20 Fragen und Antworten zur Widerspruchsregelung

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Das Bündnis ProTransplant beantwortet 20 häufige Fragen zur Widerspruchsregelung und zur Transplantationsgesetzgebung.

Nachdem die bisherigen Reformen der Transplantationsgesetzgebung nicht dazu geführt haben, dass sich die Situation bei der Organtransplantation verbessert hat, gibt es sowohl seitens des Bundesrats als auch einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten neue Bestrebungen, auch in Deutschland die Widerspruchsregelung (WSR) einzuführen. Das Bündnis ProTransplant, ein Zusammenschluss von mehr als 30 Patientenverbänden, Selbsthilfegruppen sowie Unterstützerinnen und Unterstützern, begrüßt diese Initiative.

Die Mitglieder des Bündnisses nehmen jedoch auch wahr, dass die aktuelle politische und gesellschaftliche Diskussion um die mögliche Einführung der WSR bei manchen Menschen von Sorgen und Ängsten geprägt ist. Das Bündnis ProTransplant nimmt diese Bedenken und Befürchtungen ernst und möchte gleichzeitig sachlich aufklären. In diesem Informationsbeitrag finden Interessierte daher 20 Antworten auf häufige Fragen zur WSR und zur Transplantationsgesetzgebung.

1. Was bedeutet die Widerspruchsregelung (WSR) eigentlich genau?
Unter einer WSR wird angenommen, dass eine Zustimmung zur Organspende besteht, wenn kein Widerspruch vorliegt. Sollte eine Person als Organspenderin oder -spender infrage kommen, wird überprüft, ob ein Widerspruch in Dokumenten oder im Organspenderegister vorliegt. Darüber hinaus werden die Angehörigen befragt, ob ihnen der Wunsch der Person bekannt ist. Bei der WSR steht die Selbstbestimmung an oberster Stelle. Hat die hirntote Person zu Lebzeiten einer Organspende widersprochen, können die Angehörigen keine andere Entscheidung herbeiführen. Das Ganze gilt auch umgekehrt.

2. Führt die WSR zu Zwangsorganspenden?
Nein. Wenn Sie nach einem Hirntod keine Organe spenden möchten, können Sie jederzeit ohne Begründung widersprechen. Ein Widerspruch lässt sich in wenigen Minuten und auf mehreren Wegen erklären: Informieren Sie ihre Angehörigen, füllen Sie einen Organspendeausweis mit der Option „Nein" aus, schreiben Sie es in die Patientenverfügung oder tragen Sie sich in das Organspenderegister ein. Auch ein einfacher Zettel im Portemonnaie genügt.

3. Was ist, wenn ich mich mit dem Thema Organspende nicht beschäftigen möchte?
Jeder kann vorsorglich, also ohne Beschäftigung mit dem Thema, widersprechen. Oder eben nicht, wenn Sie es für eine gute Sache halten.

4. Ich will kein Organ geben, ich will kein Organ erhalten. Wie kann ich das sicherstellen?
Indem Sie widersprechen, stellen Sie sicher, dass Sie im Falle Ihres Hirntods keine Organspenderin oder kein Organspender werden. Die Frage, was Sie möchten, wenn Sie, Ihre Ehepartnerin oder Ihr Kind ein Organ benötigen sollten, können Sie in der konkreten Situation entscheiden.

5. Ist eine Organentnahme ohne explizite vorherige Zustimmung eine Körperverletzung?
Nein. Eine Körperverletzung kann nur bei lebenden Menschen begangen werden. Organspenderinnen und -spender sind tot. Eine Körperverletzung ist rechtlich gesehen nicht möglich.

6. Werden durch die WSR alle Menschen automatisch zu Organspendern?
Nein. Die Voraussetzung, um Organspenderin oder -spender zu werden, ist der komplette Ausfall der Hirnfunktion und der dadurch eintretende Tod (Frage 10). Das kommt sehr selten vor. Die Ursache ist meist ein Schlaganfall, eine Hirnblutung oder ein Unfall mit schwerer Hirnschädigung, sprich ein plötzlicher, tödlicher Unglücksfall. Der Hirntod kann nur auf einer Intensivstation festgestellt werden. So werden zum Beispiel an Unfallorten grundsätzlich keine Entscheidungen zwischen Notfallrettung und Organspende getroffen.

Dazu die Fakten: Jährlich sterben in Deutschland circa eine Million Menschen. Etwas weniger als 1.000 werden zurzeit Organspenderinnen oder -spender, weil sie einen Hirntod erlitten und einer Organspende zugestimmt haben. Dies sind circa 0,1% der Verstorbenen. Somit sind 99,9% der Bevölkerung von der Regelung nicht betroffen.

