Apps auf Rezept verzichtbar?

Aktuelle Online-Befragung AOK-Versicherter
ab
Die Hälfte der Nutzerinnen und Nutzer hält Apps auf Rezept für verzichtbar.
Seit September 2020 haben gesetzlich Versicherte Anspruch auf eine Versorgung mit Digitalen Gesundheitsanwendungen. Die Hälfte der Nutzerinnen und Nutzer hält sie laut AOK-Umfrage für verzichtbar. © arrow/stock.adobe.com
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Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) werden von ihren Nutzerinnen und Nutzern in Deutschland zwar positiv bewertet, aber ungefähr die Hälfte hält sie für verzichtbar. Das sind zentrale Ergebnisse einer bundesweiten Online-Befragung von mehr als 2.600 AOK-Versicherten, die eine „App auf Rezept“ erhalten hatten. 

58 Prozent der Befragten bewerteten die Nutzung der DiGA als sinnvolle Ergänzung zu ihrer Therapie. Als größten Vorteil sahen die Nutzerinnen und Nutzer, dass sie sich die Behandlung mit einer DiGA zeitlich flexibel einteilen können (70 Prozent). Immerhin 40 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen die Anwendung geholfen habe, ihre Erkrankung besser in den Griff zu bekommen. DiGAs wurden allerdings selten zur Überbrückung von Wartezeiten bis zum Beginn einer Therapie genutzt (15 Prozent), nur bei DiGAs zur Behandlung von psychischen Erkrankungen war das etwas häufiger der Fall (21 Prozent).

Umsetzungsprobleme

„Trotz der insgesamt recht hohen Zufriedenheit mit den Apps auf Rezept sehen wir in den Ergebnissen eine gewisse Zurückhaltung bei der Einschätzung des erlebten Nutzens“, sagt Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. So bezeichnen nur 26 Prozent der Befragten die verschriebene DiGA als für sie „unverzichtbar“, auf gut die Hälfte der Teilnehmenden trifft diese Aussage „eher nicht“ oder „überhaupt nicht“ zu. Auch in Bezug auf die Weiterempfehlung zeigen sich die Nutzerinnen und Nutzer reserviert: Nur 38 Prozent der Befragten würde Freunden oder Bekannten mit vergleichbarer Diagnose die genutzte DiGA sehr wahrscheinlich weiterempfehlen. Knapp ein Fünftel der Befragten hatte Probleme bei der Umsetzung der digitalen Therapieinhalte, weitere 28 Prozent gaben an, sie hätten teilweise Probleme gehabt. Für immerhin 15 Prozent der Versicherten passten die Inhalte nicht zu ihrer individuellen Krankheitssituation. 

Therapien vor Ort besser?

„Die Ergebnisse spiegeln wider, dass die genutzten DiGAs nicht immer dem Bedarf und den Bedürfnissen der Versicherten entsprechen. Herkömmliche Therapien vor Ort wie beispielsweise die Physiotherapie bei Rückenbeschwerden sind in vielen Fällen die bessere Wahl – und verursachen für die Beitragszahlenden weniger Kosten als eine DiGA-Verordnung“, so AOK-Vorständin Reimann. Der durchschnittliche Preis je DiGA liegt bei etwa 500 Euro für eine 90-tägige Nutzung.

Verbesserungspotenzial

Die befragten Versicherten sind ganz überwiegend (in 68 Prozent der Fälle) von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin auf die Möglichkeit der DiGA-Verschreibung hingewiesen worden. Ein knappes Drittel wurde durch eigene Recherche, Werbung oder Empfehlungen Dritter darauf aufmerksam. „Bei der Integration der DiGA in die ärztliche Behandlung zeigen die Befragungs-Ergebnisse noch Verbesserungspotenzial“, betont AOK-Vorständin Carola Reimann: So wurde mehr als ein Drittel der Befragten (37 Prozent) nicht über die Funktionen der genutzten DiGA informiert. Obwohl mit 94 Prozent die überwiegende Mehrheit angab, die Anwendung durch ein Rezept des Arztes oder Therapeuten erhalten zu haben, haben nur 38 Prozent ihr Nutzungsverhalten und die Resultate der DiGA-Anwendung mit ihrem Arzt oder Therapeuten besprochen. Fast jeder Vierte bricht DiGA-Anwendung vorzeitig ab. 

Nutzung unterschiedlich 

Die „Apps auf Rezept“ wurden von den Versicherten vorwiegend über einen längeren Zeitraum genutzt. 5 Prozent der Befragten gaben aber auch an, ihre DiGA nur wenige Tage bis zu einer Woche genutzt zu haben. Bei Menschen, die sich zuvor als wenig digital affin beschrieben oder einen schlechten Gesundheitszustand angegeben hatten, war dies häufiger der Fall: So erklärten etwa 12 Prozent der Befragten mit schlechtem Gesundheitszustand, die verschriebene Anwendung nur wenige Tage bis zu einer Woche genutzt zu haben. Fast jeder Vierte (23 Prozent) gab an, die DIGA kürzer als vorgesehen genutzt zu haben. In der Gruppe der Befragten mit schlechtem Gesundheitszustand betraf dies sogar 30 Prozent. „Die GKV muss in diesen Fällen den vollen Preis für die Anwendungen bezahlen, obwohl die Versicherten sie nicht voll nutzen und die Therapie vorzeitig abbrechen. Sinnvoll wäre daher die verpflichtende Einführung von Test-Zeiträumen, in denen die Anwendung vor der eigentlichen Verordnung ausprobiert werden kann“, so Reimann.

