist jedoch jeweils im Einzelfall zu prüfen (das heißt zum Beispiel, ob es eine entsprechende Regelung im Tarifvertrag gibt).

Zudem ist festzuhalten, dass der Arbeitgeber im Rahmen der Entgeltfortzahlung Ihnen gegenüber auch ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 7 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz dergestalt geltend machen kann, dass er die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes verweigern kann, bis Sie den oben benannten Pflichten nachgekommen sind.

Auch ist zu berücksichtigen, dass nach § 5 Abs. 3 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-RL) die Arbeitsunfähigkeit für eine vor der ersten ärztlichen Inanspruchnahme liegende Zeit grundsätzlich nicht bescheinigt werden soll. Eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ist ebenso wie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise und nur nach gewissenhafter Prüfung und in der Regel nur bis zu drei Tagen zulässig, sodass sich für Sie ein rechtzeitiger Arztbesuch empfiehlt.

Wie zahlen sich Fort- und Weiterbildungen für Sie aus? Grundsätzlich immer, da Sie einen Wissenszugewinn haben und lebenslanges Lernen in Ihrem wie dem Interesse des Arbeitgebers liegen dürfte. Monetär zahlt es sich jedoch nur aus, wenn Sie dies vor einer Fort- und Weiterbildung klar mit Ihrem Arbeitgeber regeln.

Dies geht zum Beispiel nach § 5 TVöD-AT wie § 5 TV-L, wenn es sich um eine vom Arbeitgeber veranlasste Qualifikationsmaßnahme handelt, da dann die Kosten der Qualifikationsmaßnahme einschließlich der Reisekosten, soweit sie nicht von einem Dritten übernommen werden, grundsätzlich vom Arbeitgeber zu tragen sind. Zusätzlich sind die Zeiten von mit dem Arbeitgeber vereinbarten Qualifikationsmaßnahmen vergütungspflichtige Arbeitszeit. Maßgebend ist aber, dass Sie Ihren Anspruch auf ein regelmäßiges jährliches Gespräch mit dem Arbeitgeber wahrnehmen und zum Ergebnis kommen, dass ein Qualifizierungsbedarf besteht, der dann in einer schriftlichen Qualifikationsvereinbarung festzuhalten ist. Bei dieser Gelegenheit sollten Sie, sofern es sich um eine Qualifizierung handelt, die eine andere Eingruppierung rechtfertigt, auch diese gleich mit in die Vereinbarung aufnehmen, um später die Durchsetzung zu vereinfachen.

Sollte auf Sie kein Tarifvertrag oder kein Tarifvertrag mit einer entsprechenden Regelung Anwendung finden, empfiehlt sich auch hier, vor der beabsichtigten Fort-/Weiterbildungsmaßnahme mit dem Arbeitgeber zu sprechen und idealerweise eine Zustimmung des Arbeitgebers zur Qualifizierungsmaßnahme mit den oben beschriebenen Inhalten schriftlich zu vereinbaren, damit Sie auch finanziell davon profitieren.

Die Rechtsabteilung des DVTA unterstützt Sie in der strategischen Vorbereitung des Gespräches mit dem Arbeitgeber, Formulierungsvorschlägen für eine Qualifikationsvereinbarung, der Prüfung einer Qualifikationsvereinbarung, die Sie erhalten haben. Gleiches gilt auch für Verträge zur Finanzierung der Ausbildung.

Rückzahlung BAföG Bezüglich der Rückzahlung des BAföG sind unsere Gespräche leider erfolglos geblieben. Die BAföG-Ämter berufen sich hier auf den Wortlaut der geltenden Regelung des § 22 Abs. 2 BAföG. Danach sind für die Anrechnung des Einkommens des Auszubildenden die Einkommensverhältnisse im Bewilligungszeitraum maßgebend. Auf den Bedarf jedes Kalendermonats des Bewilligungszeitraums wird der Betrag angerechnet, der sich ergibt, wenn das Gesamteinkommen durch die Zahl der Kalendermonate des Bewilligungszeitraums geteilt wird. Dies bedeutet, dass trotzdem von Oktober bis Dezember 2018 noch keine Ausbildungsvergütung gezahlt wurde und daher eigentlich kein anrechenbares Einkommen vorliegt, diese Monate mit in die Berechnung einbezogen werden, das heißt, die Ausbildungsvergütung auch auf diese Monate mit verteilt wird, was zu einer Rückzahlungspflicht im Einzelfall führen kann. Die Sachbearbeiter des BAföG-Amtes sahen diesen Umstand auch als unglücklich an, es wäre jedoch an den Tarifvertragsparteien gewesen, diese Regelung bei der tariflichen Regelung zur Ausbildungsvergütung zu berücksichtigen.

Empfehlen können wir daher nur, mit dem zuständigen BAföG-Amt zu reden, um eine längere Rückzahlungsfrist und Ratenzahlung zu erreichen. Unsere Erfahrung ist, dass die BAföG-Ämter hier sehr entgegenkommend sind.

