Elektronische Patientenakte, E-Rezept, Apps auf ärztliche Verordnung: Deutschland treibt die Digitalisierung des Gesundheitssystems voran. Insbesondere die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA), die Erkrankte bei der Behandlung unterstützen sollen, werden seit ihrer Einführung im September 2020 immer häufiger von Ärzten verschrieben. 2023 dürfte sich die Zahl der DiGA-Verordnungen auf rund 235.000 belaufen – mehr als doppelt so viele wie 2022. Bei einem durchschnittlichen Herstellerpreis von 529 Euro pro App lag das DiGA-Marktvolumen damit bei rund 125 Millionen Euro. 2022 hatte dieses noch circa 60 Millionen Euro betragen.
Zugleich steigt auch die Zahl der Anwendungen, die ein breites Spektrum an Krankheiten – von Wirbelsäulen- und Stoffwechselerkrankungen über Krebs bis hin zu Burn-out – abdecken. Bis Mitte Januar 2024 wurden 53 Anwendungen für zwölf Therapiegebiete in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen – 20 mehr als im Jahr zuvor. Dies geht aus Analysen der Unternehmensberatung McKinsey & Company anlässlich des neuen „E-Health Monitor“ hervor. Im Rahmen der Publikation hat McKinsey anhand von rund 30 Indikatoren den digitalen Fortschritt des deutschen Gesundheitssystems gemessen – vom Digitalisierungsgrad der Krankenhäuser und Arztpraxen in Deutschland bis zur Akzeptanz von E-Health-Lösungen und deren Nutzen für Patientinnen und Patienten.
„Das Interesse von Ärzten an DiGA nimmt zu"
„Die wachsende Bedeutung digitaler Gesundheitsanwendungen in der Versorgungslandschaft ist ein Beispiel für die Fortschritte bei der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen“, sagt Laura Richter, Partnerin bei McKinsey und Herausgeberin der Studie. „Das Interesse von Ärzten an DiGA nimmt zu. Mittlerweile hat rund ein Drittel der Ärzte bereits eine DiGA verschrieben – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Weitere 14 % planen, die Apps auf Rezept in naher Zukunft auszuprobieren.“
Dabei verstärkt sich auch auf Patientenseite die Nachfrage nach digitalen Gesundheitsservices. Zusätzlich zu den DiGA wurden im Jahr 2023 mehr als 14 Millionen Downloads der 40 beliebtesten Gesundheits-Apps verzeichnet – ein weiterer Anstieg gegenüber rund 12 Millionen Downloads 2022. Außerdem ist der Anteil der Patienten, die sich Online-Terminvereinbarungen und digitale Rezeptbestellungen wünschen, vergangenes Jahr auf 78 beziehungsweise 69 % gestiegen – und damit um jeweils 11 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Parallel dazu hat sich auch der Anteil der ambulanten Arztpraxen, die digitale Services anbieten, um 5 Prozentpunkte auf 66 % erhöht.
Auch die Forschung beschäftigt sich zunehmend mit dem Thema E-Health. 112 Studien haben 2022 den Nutzeneffekt von E-Health-Lösungen quantifiziert. 79 % der Studien, insgesamt 88, weisen einen positiven Nutzeffekt von E-Health-Anwendungen nach.
Die elektronische Patientenakte verbreitet sich bislang nur schleppend
Insgesamt verläuft die Digitalisierung im Gesundheitswesen allerdings oft noch holprig. So sind zwar inzwischen nahezu alle Apotheken (99 %) und Arztpraxen (98 %) an die Telematikinfrastruktur (TI), die technologische Basis digitaler Gesundheitsversorgung in Deutschland, angeschlossen. Gleichzeitig berichteten jedoch über zwei Drittel (69 %) der angeschlossenen Arztpraxen von wöchentlichen oder sogar täglichen Problemen mit der Technik. Im Vorjahr betrug der Wert noch 50 %.
