Welttag der vernachlässigten Tropenkrankheiten
Insbesondere in den ärmsten Weltregionen, wo sauberes Wasser, sanitäre Einrichtungen und Gesundheitsversorgung für viele Menschen nicht oder nur eingeschränkt zugänglich sind, haben Viren, Bakterien, Parasiten, und Pilze leichtes Spiel. Da diese Krankheiten Menschen in Industrieländern und auch Reisende selten gefährden, werden sie auch im Hinblick auf Gelder für Forschung und Therapien vielfach vernachlässigt.
Günstige Behandlungen gefordert
„Um vernachlässigte Tropenkrankheiten wirksam zu bekämpfen, brauchen wir sicherere, einfachere und wirksamere Behandlungen, die erschwinglich und für die Menschen verfügbar sind. Wir fordern die Bundesregierung auf, Bemühungen um die Entwicklung und Verbreitung von Diagnosen, Behandlungen und Impfungen zur Bekämpfung von vernachlässigten Tropenkrankheiten stärker zu unterstützen und die gegebenen Zusagen (z.B. anlässlich der Kigali Declaration) in einen Aktionsplan für Forschung und Entwicklung auszuarbeiten und umzusetzen“, erklärt Prof. Dr Achim Hörauf, Sprecher des Deutschen Netzwerks gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten und Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie an der Uniklinik Bonn.
„Mehr Investitionen in Programme zur Bekämpfung von vernachlässigten Tropenkrankheiten signalisieren der Welt Veränderung, führen zu besseren Bildungs-, Gesundheits- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Da es sich bei NTDs in erster Linie um Armutskrankheiten handelt, verbessern wir damit die Lebensbedingungen der Ärmsten der Welt, in dem wir den Zugang zur Gesundheitsversorgung ermöglichen“, so Hörauf weiter.
Über eine Milliarde Menschen weltweit sind in Gefahr, durch vernachlässigte Tropenkrankheiten krank, entstellt oder arbeitsunfähig zu werden oder gar daran zu sterben. Afrika gehört dabei zu den Regionen, in denen vernachlässigte Tropenkrankheiten quasi als „Volkskrankheiten“ auftreten. „Sie gehören in den betroffenen Ländern oftmals zu den häufigsten Krankheitsursachen“, sagt Hörauf.
Vielversprechende Wirkstoffe in der klinischen Prüfung
Ein Beispiel ist die Flussblindheit (Onchozerkose), eine durch die Larven von Fadenwürmern hervorgerufene Infektion der Augenhornhaut, die bei einem von zwanzig Betroffenen zum Visusverlust und bei jedem Hundertsten zur Erblindung führt. Die Gefahr einer Infektion mit diesen Filarien ist an Flüssen besonders groß, da sich dort ihr Überträger, die Kriebelmücke, aufhält. Etwa 21 Millionen Menschen sind infiziert. Wissenschaftler/-innen des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) um Prof. Hörauf, Prof. Marc Hübner, Dr. Kenneth Pfarr und Dr. Andrea Schiefer am Universitätsklinikum Bonn haben das Antibiotikum Corallopyronin A entwickelt, das gegen bestimmte Bakterien wirkt, die in den Fadenwürmern leben und für diese lebensnotwendig sind. Derzeit noch in der präklinischen Phase mit einem für 2024 geplanten Übergang in eine humane Phase 1 Studie, ist Corallopyronin A einer der vielversprechendsten Wirkstoffkandidaten für die Behandlung tropischer Filiarieninfektionen. In der Pipeline der Bonner Wissenschaftler/-innen befinden sich darüber hinaus noch eine Reihe weiterer Wirkstoffkandidaten für die Therapie von Wurmerkrankungen.
Behandlung der Wurmerkrankung Loiasis
Zusammen mit Prof. Michael Ramharter, Koordinator des DZIF-Forschungsbereichs Malaria und vernachlässigte Tropenkrankheiten und Abteilungsleiter für Klinische Forschung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM), führen Prof. Hörauf, Prof. Hübner und Dr. Klarmann-Schulz auch klinische Studien zur Behandlung der Wurmerkrankung Loiasis in der zentralafrikanischen Region durch. Mithilfe der Studien möchten die Wissenschaftler/-innen herausfinden, ob bestimmte Breitband-Antiwurmmittel in der Lage sind, den sogenannten afrikanischen Augenwurm, Loa loa, erfolgreich zu eliminieren. An den Studien sind auch Wissenschaftler/-innen am Centre de Recherches Médicales de Lambaréné (CERMEL) in Gabun – einer Afrikanischen Partnerinstitution des DZIF – maßgeblich beteiligt.
