Wie Gefühle entstehen und warum sie unser Gehirn beeinflussen ist bisher wenig erforscht. Gefühle und Emotionen konnten bisher nur wenig systematisch dargestellt werden in der „affektiven Neurowissenschaft“. Da die letzten Erkenntnisse hierzu aus den 1970ern stammen, widmet sich das Human Affectome Projekt seit 2016 der Erkundung unserer Emotionen. Denn sie bestimmen unseren Alltag meist mehr, als uns bewusst ist. Manchmal können wir, obwohl Vor- und Nachteile abgewogen wurden, trotzdem keine rationale Entscheidung treffen. Doch unsere Gefühle helfen oft als Indikatoren, welche Entscheidung für uns die richtige ist.
Daher haben mehr als 170 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 23 Ländern zusammengearbeitet, um ein systematisches Konzept zur Vielfalt affektiver Phänomene zu entwickeln. Zunächst ermittelten sie mittels eines computerlinguistischen Ansatzes 3600 englische Wörter, die Gefühle, Emotionen und Empfindungen ausdrücken. Danach untersuchten die Forscherteams aus neurowissenschaftlicher Sicht, was bisher über Gefühle und Emotionen bekannt ist und überprüften die sprachlichen Begriffe, die zur Umschreibung dieser Gefühle verwendet werden. Daraus entwickelten sie ein Modell, um diese Erfahrungen in einen einheitlichen Rahmen einzubetten.
Drei Teilprojekte dienten dazu, Hirnregionen zu identifizieren, die mit den Gefühlen verbunden sind. Das erste Projekt befasste sich mit antizipatorischen Gefühlen, etwa Hoffnung, Optimismus, Pessimismus und Sorge. Das zweite Projekt widmete sich den selbst-referentiellen Gefühlen, z.B. Schuld, Verlegenheit, Stolz. Das dritte Projekt behandelte die Grundlagen von sozialen Gefühlen, die Voraussetzung für eine erfolgreiche Kommunikation mit anderen Menschen sind. „Neben der genauen Charakterisierung von Gefühlen, Emotionen und Stimmungen und deren Hirnregionen, haben die Ergebnisse weitreichende Konsequenzen. Sie tragen zum Verständnis dessen bei, was uns als Menschen ausmacht“, so Matthias Schroeter, Leiter der drei Teilprojekte zur Ermittlung der Hirnregionen.
Auch wenn das Projekt nicht zur Grundlagenforschung beiträgt, beinhaltet es wertvolle Erkenntnisse, die bereits in der Praxis angewendet werden können. „Diese Ergebnisse legen auch die Grundlage dafür, dass wir Krankheiten wie Schizophrenie, Angststörungen, Depression oder Demenz besser verstehen und behandeln können“, erläutert Schroeter. Als Neuropsychiater verwebdet er die Konzepte bereits in seiner täglichen Arbeit: „Viele Krankheiten des Gehirns sind durch Veränderungen in diesem Bereich gekennzeichnet – mit entscheidenden Konsequenzen für Diagnostik und Therapie.“
Quelle: idw
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