Mit Blick auf 2008 bedeutet das einen Anstieg von gut 77 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2008 diagnostizierten Ärztinnen und Ärzte bei 3,7 Prozent der KKH-Versicherten chronische Angstzustände, Panikattacken & Co., 2013 waren es 4,9 Prozent, 2018 lag der Anteil bereits bei 5,6 und 2023 schließlich bei 6,5 Prozent – eine kontinuierliche Steigerung also.
Das im Bundesländervergleich größte Plus von 2008 auf 2023 verzeichnet die KKH mit rund 111 Prozent in Sachsen, den geringsten Anstieg hingegen mit gut 62 Prozent in Hessen. Mit Blick auf den Anteil der Betroffenen liegt wiederum Berlin an der Spitze: Dort diagnostizierten Medizinerinnen und Mediziner 2023 bei 8,1 Prozent der KKH-Versicherten eine Angststörung. Nordrhein-Westfalen bildet hier mit 6,0 Prozent das Schlusslicht. Das deutschlandweite Mittel liegt bei 6,5 Prozent.
Angst – Schutzschild oder Belastung?
Doch warum nehmen Ängste derart zu? Die Gründe dafür sind vielfältig. Neben genetischen und neurobiologischen Einflüssen spielen auch psychische Faktoren wie traumatische Kindheitserlebnisse etwa in Form von körperlicher oder seelischer Gewalt eine Rolle. Als Risiken für Angststörungen gelten aber auch langanhaltende Belastungen und chronischer Stress, etwa bedingt durch den politischen und gesellschaftlichen Dauerkrisenmodus der vergangenen Jahre, andauernde berufliche Belastungen oder Konflikte in der Familie.
„Jeder Mensch hat manchmal Angst. Das ist ganz natürlich. Angst hat auch eine wichtige Schutzfunktion. Sie versetzt den Körper in Alarmbereitschaft, damit er in Gefahrensituationen schnell reagieren kann. So dienen Herzrasen und beschleunigte Atmung dazu, einen Teil des vegetativen Nervensystems zu aktivieren und uns auf eine Kampf- oder Fluchtreaktion vorzubereiten“, erläutert Dr. Aileen Könitz, Ärztin und Expertin für psychiatrische Fragen bei der KKH. Aber auch Sorgen um die Arbeit, die Familie oder die Zukunft können in gewisser Weise schützen. Solange sie sich in einem gesunden Maß bewegen und nicht überhandnehmen, können sie helfen, Risiken richtig einzuschätzen, unbedachte Handlungen und kritische Situationen zu vermeiden.“
Wenn die Angst sich nicht mehr kontrollieren lässt
Wenn die Angst um Sicherheit und Frieden, die Sorge vor dem Jobverlust oder die Angst vor dem Zerfall der Familie jedoch immer mehr den Alltag bestimmt, alles andere überschattet und sich nicht mehr kontrollieren lässt, könne sie zu einer großen Belastung werden statt zu schützen. Das treffe vor allem auf Menschen zu, die eine geringere Widerstandskraft haben und anfälliger für psychische Erkrankungen sind. „Viele Betroffene entwickeln eine sogenannte generalisierte Angststörung“, erläutert Aileen Könitz. „Das heißt, die Ängste lassen sich irgendwann nicht mehr auf bestimmte Dinge oder Situationen beschränken, sondern sind einfach immer präsent, häufig übersteigert und realitätsfern.“
Menschen mit einer solchen Diagnose könnten sich zum Beispiel in einem Augenblick fürchten, dass ihr Partner auf dem Weg zur Arbeit überfallen wird oder ihr Kind auf dem Schulweg einen Unfall erleidet. Im nächsten Moment denken sie, dass sie selbst schwer erkranken könnten oder das eigene Haus abbrennt. Sie machen sich praktisch über alles Sorgen, auch über weniger gravierende Dinge, etwa, dass der Bus zu spät kommt oder sie ihren Schlüssel verlieren könnten. Die ständigen Befürchtungen schränken Könitz zufolge das Leben stark ein und beeinflussen das alltägliche Verhalten erheblich. Betroffene ziehen sich häufig immer mehr zurück, was zu sozialer Isolation führen kann. „Sich ständig zu ängstigen, ist auch emotional und körperlich sehr erschöpfend. Depressive Verstimmungen, Konzentrations- und Schlafstörungen können die Folge sein“, erläutert Könitz.
Allein aus diesem Teufelskreis auszubrechen, ist für Betroffene meist unmöglich. Deshalb rät die Expertin zu professioneller Hilfe. Der erste Weg führt in der Regel zur Hausärztin oder zum Hausarzt, die dann bei Bedarf an Fachmedizinerinnen und -mediziner überweisen können.
Quelle: KKH
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