Arbeitsrechtliche Folgen des EuGH-Urteils zur Arbeitszeit Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 14. Mai 2019 entschieden, dass die Nationalstaaten verpflichtet sind, für die Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems, „mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer täglich geleistete Arbeitszeit gemessen werden kann“ zu sorgen.

Die Bundesrepublik Deutschland ist nun verpflichtet, diese europäische Richtlinie umzusetzen. Dies ist dadurch begründet, dass nach Art. 288 Abs. 3 AEUV die europäische Richtlinie keine unmittelbare Rechtswirkung zwischen Privaten entfaltet und daher der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten bedarf. Sofern die Umsetzung nicht rechtzeitig oder nicht richtig erfolgt, kann eine Privatperson sich auf die Richtlinie selbst berufen. Da in der Richtlinie keine konkrete Vorgabe für ein Zeiterfassungssystem enthalten ist, dürfte dies einen direkten Anspruch von Arbeitnehmern schwierig gestalten.

Den Nationalstaaten kommt ein gewisser Spielraum bei der Umsetzung zu, sodass sie Besonderheiten der jeweiligen Einsatzbereiche im Unternehmen, wie auch die Unternehmensgröße bei der gesetzlichen Ausgestaltung berücksichtigen können. Diese Ausnahmen verpflichten den nationalen Gesetzgeber allerdings auch, im Grundsatz der gesetzlichen Verpflichtung ein System zur Zeiterfassung einzuführen.

Derzeit ist § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz (Aufzeichnung der über die werktägliche Arbeitszeit nach § 3 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz hinausgehenden Arbeitszeit, das heißt, in der Regel mehr als acht Stunden) für die Zeiterfassung maßgebend. Dieser schreibt keine konkrete Zeiterfassung vor. Dies liegt insbesondere darin begründet, dass bei bestimmten Tätigkeiten, zum Beispiel Arbeiten im Homeoffice, es kaum möglich ist, die Arbeitszeiten durch ein bestimmtes technisches System zu erfassen und man daher auch die Eigendokumentation des Arbeitnehmers als angemessen erachtet. Insoweit ist zu hoffen, dass der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung der EuGH-Entscheidungen den vielgestaltigen Arbeitsformen Rechnung trägt und nicht zu strenge Formvorschriften entwickelt. Der EuGH lässt auch Abweichungen für leitende Angestellte zu (§ 18 Arbeitszeitgesetz). Es wird erwartet, dass auch dies bei der Umsetzung übernommen wird.

In Bezug auf die Einführung umfassender Zeiterfassungssysteme für Unternehmen wird mit einem hohen Organisations- und Kostenaufwand gerechnet, sodass man davon ausgeht, dass hier eine Regelung getroffen wird, die die organisatorische und finanzielle Überforderung von Unternehmen bei einer bestimmten Größe (diskutiert wird hier analog die des § 9 a Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz 45 Arbeitnehmer und weniger) vermeidet, zum Beispiel diesen die manuelle Erfassung statt des elektronischen Systems ermöglicht.

Da ein Zeiterfassungssystem geeignet ist, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zu überwachen, gibt es ein Mitbestimmungsrecht bei Einführung eines neuen Systems gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz. Ausgenommen sind jedoch rein organisatorische Maßnahmen ohne technischen Einsatz, wie zum Beispiel manuelle Arbeitszeitberichte von Arbeitnehmern. Die Pflicht zur regelmäßigen und umfassenden Erfassung der Arbeitszeit stellt eine Regelung des Verhaltens des Arbeitnehmers im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz dar und unterliegt auch insoweit der Mitbestimmung. Zusätzlich kann § 87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz zum Tragen kommen, da der EuGH die Einführung des umfassenden Zeiterfassungssystems mit Gründen eines effektiven Gesundheitsschutzes begründet hat.

Was bedeutet diese Entscheidung konkret für Sie?

Sofern das Krankenhaus eine Arbeitszeiterfassung bereits hat, ist hier zu berücksichtigen, dass – vorbehaltlich der neuen gesetzlichen Regelungen – dieses die gesamte Arbeitszeit und nicht nur die über acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit durch ein elektronisches Zeiterfassungssystem zu erfassen hat, sofern es oder Sie nicht unter eine der oben beschriebenen Ausnahmeregelungen fallen.

Die minutiöse Erfassung der Arbeitszeit hat den Vorteil, dass eine vollumfängliche Erfassung der Arbeitszeiten erfolgen kann, sodass Überlastungen und damit Gesundheitsgefährdung vermieden und schneller andere Arbeitszeitmodelle in Unternehmen eingeführt werden müssen, um den Gesundheitsschutz zu gewährleisten.

Dies ist gerade in Zeiten eines Fachkräftemangels bei MTA-Berufen sehr wünschenswert.

Entnommen aus MTA Dialog 7/2019

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