Auch die elektronische Patientenakte (ePA) verbreitet sich bislang nur schleppend. Dabei kommt ihr bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems eine Schlüsselrolle zu: Häufig als „Herzstück" der digitalen Versorgung bezeichnet, bündelt sie Arztbriefe, Befunde und weitere medizinische Dokumente an zentraler Stelle und verknüpft wichtige E-Health-Anwendungen wie das E-Rezept oder DiGA. Im Jahr 2023 wurden rund 350.000 ePA aktiviert. Das waren circa 41 % mehr als im Jahr 2022. Dennoch haben damit immer noch nur rund 1 % der gesetzlich Versicherten in Deutschland eine ePA aktiviert.
Mit der Einführung des Opt-out-Verfahrens, bei dem Versicherte automatisch eine ePA erhalten, sofern sie nicht aktiv widersprechen, sollen die Verbreitung und Nutzung der ePA jedoch einen Schub erfahren. So strebt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nun im Rahmen seiner Digitalstrategie bis 2025 eine ePA-Abdeckung von 80 % unter gesetzlich Versicherten an.
E-Rezept-Nutzung nimmt Fahrt auf
Wie verpflichtende Vorgaben die Dynamik bei der Nutzung verstärken können, wird am E-Rezept deutlich. Zwar zeigte sich bereits in der zweiten Jahreshälfte 2023 ein deutlicher Nutzungsanstieg: Lag die Zahl der eingelösten E-Rezepte 2022 noch unter 900.000, waren es 2023 schon rund 18 Millionen. Das entsprach allerdings nur etwa 2 % der jährlichen GKV-Rezepte. Erst mit der verpflichtenden Einführung zum 1. Januar 2024 hat die Dynamik bei E-Rezepten mehr Fahrt aufgenommen. Bereits Mitte Januar wurden mit rund 22 Millionen mehr E-Rezepte eingelöst als im gesamten Jahr 2023 (Stand: 22.1.2024). Damit ist inzwischen rund jedes zweite eingelöste Rezept ein E-Rezept.
„ePA und E-Rezept sollen tragende Säulen der digitalen Versorgung in Deutschland werden. Die internationale Erfahrung zeigt, dass die Einführung des Opt-out-Verfahrens der ePA zum Durchbruch verhelfen könnte", sagt Matthias Redlich, Partner bei McKinsey und Herausgeber der Studie. „Darüber hinaus wird es essenziell sein, kontinuierlich die Nutzerfreundlichkeit digitaler Services zu verbessern, damit diese in der Praxis echten Mehrwert stiften und langfristig erfolgreich werden.“
Potenzial von Telemonitoring bislang kaum genutzt
Von regulatorischen Impulsen könnte der Studie zufolge auch Telemonitoring profitieren. Dabei werden Gesundheitswerte wie Blutdruck, Puls oder Blutzuckerspiegel aus der Ferne kontrolliert und ausgewertet. Bislang ist Telemonitoring in Deutschland nur wenig verbreitet. Das zeigt ein Vergleich mit den USA, wo inzwischen rund 12 % der Bevölkerung über Telemonitoring-Anwendungen versorgt werden. In Deutschland hingegen wird die Zahl der Telemonitoring-Patienten – etwa wegen Herzinsuffizienz – auf rund 200.000 geschätzt.
Dabei könnten Telemonitoring-Anwendungen für Patienten einen hohen therapeutischen Nutzen haben und bei der Versorgung von chronischen Krankheiten eine wichtige Rolle spielen. Neben dem Beitrag zur verbesserten Patientenversorgung kann Telemonitoring auch erheblichen ökonomischen Nutzen für das Gesundheitssystem stiften. Nach Berechnungen von McKinsey beträgt das Nutzenpotenzial von Telemonitoring-Technologien rund 4,3 Mrd. Euro jährlich. 67 % dieses Potenzials entfallen auf die Vermeidung von Krankenhausaufenthalten, 26 % auf kürzere Liegezeiten und die Verschiebung der Behandlung in ambulante Versorgungsformen. Weiteres Potenzial ergebe sich aus der Vermeidung von Anschlussbehandlungen und Notfalltransporten chronisch Erkrankter.
Quelle: McKinsey
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