7. Gehören die Organe nach dem Tod dem Staat?
Nein. Sie gehören dem Menschen, der auch darüber bestimmen kann, was mit seinen Organen passiert. Daran ändert die WSR nichts. Gegen den Willen eines Bürgers beziehungsweise einer Bürgerin wird niemand zum Organspender beziehungsweise zur Organspenderin. Das Einzige, was Sie tun müssen, wenn Sie keine Organe spenden wollen, ist widersprechen. Übrigens gehören die Organe auch bei einer Spende nicht dem Staat, sondern sie gehen auf eine andere Person über, nämlich den Empfänger beziehungsweise die Empfängerin. Jedes gespendete Organ ermöglicht einem schwerstkranken Menschen ein weitgehend normales Weiterleben.

8. In welchen Ländern in Europa wird die WSR schon angewendet?
Die WSR gilt aktuell in 28 Ländern, teilweise seit Jahrzehnten. In all diesen Ländern ist die Zahl der Organspenden deutlich höher als in Deutschland. Und nicht zu vergessen: Jeden Tag werden in Deutschland Organe transplantiert, die über Eurotransplant kommen und aus Ländern stammen, in denen die WSR gilt.

9. Ist die WSR ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen?
Nein. Wer nach einem möglichen Hirntod keine Organe spenden will, muss vorher widersprechen. Das Selbstbestimmungsrecht ist weder absolut noch einzig, denn auch Wartepatientinnen und -patienten haben Rechte, zum Beispiel das Grundrecht auf Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 GG). Diese Rechte müssen gegeneinander abgewogen werden. Das aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) folgende Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen im Hinblick auf seine (postmortale) körperliche Integrität bleibt durch das Widerspruchsrecht gewahrt.

Gegen seinen Willen wird niemand zum Organspender beziehungsweise zur Organspenderin. Jeder kann sich für oder gegen die Organspende entscheiden. Niemand wird zum Objekt degradiert, instrumentalisiert, verzweckt oder verdinglicht. Jeder Mensch gehört weiterhin sich selbst. Gemäß dem Entwurf der Bundestagsabgeordneten dürfen bei Personen, die offenkundig nicht einwilligungsfähig sind, keine Organe entnommen werden. Minderjährige ab 14 Jahren dürfen eigenständig (ohne Zustimmung der Eltern widersprechen), Minderjährige ab 16 Jahren dürfen eigenständig einer Organspende zustimmen.

10. Werden Menschen für hirntot erklärt?
Nein. Niemand wird für hirntot erklärt, der Hirntod wird anhand sehr umfangreicher Spezialuntersuchungen auf Basis des sogenannten Hirntodprotokolls festgestellt, und zwar zwei Mal innerhalb von 24 Stunden von zwei ärztlichen Expertinnen oder Experten (Neurologen), die nicht in die Organtransplantation involviert sind. Hirntod bedeutet, dass Klein-, Groß- und Stammhirn ausfallen. Jegliche Persönlichkeit, jede Erinnerung, jedes Empfinden, jede Fähigkeit, auch, und vor allem die Fähigkeit, selbstständig zu atmen, sind unwiederbringlich verloren. Dieser Prozess ist unumkehrbar, der Patient beziehungsweise die Patientin ist tot. Wichtig: Notfallrettung und Organspende sind völlig getrennte Dinge. Lebensrettende Maßnahmen werden selbstverständlich immer durchgeführt.

11. Werden die Bürgerinnen und Bürger bei der Einführung der WSR im Dunkeln gelassen?
Nein. Der Gesetzentwurf sieht eine Übergangsfrist von zwei Jahren vor. In den letzten sechs Monaten vor Einführung der WSR wird jeder Bürger beziehungsweise jede Bürgerin ab 14 Jahren drei Mal angeschrieben und umfassend über die WSR und die individuellen Optionen informiert.

12. Kann Schweigen in unserem Rechtssystem überhaupt Zustimmung bedeuten?
Ja. Zwei Beispiele:
a) Sie müssen innerhalb von sechs Wochen gegenüber dem Amtsgericht widersprechen, wenn Sie über eine Erbschaft informiert wurden und diese nicht annehmen wollen. Wenn Sie nicht widersprechen, erben Sie, gegebenenfalls auch Schulden.
b) Wenn Sie die gesetzliche Erbfolge nicht für eine gute Regelung halten, müssen Sie widersprechen, indem Sie ein Testament erstellen.

13. Stellt die WSR eine Übergriffigkeit des Staates dar?
Mit dem Wissen aus den oben genannten Ländern, dass die WSR die Wartezeit auf ein Organ verkürzt, sieht das Bündnis ProTransplant in allererster Linie die Notwendigkeit, dass eine Regelung etabliert wird, die für alle Bürgerinnen und Bürger vorteilhaft ist, auch für den Fall, dass sie selbst ein Spenderorgan benötigen.