Bilharziose – global an zweiter Stelle nach Malaria
Die Bilharziose, auch Schistosomiasis genannt, ist nach Malaria die zweithäufigste parasitäre Tropenerkrankung weltweit. Der Erreger ist ein Saugwurm, der sich vom menschlichen Blut ernährt. Die Infektion erfolgt durch Kontakt mit Süßwasser, wo sich die Larven in Süßwasserschnecken entwickeln. Die Würmer können verschiedene Organe schwer schädigen und bei Frauen unter anderem die Fruchtbarkeit einschränken. DZIF-Wissenschaftler um Dr. Daniela Fusco am Hamburger BNITM arbeiten daran, die Diagnostik und vor allem Schnelltests für Bilharziose weiterzuentwickeln. Das Ziel ist, die Prävalenz von Bilharziose in Madagaskar genauer zu bestimmen und die Betroffenen gezielter zu behandeln. Eine weitere vom DZIF unterstützte Studie unter der Leitung von Prof. Ramharter und Dr. Johannes Mischlinger vom BNITM in Zusammenarbeit mit dem CERMEL und Prof. Kremsner vom Universitätsklinikum Tübingen untersucht eine neue Strategie der präventiven Therapie für Schistosomiasis bei Schulkindern in Hochendemiegebieten Gabuns.
Häufig zwei oder drei Parasitenarten gleichzeitig
Auch am Institut für Tropenmedizin, Reisemedizin und Humanparasitologie des Universitätsklinikums Tübingen arbeiten DZIF-Wissenschaftler/-innen intensiv zu Schistosomiasis und Filarien. Eine Schistosomiasis geht oft mit einer Infektion durch weitere Parasiten einher. „In Afrika, vor allem in der Sub-Sahara-Region, sind die Menschen häufig von zwei oder drei Parasitenarten gleichzeitig befallen“, erklärt Dr. Carsten Köhler. Im Rahmen von DZIF-geförderten Projekten arbeiten er und seine Kolleginnen Dr. Meral Esen, Dr. Andrea Kreidenweiss und Dr. Jana Held an der Verbesserung und Entwicklung der Diagnostik und Therapie für Neuinfektionen mit juvenilen Schistosomen – einem frühen Entwicklungsstadium der Würmer – und erforschen chronische Infektionen mit innovativen immunologischen Methoden.
Zusammenspiel Wurmerkrankungen und HIV-Infektionen
Wissenschaftler/-innen am Tropeninstitut des LMU Klinikums München um PD Dr. Inge Kroidl erforschen das Zusammenspiel von bestimmten Wurmerkrankungen und HIV-Infektionen. Sie fanden im Rahmen einer Kohorten-Studie in Tansania heraus, dass eine Infektion mit dem Wurm Wuchereria bancrofti das Risiko für eine Ansteckung mit HI-Viren um das Zwei- bis Dreifache erhöht. Zu der Frage, ob die Behandlung des Wurmes auch das Risiko für eine HIV-Infektion senkt, gibt es bereits erste positive Ergebnisse. Die Co-Infektion von Schistosoma haematobium mit HIV oder dem Humanen Papillomavirus (HPV) ist ein weiterer Forschungsschwerpunkt in München, welcher gemeinsam mit Prof. Clarissa Prazeres da Costa von der Technischen Universität München untersucht wird. Dass auch Schistosomiasis genitale Veränderungen verursachen kann, ist sowohl Ärztinnen und Ärzten als auch Patientinnen und Patienten noch wenig bekannt. Die bisherigen Diagnostika sind zudem eher unzuverlässig. „Diese Problematik soll im DZIF-Forschungsschwerpunkt ‚Vernachlässigte Tropenkrankheiten‘ gezielt untersucht und verbessert werden“, erläutern Prof. Prazeres da Costa und PD Dr. Kroidl.
Auch Ärzte ohne Grenzen ruft zu mehr Investitionen auf
Angesichts des Welttags gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten fordert auch die medizinische Nothilfeorganisation Ärzte ohne Grenzen mehr finanzielle Mittel für die Behandlung dieser Krankheiten sowie für Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet. Angesichts der jüngsten Mittelkürzungen für vernachlässigte Tropenkrankheiten im Zuge der COVID-Pandemie bestehe die Sorge, dass bereits erzielte Fortschritte bei der Bekämpfung dieser Krankheiten untergraben würden.
Teams von Ärzte ohne Grenzen versorgen Menschen mit NTDs oft in Gebieten, die von Konflikten und Naturkatastrophen betroffen sind und in denen die Ressourcen knapp und die Gesundheitssysteme instabil sind. Dazu gehören Chagas, Kala-Azar und die Schlafkrankheit – alles parasitäre NTDs, die meist arme Menschen betreffen, die in sehr abgelegenen und unterversorgten Gebieten leben. Auch Menschen mit Noma werden von den Teams behandelt, ebenso wie Patientinnen und Patienten mit Schlangenbissen.
Quelle: DZIF, DNTDs, Ärzte ohne Grenzen
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