Entstanden war sie aus einer Initiative der Universität Duisburg-Essen und dem Universitätsklinikum in enger Zusammenarbeit mit dem Westdeutschen Tumorzentrum Essen (WTZ). Der Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität, Prof. Dr. med. Jan Buer, steht formal als oberster Chef der Westdeutschen Biobank Essen für die Schnittstelle zwischen klinischer Versorgung und Forschung.
Mittlerweile umfasst die WBE circa 350.000 Proben, die in einer hochmodernen Kryoanlage (www.liconic.com) bei minus 80 Grad Celsius sicher aufbewahrt und mit Schnittstelle zu einer speziellen Biobank-Software (www.kairos.de) gemanagt werden.
„In der Biobank werden Materialien von den unterschiedlichsten Menschen und Krankheiten gesammelt und nachvollziehbar, strukturiert, zentralisiert und qualitativ hochwertig asserviert. Sie kommen der medizinischen Forschung, beispielsweise im Bereich der personalisierten beziehungsweise individualisierten Medizin, zugute. Aus Big Data werden Smart Data – und wir arbeiten so aktiv an der Zukunft“, erklärt die Leiterin der WBE, Dr. med. Katharina Jockers.
Der Aliquotierer | © M. Reiter
In Essen arbeiten zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Biobank – aufgeteilt in die Bereiche Gewebe-, Flüssigmaterialien und IT. Eine engagierte MTLA ist Judith Delbanco, (Groß-)Gerätespezialistin im Bereich der Flüssigmaterialien. Sie kümmert sich mit viel Herzblut um den „Tecan“-Aliquotierer und die „Liconic“-Gefriereinrichtung mit Roboter. Aus dem Klinikum Bergmannsheil in Bochum kannte sie diese Gerätetypen bereits. Sie baute den Gerätepark vom ersten Tag an in Essen mit auf – im Gebäude des Zentrallabors am Klinikum. Ihr technisches Interesse hilft dabei enorm; sie findet es spannend, hochmoderne Maschinen zum Laufen zu bringen und bestmöglich ins Umfeld zu integrieren.
Manuela Kammesheidt (links) und Judith Delbanco | © M. Reiter
Flüssigprobenverarbeitung und Kryologistik
Die gewonnenen Flüssigproben, Serum oder Plasma, gelangen nach Eingang direkt „zum Tecan“. Kurze Wege helfen, eine schnelle Probeneinlagerungszeit einzuhalten. „Das Aliquotiergerät pipettiert das Patientenmaterial aus einem Primärröhrchen in bis zu acht Portionen in kleinere gefriergeeignete Gefäße mit je 500 µl Volumen – ohne Totvolumen – um. Diese Gefäße haben 2-D-Barcodes und werden vom geräteeigenen Scanner erfasst, um Verwechslungen auszuschließen. Auch die Racks, in denen die Röhrchen aufbewahrt werden, sind mit 1-D- und 2-D-Barcodes ausgestattet“, erklärt Delbanco. Vollständig befüllte Racks gelangen auf direktem Weg zum finalen Lagerungsort, dem „Eisroboter“, eine Etage tiefer.
TK-Roboter | © M. Bauer
Das Liconic-Gerät steht auf einer Fläche von 5 × 3 Metern in einer Umgebungstemperatur mit konstant 20 Grad Celcius. Trotz seiner Größe und der niedrigen Innentemperatur verbraucht die roboter-betriebene Maschine wenig Strom. Die Proben gelangen über einen Greifarm, der die Racks in Sekundenschnelle abscannt und in den Kühlbereich überführt, in „unsichtbare Tiefen“. Eine Glastür zur Beladung wird nur in Sonderfällen genutzt. Wichtig ist es, eine hohe Probenqualität zu gewährleisten – dies gelingt nur durch das ununterbrochene Verbleiben der Proben im konstanten Minustemperaturbereich. Mit jedem Öffnen der Tür würde warme Außenluft ins Geräteinnere gelangen und kleinste Vereisungen erzeugen, die Nachteile bei der Probenqualität bringen. Durch die Barcode-Etikettierung und mithilfe der geräteeigenen, intuitiv bedienbaren Software kann jeder im Team nachvollziehen, wo die Materialien „landen“ und wie man sie wieder herausholen kann. Die WBE ist die erste Biobank in Deutschland, der die zukunftsfähige Verknüpfung der Liconic-Software mit der Biobanksoftware CentraXX (Kairos) gelungen ist.
Der Aufbau dauerte circa drei Monate, heute ist die nordrhein-westfälische Anlage einerseits mit mehreren unterbrechungsfreien Stromversorgungen gegen Stromausfall für mehr als sieben Stunden gesichert; ferner gewährleisten zwei Stickstoffstanks die Beibehaltung der Temperatur, falls andere Probleme auftreten. Sie bieten zwischen 24 und 48 Stunden Sicherheit für die Minus-80-Grad-Lagerung der maximal 1,3 Millionen Proben.
