„Elektrenkephalogramm“ nannte Hans Berger seine Entdeckung. Auf der Suche nach einem Zusammenhang von psychischen Empfindungen und der physiologischen Aktivität des Gehirns untersuchte der Jenaer Psychiater und Direktor der Universitätsnervenklinik die elektrischen Ströme in der Hirnrinde. Dazu brachte er bei Menschen, denen wegen einer Hirntumoroperation Teile des Schädelknochens entfernt werden mussten, schmerzfrei Elektroden am Gehirn an.
Am 6. Juli 1924 gelang es ihm erstmals, diese Ströme aufzuzeichnen. Berger setzte seine Messungen fort – mit „Heureka“ kommentierte er in seinem Laborbuch 1927 den Erfolg, die elektrischen Schwingungen mit verfeinertem Messaufbau auch auf der Kopfhaut ableiten zu können. Deren Frequenz ändert sich charakteristisch beim Öffnen der Augen und bei Denkaufgaben; dieses als Berger-Effekt bezeichnete Phänomen zeigt die physiologische Aktivität des Gehirns bei psychischen Vorgängen.
Eine Standardmethoden der Neurowissenschaften
Der selbstkritische Berger veröffentlichte seine Ergebnisse erst 1929. Die wissenschaftliche Anerkennung seiner Entdeckung erfolgte noch später, als andere Forscher die Messungen in der Öffentlichkeit wiederholten. Mehrmals wurde Berger für seine Erfindung für den Nobelpreis vorgeschlagen, erhielt ihn jedoch nie. Heute gehört das Elektroenzephalogramm (EEG), die nach dem griechischen Wort ‚enkephalos‘ für Gehirn benannte Messung der Hirnströme, zu den Standardmethoden der Neurowissenschaften.
Moderne EEG-Systeme sind mobil, messen bis zu 128 Kanäle und verfügen über spezielle Softwarepakete zur Signalauswertung. „Für die Diagnostik und die Therapiekontrolle bei Epilepsie ist das EEG zum Beispiel unverzichtbar“, beschreibt Prof. Dr. Hubertus Axer, Oberarzt in der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Jena, den Einsatz im klinischen Alltag. Auch in der Schlafmedizin kommt das EEG zum Einsatz und auf Intensivstationen, um die Hirnaktivität bei Komapatienten und Patienten mit Bewusstseinsstörungen überwachen zu können.
Verschiedene Anwendungsgebiete
Das EEG hat auch in der neuropsychologischen Forschung seinen festen Platz. So nutzt die Arbeitsgruppe Lese-Rechtschreibstörung der Jenaer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie das EEG als ein Messverfahren zur Untersuchung der Hirnaktivierungsmuster von Kindern mit einer Teilleistungsschwäche. Forschungsgruppen an der Jenaer Universität analysieren mithilfe von EEG-Messungen, wie Menschen Personen wahrnehmen, wie die Erkennung von Gesichtern und Stimmen abläuft.
Dr. Barbara Schmidt setzt das EEG im Rahmen ihrer Hypnoseforschungsprojekte ein. Die Messungen können die subjektiven Wahrnehmungen von Menschen unter Hypnose objektiv belegen. „Wenn wir in der Hypnose suggerieren, dass die Sicht durch ein Brett versperrt ist, so kann das EEG zeigen, dass das Gehirn tatsächlich nicht auf optische Reize reagiert“, verdeutlicht sie.
Festveranstaltung in Jena
Die Psychologin gehört zum Organisationsteam einer Festveranstaltung am 6. Juli 2024, mit der die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung den 100. Geburtstag des EEG in Jena begeht. Neben der Entdeckungsgeschichte stehen heutige und künftige Möglichkeiten des Messverfahrens im Mittelpunkt. „Durch moderne Datenauswertung und künstliche Intelligenz sind neue faszinierende Anwendungen von EEG möglich, zum Beispiel die Vorhersage von Epilepsien, die Analyse von Gehirnsystemerkrankungen oder gar die Steuerung von Prothesen durch Brain-Computer-Interfaces“, so Schmidt.
Zwiespältiges Andenken
Der Begründer der klinischen Neurophysiologie Hans Berger wurde 1938 emeritiert. Mit zunehmendem Alter litt er an seelischen Verstimmungen und nahm sich 1941 das Leben. In der NS-Zeit wurde er als Gutachter und Beisitzer von Erbgesundheitsgerichten mitverantwortlich für zahlreiche, auch von ihm selbst beantragte Zwangssterilisationen. Damit unterstützte er die rassenpolitischen Ziele der Nationalsozialisten und verstieß gegen das ärztliche Ethos. So bleibt das Andenken zwiespältig und dient der Mahnung.
Das Universitätsklinikum Jena (UKJ) verwendet deshalb für seine Neurologie nicht mehr den Namen „Hans-Berger-Klinik“, welcher der Nervenklinik in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts verliehen worden war. An der Büste Bergers auf dem Gelände der Klinik für Psychiatrie und ausführlich auf seiner Homepage thematisiert das UKJ das Wirken Hans Bergers; eine Gedenktafel an der ehemaligen Klinik für Chirurgie erinnert an die Opfer der Zwangssterilisationen, die dort durchgeführt wurden.
Quelle: idw
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