2.624 Teilnehmende

Ziel der Befragung war es, zwei Jahre nach der Aufnahme der DiGAs in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung die Akzeptanz und das tatsächliche Nutzungsverhalten zu evaluieren. Die Feldzeit der Befragung, die vom Marktforschungs-Institut „Produkt + Markt“ durchgeführt worden ist, lief vom 24. September bis zum 24. Oktober 2022. In diesem Zeitraum beteiligten sich 2.624 von insgesamt 20.879 postalisch angeschriebenen AOK-Versicherten an der Befragung. Diese Versicherten hatten zwei bis zwölf Monate vor der Befragung von der AOK einen Freischaltcode zur Aktivierung einer Digitalen Gesundheitsanwendung erhalten und eingelöst, nachdem sie zuvor eine entsprechende ärztliche Verordnung erhalten oder die DiGA selbst bei der Krankenkasse beantragt hatten. Das Durchschnittsalter der Befragten lag bei 49 Jahren, 68 Prozent der Befragten waren Frauen. 

Ranking der Apps auf Rezept

Die Angaben der Befragten zu den verordneten „Apps auf Rezept“ entsprechen dem Ranking der bisher am häufigsten verordneten und am längsten verordnungsfähigen DiGAs: Am häufigsten wurden die Adipositas-DiGA„zanadio“, die Tinnitus-Anwendung „Kalmeda“, die Rücken-DiGA „Vivira“, die Depressions-Anwendung „deprexis“, die Anwendung „somnio“ gegen Schlafstörungen sowie die inzwischen nicht mehr im DiGA-Verzeichnis enthaltene Migräne-Anwendung „M-Sense“ genannt.

40 Anwendungen gelistet

Seit September 2020 haben gesetzlich Versicherte Anspruch auf eine Versorgung mit Digitalen Gesundheitsanwendungen. Grundlage dafür ist das im Dezember 2019 in Kraft getretene Digitale-Versorgung-Gesetz. Aktuell sind im DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 40 Anwendungen gelistet,die bei bestimmten Erkrankungen ärztlich verordnet oder direkt bei der Krankenkasse beantragt werden können. Von September 2020 bis Dezember 2022 haben die elf AOKs DiGAs im Wert von 21,7 Millionen Euro genehmigt.

Kritik des GKV-Spitzenverbandes

 „Apps auf Rezept“ sind noch nicht in der Versorgung angekommen, so die Bilanz des GKV-Spitzenverbandes. Seit Anfang 2022 bewege sich die monatliche Menge der eingelösten Freischaltcodes auf einem nahezu unveränderten Niveau zwischen 10.000 und 12.000 DiGA. Insgesamt wurden bis Ende September rund 164.000 DiGA in Anspruch genommen.

„Noch in den Kinderschuhen“

„Mit viel Vorschusslorbeeren sind DiGA in die Versorgung gestartet. Aber den Erwartungen sind sie bisher nicht gerecht geworden. Die Gesundheits-Apps stecken auch nach über zwei Jahren noch in den Kinderschuhen. Dabei sehen wir durchaus großes Potenzial, wie DiGA die Patientinnen und Patienten beim Erkennen oder Überwachen von Krankheiten unterstützen können. Die unverändert hohe Quote von DiGA auf Probe zeigt aber, dass oftmals noch offenbleibt, was die Angebote wirklich bringen. Trotz dieser unklaren Evidenzlage rufen die herstellenden Unternehmen beliebig hohe Preise auf und der gesetzlichen Krankenversicherung sind im ersten Jahr bei dieser Preisspirale nach oben die Hände gebunden. Hier sollte der Gesetzgeber schleunigst einen Riegel vorschieben. Die Krankenkassen sollen eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten sichern und keine Wirtschaftsförderung mit Beitragsgeldern betreiben“, so Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband.

Zwei Drittel der DiGA im Probestatus

Bei der Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis fehle häufig der Nachweis über den medizinischen Nutzen. Deshalb werden zwei Drittel der DiGA nur vorläufig, zur Probe, aufgenommen. Hinzu kommt die mangelnde Wirtschaftlichkeit. Herstellende Unternehmen können im ersten Jahr der Aufnahme einen beliebig hohen Preis festlegen, der von der gesetzlichen Krankenversicherung für diesen Zeitraum erstattet werden muss, unabhängig davon, ob ein Nutzen nachgewiesen wurde oder nicht. Das Preisspektrum reicht dabei von 119 Euro für eine Einmallizenz bis zu 952 Euro für 90 Tage.

Quellen: AOK-Bundesverband, GKV-Spitzenverband

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