Tarifeinheitsgesetz

Das Gesetz zur Tarifeinheit passierte am 12.06.2015 den Bundesrat und soll nun im Juli in Kraft treten. Durch dieses Gesetz sollen ein neuer § 4 a und ein geänderter § 8 in das Tarifvertragsgesetz eingefügt und das Arbeitsgerichtsgesetz in Teilen geändert werden. Wesentlicher Inhalt des Gesetzes ist, dass das Prinzip: „ Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ sogenannte Tarifeinheit wieder eingeführt wird.

Hintergrund dessen ist, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit seiner Entscheidung vom 07.07.2010 (4 AZR 549/08) den Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben hatte, so dass für dieselbe eschäftigungsgruppe verschiedene Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften gleichzeitig zur Anwendung gelangen können (sog. Tarifkollision). Diese Tarifkollision beinhaltet, nach der Gesetzesbegründung des Gesetzes zur Tarifeinheit, die Gefahr einer Beeinträchtigung der Tarifautonomie dadurch, dass die Koalitionen der ihnen durch Artikel 9 Absatz III GG übertragenen Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens nicht mehr gerecht werden können.

Der Grundsatz der Tarifeinheit soll jedoch nicht grundsätzlich, sondern als Kollisionsregel nur dann (d.h. subsidiär) gelten, wenn es den Tarifvertragsparteien im Wege autonomer Entscheidungen nicht gelingt, Tarifkollisionen zu vermeiden. Der Gesetzgeber versteht unter „autonome Entscheidungen“ insbesondere, dass die Gewerkschaften ihre jeweiligen Zuständigkeiten abstimmen und ihre Tarifverträge somit für verschiedene Arbeitnehmergruppen gelten, dass die Gewerkschaften gemeinsam ihre Tarifverträge in einer Tarifgemeinschaft verhandeln, dass die Gewerkschaften inhaltsgleiche Tarifverträge abschließen, indem sie den Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft nachzeichnen, indem Gewerkschaften innerhalb eines Zusammenschlusses mehrerer Gewerkschaften verbandsinterne Konfliktlösungsverfahren nutzen oder indem eine Gewerkschaft die Ergänzung ihres Tarifwerkes durch tarifvertragliche Regelungen einer anderen Gewerkschaft gestattet.

Wenn aber tatsächlich eine Tarifkollision vorliegt, soll nach dem – durch das Gesetz zur Tarifeinheit – neu eingefügten § 4 a Absatz I 2 Tarifvertragsgesetz (TVG) das Mehrheitsprinzip entscheiden, d.h. soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden, sind im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrages derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrages, im Betrieb die meisten Mitglieder hat (sogenanntes Mehrheitsprinzip).

Den Belangen von Minderheitengewerkschaften wird durch Verfahrensrechte (§ 4 a Absatz IV 2 TVG neu) Rechnung getragen. Die Minderheitengewerkschaft, die nicht an den Tarifverhandlungen einer konkurrierenden Gewerkschaft beteiligt wird, erhält gegenüber der verhandelnden Arbeitgeberseite ein Anhörungsrecht. Sie ist berechtigt, dem Arbeitgeber oder der Vereinigung von Arbeitgebern ihre Vorstellungen und Forderungen mündlich vorzutragen. Ferner erhält sie gemäß § 4 a Absatz III TVG neu, ein Nachzeichnungsrecht. Der Anspruch auf Nachzeichnung beinhaltet den Abschluss eines mit dem kollidierenden Tarifvertrag inhaltsgleichen Tarifvertrags.###more###

Im Zusammenhang mit dem sogenannten Tarifeinheitsgesetzes erfolgt auch eine Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes (§ 2a Nr. 6, 99 Absatz I ArbGG – neu). Das Arbeitsgericht soll im Beschlussverfahren zuständig sein für die Entscheidung über den nach § 4 a Abs. II Satz 2 neu des Tarifvertragsgesetzes im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag.

Das Gesetz ist sehr umstritten. Namhafte Rechtswissenschaftler warnen vor einer gesetzlich erzwungenen Tarifeinheit. Sie sehen darin einen Eingriff in das Recht der Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften, der nicht verfassungsgemäß sei, da ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit insbesondere darin zu sehen sei, dass eine konkrete Rechtsposition, die Geltung eines Tarifvertrages, der durch die Ausübung der Koalitionsfreiheit erlangt wurde, wieder entzogen wird. Dieser Eingriff ist nur legitim, wenn er zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts erforderlich ist. Nach § 4 a Abs. I neu des Tarifvertragsgesetzes sind die Ziele des Gesetzesentwurfes die Sicherung der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Befriedungsfunktion sowie Ord- nungsfunktion von Rechtsnormen des Tarifvertrages, das heißt. die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern. Dies stellt auch nach der oben benannten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich ein legitimes Ziel dar, das einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. III Grundgesetz) rechtfertigen kann. Aus der Gesetzesbegründung wird aber nicht klar, warum dies erforderlich ist, zumal das Bundesarbeitsge- richt in der oben benannten Entscheidung der Ansicht ist, dass die Tarifpluralität die Tarifautonomie nicht beeinträchtige.

Auch kleinere Gewerkschaften dürfen durch eine gesetzlich auferlegte Tarifeinheit nicht um ihre Tariffähigkeit gebracht werden. In Rechtskreisen wird daher vermutet, dass sich das Bundesverfassungsgericht in naher Zukunft mit dem Tarifeinheitsgesetz beschäftigen wird. Auch wenn es hier um bundesdeutsches Recht geht, stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber das Recht zum Arbeitskampf nicht entsprechend seiner europäischen Nachbarn anders beschränkt hat, wie z.B. durch die Einrichtung einer unabhängigen Kommission, die Streikregeln, wie zum Beispiel. eine Ankündigungsfrist von 10 Tagen für Streikmaßnahmen, festlegen kann, wie auch welches Minimum an essentiellen Diensten, auch während des Streikes aufrecht zu erhalten ist (zum Beispiel Gesundheitswesen, Transport etc.) . Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie hätte sich dadurch verfassungskonform regeln lassen und der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 07.07.2015 besser Rechnung getragen.

E. Müller-Rawlins Rechtsanwältin Kanzlei HMR

Aus: MTA Dialog 7 (2015) Jahrgang 16

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