Judith Delbanco hat zahlreiche Schulungen absolviert, um ihre fachliche Kompetenz im Umgang mit Geräten und mit Gasen auszubauen, ferner ist sie Sicherheitsspezialistin. Ihr Job ist anders als in der „direkten“ Forschung, sie empfindet ihn als sehr abwechslungsreich, die Tätigkeit macht ihr viel Freude trotz oder gerade wegen der Automatisierung. „Jede Probe ist wie ein Kind, dessen Schicksal mir wichtig ist“, beschreibt sie ihre Verantwortung. „Mein Beruf ist zukunftsfähig, spannend und ermöglicht weiterführende Blicke über den Tellerrand vieler Disziplinen. Ich kann ihn Interessierten jeden Alters nur weiterempfehlen!“
Standort Ruhrlandklinik
Manuela Kammesheidt beschäftigt sich mit Flüssigproben und Geweben. Ihr Arbeitsort befindet sich in der Ruhrlandklinik, einer Fachklinik für Lungenerkrankungen am Stadtrand von Essen – sie gehört als ein Tochterunternehmen des Universitätsklinikums Essen unter das Dach der „Universitätsmedizin Essen“. Bei den von der MTLA bearbeiteten Geweben handelt es sich vor allem um Lungentumoren. Nach 25-jähriger Vollzeittätigkeit im Zentrallabor eines anderen Essener Krankenhauses – inklusive Schichtdienst mit viel Stress und Hightech – entschied sie sich für eine Dreiviertelstelle bei der WBE mit regulären Arbeitszeiten im Tagdienst; eine weitere Kollegin unterstützt sie an diesem Standort.
„Ich war von Beginn an dabei, damals nutzten wir noch Excel-Tabellen zur Gewebeerfassung“, erinnert sich die MTLA. „Heute übernimmt die Software diese Aufgaben.“ Von 8 bis 11 Uhr arbeitet sie mit Flüssigproben, von 11 bis 14 Uhr an Geweben; je nach anfallenden Materialien variieren diese Zeiten geringfügig. Ein Pathologe vor Ort stellt Schnellschnitte zur Diagnostik her; überflüssiges Material bekommt sie für die Biobank. Die MTLA arbeiten noch sehr viel händisch, es gibt nur wenige kleinere Automaten – auch im Notfalllabor nebenan. „Meine Tätigkeit ist abwechslungsreich und persönlich. Da es sich um eine kleine Klinik handelt, kenne ich viele Ärzte und Wissenschaftler. Mir macht der Job viel Spaß, ohne Forschung und Probensammlung würde es keinen Fortschritt in der Medizin geben“, fasst Kammesheidt zusammen.
Teamarbeit
Eine weitere MTLA kümmert sich um die Logistik: Neben der Dokumentation sammelt sie Proben ein, kümmert sich um Patienteneinwilligungen auf Papier, scannt diese ein und archiviert alle Dokumente. Zuvor hat der behandelnde Arzt die Patienten über die Biobank aufgeklärt. „Wir achten strikt auf die Vorgaben des Datenschutzes. Und ohne diese Prozesse dürfte keine Probe zur Forschung genutzt werden. Wir bewahren alle Patientenproben treuhänderisch auf und dürfen damit das tun, was im definierten Rahmen ethisch und rechtlich erlaubt ist“, fasst Dr. Jockers zusammen (Interview mit Dr. Jockers: https://www.youtube.com/embed/f_WN_q1uWIM?start=5).
Alle zwei Wochen versammeln sich die Mitarbeiter der Biobank, zu denen neben der Leitung und den MTLA auch eine Qualitätsmanagementbeauftragte, ein Informatiker, eine wissenschaftliche Hilfskraft, eine Logistikkraft und das Sekretariat gehören, zur Teambesprechung. Viele Absprachen erfolgen über Telefon und E-Mail, so nutzen die beiden Standorte auch die gleichen Standard Operation Procedures, Röhrchen und Dokumentation. Regelmäßig erfolgt auch ein Austausch vor Ort: Eine Kollegin aus der Ruhrlandklinik kommt ins Klinikum – und umgekehrt, denn die zehn Kilometer Entfernung lassen einen täglichen Wechsel nicht zu. Materialien werden sicher auf Trockeneis zwischen den Standorten transportiert, die Kolleginnen wissen, wann die Materialien kommen. Einen halben Tag pro Woche verbringt Dr. Jockers selbst in der Lungenfachklinik, um vor allem die Kommunikation und das Teamwork zu stärken. „Die integrative Kraft unserer Leiterin hält alle ungeachtet der dezentralen Aufstellung sehr gut zusammen, sie hat eine sehr gute Arbeitsatmosphäre geschaffen“, freut sich Christine Harrell, Referatsleiterin für Strategie, Kommunikation & Marketing an der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen.
Entnommen aus MTA Dialog 4/2018
Artikel teilen