Alzheimer-Demenz: Was die vertraute Umgebung bringt

Autonomie Betroffener stärken
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Das eigene Zuhause und die damit verbundenen Erinnerungen können Krankheitsbild verbessern.
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Wie können Menschen mit Alzheimer-Demenz dabei unterstützt werden, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen? Das untersuchen Forschende der Uni Siegen im Forschungsprojekt „DECIDE“ am Beispiel von Patientenverfügungen.  

Für die rund 1,3 Millionen betreuten Menschen in Deutschland gilt seit dem 1. Januar ein neues Betreuungsrecht, das vor allem ihre Autonomie stärkt: Betreute sollen bestmöglich dabei unterstützt werden, selbstbestimmt über das eigene Leben zu entscheiden. Wie eine solche Unterstützung – auch Entscheidungsassistenz – konkret aussehen kann und unter welchen Bedingungen sie gelingt, erforscht die Psychologin Prof. Dr. Julia Haberstroh bereits seit über zehn Jahren. Aktuell leitet sie an der Universität Siegen das Forschungsprojekt „DECIDE“: Es untersucht, inwiefern es Menschen mit Alzheimer-Demenz in der vertrauten Umgebung des eigenen Zuhauses leichter fällt, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Bei dem Projekt handelt es sich um eine der wenigen systematisierten Studien zum Thema „Entscheidungsassistenz“ weltweit. Es wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit über 1 Million Euro gefördert.

Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses

Menschen mit Alzheimer-Demenz leiden unter Beeinträchtigungen des Kurzzeitgedächtnisses, während alte Gedächtnisinhalte noch lange erhalten bleiben. Das eigene Zuhause und die damit verbundenen Erinnerungen könnten ihnen daher helfen, ihre persönlichen Werte, Überzeugungen und Lebensthemen besser abzurufen, so die Hypothese von Haberstroh. 

Selbstbestimmt entscheiden

An diesem Punkt möchten sie und ihr Team ansetzen, um Menschen mit Alzheimer-Demenz dazu zu befähigen, trotz ihrer Erkrankung selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. „Um zu beurteilen, ob eine bestimmte Entscheidung für mich richtig ist, muss ich die Konsequenzen abschätzen können: Was würde das konkret für mich und meinen Alltag bedeuten? Wir vermuten, dass dies Menschen mit Alzheimer-Demenz in ihrer vertrauten Umgebung leichter fällt – hier spielt sich ihr Alltag ab“, sagt Haberstroh. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen nehmen an, dass die Beratungen in den eigenen vier Wänden die Komplexität der Situation reduzieren, da die Patientinnen und Patienten so viel weniger abstrahieren müssen, um sich die Auswirkungen einer Entscheidung vorzustellen.

Patientenverfügung als Chance

Als konkretes Untersuchungsbeispiel dient dem Team dabei die Entscheidung für eine gesundheitliche Vorausplanung – besser bekannt als Patientenverfügung. „Anhand dieser sehr komplexen Entscheidung möchten wir unsere Hypothese, dass die Einwilligungsfähigkeit von Menschen mit Alzheimer-Demenz in vertrauter Umgebung besser gefördert werden kann, überprüfen“, sagt Prof. Haberstroh. Positiver Nebeneffekt: Das Projekt verhilft auf diese Weise mehr Patientinnen und Patienten zu einer validen gesundheitlichen Vorausplanung. Gerade bei Menschen mit Alzheimer-Demenz ist das bisher häufig nicht gegeben, berichtet Haberstroh: „Nur gut die Hälfte aller Menschen über 65 Jahren hat überhaupt eine Patientenverfügung, etwa die Hälfte der bestehenden Verfügungen sind nicht ausreichend interpretierbar und deshalb fraglich valide. Bei Menschen mit Alzheimer-Demenz wird dieser Anteil sogar noch höher geschätzt.“

Studienkonzept

In den Gedächtnis-Ambulanzen des Kreisklinikums Siegen und des Universitätsklinikums Frankfurt macht das Forschungsteam Patientinnen und Patienten mit beginnender Demenz das Angebot, gemeinsam eine gesundheitliche Vorausplanung anzugehen. Entsprechende Strukturen wurden an beiden Standorten bereits etabliert. Insgesamt 88 Menschen mit Alzheimer-Demenz sollen für die Studie rekrutiert werden, davon je 44 in Siegen und Frankfurt. Während des Prozesses hin zu einer Patientenverfügung sprechen im Rahmen der Studie Fachärztinnen oder -ärzte zweimal mit den Patientinnen und Patienten – einmal zu Hause und einmal in der Klinik. Dabei wird die Einwilligungsfähigkeit jeweils mit Hilfe eines standardisierten Erhebungsinstruments beurteilt. „Welcher der beiden Termine zu Hause stattfindet und welcher in der Klinik, wird nach dem Zufallsprinzip festgelegt. Durch einen Vergleich der jeweiligen Ergebnisse möchten wir herausfinden, welchen Einfluss der Ort auf die Einwilligungsfähigkeit hat“, erläutert Haberstroh.enz 

Neue Form der Entscheidungsassistenz

Sollte sich herausstellen, dass sich das Zuhause als Entscheidungsort positiv auswirkt, ließe sich dies auch auf andere Entscheidungen übertragen – seien es politische Wahlen, Finanzen oder etwa die Entscheidung über den eigenen Wohnort. „Meine Hoffnung ist, dass wir eine neue Form der Entscheidungsassistenz etablieren können, die die bereits vorhandenen Maßnahmen ergänzt und Menschen mit Alzheimer-Demenz auf verschiedenen Ebenen mehr Selbstbestimmung ermöglicht“, sagt Prof. Haberstroh. Gerade vor dem Hintergrund des neuen Betreuungsrechts habe das Forschungsprojekt eine hohe Aktualität und Relevanz. „Aber auch für mich persönlich ist DECIDE ein wichtiges Projekt, da darin zahlreiche Erkenntnisse aus meinen bisherigen Studien zusammenfließen“, sagt Haberstroh und lobt insbesondere die enorme Unterstützung aus der Versorgungspraxis in der Region: „Ich erlebe hier eine beeindruckende Begeisterung für die Forschung, die eine so aufwändige experimentelle Studie wie diese überhaupt erst möglich macht. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken.“

Vorstudien abgeschlossen

Das Projekt DECIDE („Entscheidungs-Orte für Menschen mit Alzheimer-Demenz: Entscheidungsassistenz bei Patientenverfügungen durch Person-Umwelt Anpassung“) läuft voraussichtlich noch zwei Jahre. Mehrere Vorstudien im Rahmen des Projektes sind bereits abgeschlossen, im März 2023 startet die Hauptstudie zur Entscheidungsfähigkeit für Patientenverfügungen. Neben der Universität Siegen sind an dem Projekt das Kreisklinikum Siegen, die Universitätsklinik Frankfurt, die Goethe-Universität Frankfurt und die Johannes Gutenberg-Universität Mainz beteiligt.
 

Quelle: Uni Siegen

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