Das persönliche Risiko, ein Organ zu benötigen, übersteigt um ein Vielfaches das, potenziell eine Spenderin oder ein Spender zu werden. Jährlich werden circa 5.000 Patientinnen und Patienten neu auf die Warteliste aufgenommen. Dem stehen derzeit knapp 1.000 Organspenderinnen und -spender gegenüber.

14. Verstößt die WSR gegen das Grundgesetz?
Das Bündnis ProTransplant sieht dafür keinen Anhaltspunkt und verweist auf die Stellungnahmen von Verfassungsrechtlern.

15. Wir haben in Deutschland die Entscheidungslösung. Ist das nicht ausreichend?
Wir haben keine Lösung, wir haben eine Regelung, denn gelöst ist das Problem des Sterbens und des Leids auch in anderen Ländern nicht, aber am wenigsten in Deutschland. Wir haben auch keine Entscheidungsregelung. Es gibt keine Pflicht zur Entscheidung. Zurzeit gilt eine Zustimmungsregelung, denn vor einer Organspende muss immer die Zustimmung des potenziellen Organspenders oder der Organspenderin und/oder der Angehörigen vorliegen

16. Sterben die Wartepatientinnen und -patienten, weil sie kein Organ erhalten oder weil sie einfach nur krank sind?
Diese Frage beziehungsweise Aussage ist ethisch unzulässig. Die zivilisierte Welt hat sich darauf verständigt, kranken Menschen die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen. Je nach Erkrankung kann ein Antibiotikum, eine Chemotherapie, ein Stent oder die Entfernung des Blinddarms die beste Therapie sein, für andere Krankheiten ist es eine Organtransplantation.

17. Sind Organspenden ein Riesengeschäft für die Ärzte und Krankenhäuser?
Wären Transplantationen ein Riesengeschäft für irgendjemanden, gäbe es nicht diesen eklatanten Mangel, jährlich mehr als 1.000 Tote und das Leid der Wartepatientinnen und -patienten. Ärztinnen und Ärzte bekommen ein fixes Gehalt und kein Extrageld für eine Organspende.

18. Welche Auswirkungen hat(te) die Coronapandemie auf die aktuelle Diskussion?
Das Bündnis ProTransplant versteht die Ängste von Menschen, die sich während der Coronapandemie vom Staat bevormundet fühlten. Die Situation bei der WSR ist eine ganz andere, denn hier kann jede und jeder immer selbst entscheiden, ob er oder sie im Falle des Hirntods Organspenderin oder -spender werden möchte oder nicht. Die Entscheidung wird respektiert und zieht keinerlei Nachteile nach sich. Auch wer widersprochen hat, bekommt im Falle des Falles eine Organspende, wenn er sie braucht und wünscht.

19. Ist die WSR die Lösung für den Organmangel in Deutschland?
Nein. Da gibt das Bündnis ProTransplant denjenigen Recht, die an der Wirkung der WSR Zweifel äußern (Frage 20). Deshalb bevorzugt es auch, von einer Widerspruchsregelung zu sprechen, denn es würde etwas besser geregelt als bisher. In Schweden hat sich die Zahl der Organspenden nach Einführung der WSR nach circa zehn Jahren verdoppelt. Wenn man den Effekt für Deutschland genau ermitteln möchte, wäre es sinnvoll, begleitend eine wissenschaftliche Studie zu initiieren.

20. Welche weiteren Maßnahmen könnten die Situation verbessern?
Es ist schon lange bekannt, dass es in Deutschland Defizite bei der Erkennung möglicher Organspenderinnen und -spender in den Krankenhäusern gibt. So wurde 2023 in mehr als 1.500 Fällen, in denen eine Organspende möglich gewesen wäre, die Frage danach nicht gestellt. Zum Vergleich: Wir haben derzeit knapp 1.000 Organspenderinnen und -spender. Eine wissenschaftliche Studie von 2018 kommt zu dem Schluss, dass circa 3.000 Organspender jährlich möglich wären.

Die WSR stellt einen deutlichen Auftrag an das Gesundheitssystem dar, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine Organspende möglich und gewünscht ist. Deshalb sollten beispielsweise begleitend zur WSR die Strukturen und Prozesse in den Krankenhäusern analog zu Spanien optimiert werden: Dort sind zum Beispiel die Transplantationsbeauftragten Angestellte der staatlichen Transplantationsbehörde und nicht des Krankenhauses.

Quelle: Bündnis ProTransplant

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